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Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Sibylle BergЧитать онлайн книгу.

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot - Sibylle  Berg


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      Sibylle Berg

      Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

      Roman

      Reclam

      1997, 2008, 2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Coverabbildung: Sibylle Berg, fotografiert von Daniel Josefson

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2019

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-960415-2

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020560-0

       www.reclam.de

      VERA trinkt Kaffee

      Glückwunsch, sagt Vera. Das Wort steht in der leeren Küche. Fröstelt. Schaut sich die Küchenzeile an, das Wort, und verkriecht sich unter der Spüle. Stirbt daraufhin. Keiner ist da, um Vera zu gratulieren. Was soll mir auch wer gratulieren, und vor allem wozu? Denkt Vera. Wer bis 30 nicht versteht, worum es geht, wird es nicht mehr begreifen. Vera trinkt Kaffee. Sie guckt dabei ihre Beine an. Da sind blaue Adern drauf, die gestern da noch nicht waren. Seit ihrem 30. Geburtstag findet Vera andauernd Dinge an sich. Dinge, die zu einem Menschen gehören, der nicht mehr jung ist. Das Leben ist wie Auto fahren, seit Veras 30. Geburtstag. Eine Fahrt, so eine Straße lang, am Ende eine Mauer zu sehen, auf die das Auto auftreffen wird. Und links und rechts nur bekannte Gebiete. Das Auto fährt immer schneller, seit Vera 30 wurde. Warum anhalten. Geht nicht. Aussteigen, um zu laufen, warum? Vera guckt aus dem Fenster. Bekanntes Gebiet. Ein Hinterhof und ein toter Baum und dann Fahrräder in einem dämlichen Häuschen. Damit die nicht frieren.

      Ich könnte was rausgehen und mir Kuchen holen, denkt Vera. Sie guckt aus dem Fenster und sieht sich über diesen Hinterhof gehen. Zum Bäcker, der dämlichen Frau im Bäckerladen freundlich guten Tag sagen. Obwohl sie der jeden Tag eigentlich lieber sagen würde, daß sie eine blöde Kuh ist. Die runde, selbstzufriedene Frau beim Bäcker. Die nachts bestimmt alleine in ihrem blöden Bett liegt und schwitzt. Weil sie so dick ist und nicht schlafen kann, weil sie einsam ist und weiß, daß sie es bleiben wird. Noch viele Jahre. Und die dann im Laden steht, poliert und sich fühlt, als wäre sie Gott, in dem, was sie für Unbescholtenheit hält, in dem, das Angst ist.

      Vera sieht das so deutlich, wie sie da in dem Laden steht, daß ihr unbehaglich wird. Und sie kurz denkt, ob das so ist, wenn eines den Verstand verliert. In welche Richtung läuft Zeit eigentlich, überlegt Vera, und dann fällt ihr ein, daß diese Frage nicht neu ist, und daß schon mehrere Menschen verblödet sind, an dieser Frage. Da könnte sie auch gleich über das Universum nachdenken oder Dinge dieser Art, von denen keines wissen kann, ob es sie wirklich gibt. Und weil das ja blöd ist, über so was nachzudenken, geht Vera raus. Über den Hinterhof. Zum Bäcker. Grüßt freundlich, denkt alte Sau, und kauft sich Kuchen. Und an der Ecke noch ein paar Margeriten. Als Vera klein war, waren die Margeriten im Garten das einzige Schöne. Der Rest war ziemlich Scheiße. Aber die Margeriten waren schön. Vera war manchmal Margeritenarzt und mußte Operationen vollziehen. Ab und zu heirateten welche von den Blumen und so Sachen, und als Vera eines Morgens aufwachte, waren alle Margeriten weg. Ihre Mutter hatte sie umgegraben, in der Nacht. Vera weiß bis heute nicht warum, und sie guckt die Blumen an und fragt sich das. Sie geht hoch in die Wohnung, das darmige Treppenhaus, Geruch nach Bohnerwachs und nach Menschen, die nie ein großartiges Leben haben werden. Am Tisch, in der Küche sitzt sie dann und ißt den Kuchen auf. Sie guckt die Margeriten an. Guckt ihre Beine an. Und wußte schon unten auf der Straße, wie sie das machen würde. Jede Bewegung mit dem passenden Gefühl dazu. Herzlichen Glückwunsch, Vera, sagt Vera, und dann wird ihr schlecht, von dem Kuchen, und sie übergibt sich.

      NORA hat Hunger

      Ich wiege mich jeden Morgen.

      Morgens ist es immer ein bißchen weniger.

      Seit einem halben Jahr esse ich nur noch Gurken. Äpfel und Salat. Alles ohne Zusätze, versteht sich.

      Zuerst war mir übel. Ich hatte Bauchkrämpfe. Aber jetzt geht es einfach. Wenn ich Essen rieche, habe ich keinen Hunger mehr. Mir wird direkt schlecht, wenn ich Essen rieche.

