Der goldene Hades. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
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LUNATA
Der Goldene Hades
Kriminalroman
© 1929 by Edgar Wallace
Originaltitel The Golden Hades
Aus dem Englischen von Ravi Ravendro
© Lunata Berlin 2020
Inhalt
1
Frank Alwin hob mühsam die Hände, die mit Handschellen aneinandergefesselt waren, und riß sich den angeklebten Schnurrbart ab. Durch den schweren Vorhang drangen schwach die Klänge des letzten Orchesterstückes, während das Publikum das Theater verließ. Der Requisitenverwalter erschien auf der Bühne.
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich, »ich habe nicht gewußt, daß der Vorhang schon heruntergegangen ist. Heute Abend ist die Vorstellung eher zu Ende als sonst.«
Frank nickte und sah zu, wie der Mann mit einem besonderen Schlüssel die Handschellen aufschloß und in Verwahrung nahm. Noch vor fünf Minuten hatte Frank Alwin die Rolle des verruchten und bösen Grafen Larska gespielt, der bei einem Einbruch in die Bank von Brasilien ertappt und dann von dem tapferen, unbesiegbaren Detektiv verhaftet wird.
In Gedanken versunken blieb er stehen, während die Lampen im Bühnenhaus nach und nach ausgedreht wurden und die Arbeiter die Versatzstücke forträumten. Dann ging er zu dem weißgetünchten Vorraum, der zu den einzelnen Garderoberäumen der Schauspieler führte.
Ein junges Mädchen im Straßenkleid wartete dort auf ihn. Sie hatte ihre kleine Nebenrolle schon vor einer Stunde beendet. Frank dachte im Augenblick an ganz andere Dinge; immerhin fiel ihm ein, daß er eine gewisse Verpflichtung ihr gegenüber hatte. Im Unterbewusstsein erinnerte er sich daran, daß er den großen Stoß Papiergeld, den er sich im letzten Akt aus dem Geldschrank der Bank angeeignet hatte, dem Requisitenverwalter noch nicht zurückgegeben hatte. Im Gegenteil, er hatte die Scheine in die Tasche gesteckt und mitgenommen. Er lächelte das ängstliche junge Mädchen an, als er auf sie zuging, und drückte ihr etwa sechs Banknoten in die Hand, die er aus der Tasche zog. Er faltete sie noch besonders sorgfältig, bevor er sie ihr übergab.
»Das ist für Sie, Marguerite«, sagte er mit einem gewissen Pathos.
Er bemerkte, daß sie ihn erstaunt, fast bestürzt ansah, lachte aber nur still vor sich hin und stieg die Treppe zu seinem Ankleideraum hinauf, immer zwei Stufen mit einem Schritt.
Als er fast oben angelangt war, fiel ihm etwas ein. Er hatte sich geirrt, fluchte und eilte wieder nach unten, aber die junge Dame war inzwischen fortgegangen.
Wilbur Smith, der früher als Offizier beim Militär gedient hatte und jetzt als Detektiv beim Polizeipräsidium in New York tätig war, machte es sich in einem der großen Armsessel bequem. Er saß in der Garderobe des Schauspielers Frank Alwin, und während er auf seinen Freund wartete, rauchte er dauernd und füllte die Luft mit Tabaksqualm. Als Frank Alwin hereinkam, schaute Smith auf.
»Hallo, Frank!« rief er. »Was ist denn los? Hat die Vorstellung heute nicht geklappt?«
»Ich bin ein dummer Kerl«, erwiderte Alwin und sank in den bequemen Stuhl vor seinem Ankleidetisch.
»In mancher Beziehung gebe ich dir vollkommen recht, aber andererseits bist du auch ein sehr tüchtiger Schauspieler. Welche besondere Dummheit hast du denn begangen?«
»Es handelt sich um ein Mädchen«, begann Frank.
Smith nickte mitleidig.
»Verzeihung, ich wollte mich nicht in deine persönlichen Verhältnisse einmischen. Wenn du in der Beziehung Dummheiten gemacht hast, dann spricht das noch nicht besonders gegen dich.«
»Ach, rede doch keinen Unsinn«, entgegnete Alwin gereizt. »Um dergleichen handelt es sich doch überhaupt nicht. Es ist ein nettes kleines Mädchen, das zu unserem Ensemble gehört ...«
Er zögerte einen Augenblick.
»Nun gut, ich kann es dir ja auch sagen. Sie heißt Maisie Bishop und hat eine kleine Rolle in dem Stück, das wir jetzt spielen.«
Wilbur nickte.
»Ich habe sie schon auf der Bühne gesehen. Sie ist wirklich sehr hübsch. Aber was hast du mit ihr?«
Frank antwortete nicht gleich und sah den anderen nachdenklich an.
»Als ich heute Abend auf die Bühne gehen wollte, kam sie zu mir«, erklärte er etwas betreten. »Sie schien sehr besorgt zu sein und sagte mir, daß sie große Schwierigkeiten hätte. Ihre Familie leide bittere Not, und sie bat mich, ihr etwas Geld zu leihen. Ich hatte im Augenblick natürlich keine Zeit, mich mit ihr zu beschäftigen, da jeden Augenblick mein Stichwort fallen mußte. Ich versprach ihr aber, daß ich ihr helfen wollte, und dann habe ich es ganz vergessen.«
»Nun, du kannst sie ja noch aufsuchen, sie ist doch sicherlich nicht schwer zu finden.«
»Darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Aber sieh einmal her!« Er steckte die Hand in die Tasche, holte einen Stoß Banknoten heraus und legte sie auf den Tisch. »Das ist natürlich falsches Geld, wie wir es auf der Bühne brauchen. Ich sah, daß sie wieder unten im Vorraum auf mich wartete, aber durch das Theaterspiel hatte ich tatsächlich vergessen, was wir vorher miteinander besprochen hatten. Ich wollte einen Scherz machen und gab ihr ein halbes Dutzend dieser Scheine. Es sollte wirklich nur ein Scherz sein.«
Wilbur lachte.
»Aber darüber brauchst du dir keine grauen Haare wachsen zu lassen. Wenn sie verhaftet werden sollte, weil sie Falschgeld unter die Leute bringt, werde ich sie und auch dich schon durchbringen. Das verspreche ich dir. Der Schaden ist also nicht so groß.«
Er erhob sich, ging zu dem Ankleidetisch hinüber und nahm den Stoß Banknoten in die Hand.