      Gestern waren es 40 Kilo. Ich bin 1,75 groß. Vielleicht wachse ich noch. Dünner werde ich auf jeden Fall.

      Ich habe es mir geschworen.

      Seit ich nicht mehr esse, brauche ich niemanden mehr. Meine Eltern sind fremde Personen geworden. Es ist mir egal, ob sie mich beachten oder nicht. Ich bin sehr stark. Meine Mutter hat geweint, neulich. Ich habe zugesehen, wie das Wasser ihr Make-up verschmiert hat. Und bin rausgegangen. Es sah häßlich aus. Ich habe auch gesehen, wie dick sie ist. Sie sollte etwas dagegen tun. Ich verstecke mich in der Schule nicht mehr. Als ich noch dick war, bin ich in der Pause immer aufs Klo gegangen, damit sie mich nicht ignorieren können. Jetzt stehe ich offen da und denke mal, daß sie mich beneiden.

      Ich sehe noch immer nicht ganz schön aus. Ich bin noch zu dick. Die Arme sind gut, da ist kaum noch Fleisch dran. Ich finde Fleisch häßlich. Und die Rippen sieht man auch schon gut. Aber die Beine sind zu dick.

      Als ich noch richtig dick war, hatte ich irgendwie keine Persönlichkeit. Jetzt ist das anders. Ich bin innen so wie außen. Ganz fest. Mit einem Ziel ist keiner alleine, weil ja dann neben dem Menschen immer noch das Ziel da ist. Ich kann mich noch erinnern, wie es war, dick zu sein. Mal ging es mir gut, und im nächsten Moment mußte ich heulen und wußte nicht, warum. Ich meine, das kam mir alles so sinnlos vor. Daß ich bald mit der Schule fertig bin und dann irgendeinen Beruf lernen muß. Und dann würde ich heiraten und würde in einer kleinen Wohnung wohnen und so. Das ist doch zum Kotzen. Mit so einer kleinen Wohnung, meine ich. Das kann doch nicht Leben sein. Aber eben, wie Leben sein soll, das weiß ich nicht. Ich denke mir, daß ich das weiß, wenn ich schön bin. Ich werde so schön wie Kate Moss oder so jemand. Vielleicht werde ich Model.

      Meine Mutter war mit mir bei einem Psychologen. Ein dicker, alter Mann. Mutter ließ uns allein, und er versuchte mich zu verarschen.

      Mich verarscht keiner so leicht. Ich hab so einiges gelesen, ich meine, ich kenne ihre blöden Tricks. Und der Typ war mal speziell blöd.

      »Bedrückt dich was«, hat er gefragt. Und so ein Scheiß halt, und ich habe ihn die ganze Zeit nur angesehen. Der Mann war echt fett, und unter seinem Hemd waren so Schwitzränder. Ich habe nicht über seine Fragen nachgedacht.

      Ich meine, was soll ich einem fremden, dicken Mann irgendwas erzählen. Einem Mann, der sich selbst nicht unter Kontrolle hat. Der frißt. Ich bin weggegangen und habe den Psychologen sofort vergessen.

      Ich habe ein Ziel.

      Ich habe vor nichts mehr Angst. Ich denke nicht mehr nach. Das ist das Beste.

      BETTINA guckt so

      Ich liege neben dir und guck die Decke an. Vor der Tür, unten, so eine Ampel, die die Decke färbt. Ampeln ganz weit in der Nacht, da weiß ich immer nicht, was die sollen. Kein Auto da, das sie regeln können. Wenn auf der Welt nichts mehr lebt, werden die Ampeln immer noch tun, als wär alles in Ordnung. Ich frag mich, ob das ein deutsches Problem ist. Ich dreh den Kopf und sehe, daß du mich ansiehst. Munter bist. Ich zieh deinen Kopf zu mir, damit ich dir nicht in die Augen sehen muß. Damit du meinen Blick nicht siehst. In dem nichts für dich dabei ist. Außer Mitleid mit mir, daß ich schon wieder allein sein werde. Morgen wahrscheinlich schon. Oder laß es was länger dauern. Keine Ahnung, wie Verlieben anfängt. Und wie es aufhört. Ich greife nach dir, und wir fangen an mit unseren Körpern Sachen zu machen, die unsere Köpfe gar nicht mehr wollen. Ich fühle deine Haut und schmecke jetzt schon, daß sie mir bald fremd sein wird. Ich werde dich sehen, deine Haut, dein Fleisch und alles, und mir nicht mehr vorstellen können, daß es mal war. Fast wie meins. Ein letztes Umarmen. Solange es noch geht.

      Zusammenschlafen mit dem Gefühl, das ist das letztemal. Und das bringt ja nun mal gar keine Nähe.


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