Im Lande des Mahdi II. Karl MayЧитать онлайн книгу.
arl May
IM LANDE DES MAHDI II
Erstes Kapitel: Der Mahdi
Kordofan, dieses ganz eigenartige Land, ist von jeher das Durchzugsgebiet vieler wandernder Stämme und darum war die Bevölkerung desselben schon vor der Eroberung durch Mehemed Ali eine außerordentlich gemischte. Dann brachten die Fellahta und die Baschibozuks des Vicekönigs das Blut aller kleinasiatischen Rassen unter das Volk. Griechen, Levantiner, Armenier, Arnauten haben sich mit den schwarzen Stämmen des Südens vermischt und zwischen den Abkömmlingen derselben wohnen wieder die reinblütigen Enkel ganzer Nomadenstämme, weiche aus dem Hedschas herüberwanderten.
Kordofan gehört zu den Sudanländern. Da das Wort Sudan, allerdings schon im Mittelalter gebräuchlich, ein jetzt so viel gehörtes ist, so dürfte eine kurze Bemerkung über dasselbe am Platze sein. Beled es Sudan, das ist der vollständige Name. »Beled« heißt Land, und »es« ist der Artikel. Sudan ist der gebrochene Artikel von »aswad« = schwarz (Plural »sud«). Beled es Sudan heißt also das Land der Schwarzen. Der Ton wird nicht, wie man oft hört, auf die erste, sondern auf die zweite Silbe gelegt; man sagt also nicht Suhdan, sondern Sudahn.
Kordofan, ausgesprochen Kordofahn, bildet in seinem nördlichen und westlichen Teile eine ungeheure Savanne, welche in der trockenen Jahreszeit einer dürren Wüste gleicht, sich aber während der Regenzeit mit einer üppigen Vegetation bedeckt. Die weiten, grasigen Strecken werden von Mimosenwäldern unterbrochen. In dieser Savanne giebt es ungefähr neunhundert Brunnen mit Dörfern in der Nähe. Dort weiden während der Regenzeit die vielen wandernden Stämme ihre Herden, um bei Beginn der trockenen Jahreszeit wieder fortzuziehen. Man trifft da Giraffen, Strauße, überhaupt Vögel der verschiedensten Arten, und ungeheure Antilopenherden.
Der südliche Teil des Landes hat mehr thonigen Boden, welcher das Wasser hält, daraus folgt eine wahrhaft bewundernswerte Fülle und Großartigkeit des Pflanzenwuchses. Kolossale Strecken sind mit Palmen, Cassien, Adansonien und Tamarinden bedeckt. Die Tiere vieler Ordnungen und Arten, welche diese Wälder bewohnen, werden von den Leoparden und dem Panther gejagt, und nur zu häufig hört man auch die Stimme des Löwen, des »alles Beherrschenden«, erschallen.
Das Wadi Melk wird schon mit zu Kordofan gerechnet, und da wir uns zwischen diesem und Es Safih befanden, so hatten wir Nubien hinter uns gelegt. Wie man sich erinnern wird, hatte ich die von dem Sklavenjäger Ibn Asl geraubten Beduininnen diesem abgenommen und in ihre Heimat nach dem Bir es Serir zurückgebracht; zwanzig Asaker[1] begleiteten mich. Wir waren von den Angehörigen der Frauen und Mädchen mit Jubel aufgenommen und, wenigstens nach ihren Verhältnissen, reich bewirtet und beschenkt worden. Nach unserm Aufbruche hatten sie uns das Geleite bis zum Ende der zweiten Tagereise gegeben, und nun wollten wir auf dem kürzesten Wege nach Chartum, wo ich meine Asaker ihrem Kommandanten, dem Reïs Effendina Achmed Abd el Insaf zu übergeben hatte.
Es war noch nicht allzuspät nach der Regenzeit, darum stand die Savanne noch in saftigem Grün. Hätte ich nicht auf einem Hedschihn[2], sondern auf einem Pferde gesessen, so wäre es leicht gewesen, zu denken, daß der Ritt durch eine amerikanische Prairie gehe. Wenn in der trockenen Jahreszeit das Gras verdorrt ist, so hat man den Weg möglichst so zu legen, daß man Brunnen berührt; jetzt aber war das nicht nötig. Das Wandern von einem Brunnen zum andern kostet viele Zeit; gegenwärtig brauchten wir indessen bei der saftigen Grasweide für unsere Tiere kein Wasser, und für uns waren die Schläuche gefüllt; darum konnten wir eine schnurgerade Richtung einhalten, bis das Wasser zur Neige ging und wir dadurch gezwungen waren, wieder einen Brunnen aufzusuchen. Auf diese Weise gelangten wir einen vollen Tag eher, als wenn wir uns auf die erwähnten Umwege eingelassen hätten, an den Bir atschahn. Dieser Name bedeutet der »durstige Brunnen«, da der letztere während der heißen Jahreszeit kein Wasser enthält. Jetzt aber hatte er mehr als nötig war, um unsere Schläuche von neuem zu füllen. Er lag inmitten der ebenen Savanne, ohne von einem Felsen, einem Baume oder Strauche bezeichnet zu werden. Ich hätte ihn gewiß nicht gefunden, wenn uns nicht von unsern Gastfreunden ein kundiger Führer mitgegeben worden wäre, welcher uns nach Chartum bringen sollte und die Gegend ebenso genau wie die schlechten Eigenschaften seiner langen arabischen Flinte kannte.
Diese Flinte war sein Herzeleid, und doch schien er sie über alle Maßen zu lieben. Er hatte sie stets in der Hand und sprach gern von ihr. Auch jetzt, als er neben mir am Rande des Brunnens saß, hielt er sie liebevoll umfangen, ließ seinen Blick freundlich über sie gleiten und sagte:
»Hast du schon einmal so eine Arbeit gesehen, Effendi? Ist das nicht bewundernswert?«
Der Kolben des Gewehres war nämlich mit Elfenbein ausgelegt, doch bildete die Zeichnung eine Figur, welche mir ganz unverständlich war. Darum antwortete ich:
»Aeußerst geschmackvoll, ja geradezu prächtig! Aber was soll es denn vorstellen?«
»Was es vorstellen soll? Welch eine Frage! Siehst du denn das nicht?«
Er hielt mir den Kolben vor die Nase und forderte mich auf: »Da, sieh genauer hin! Nun, was ist‘s?«
Ich gab mir alle Mühe, das Ding zu enträtseln, doch vergeblich. Das war keine Schrift, kein Bild, kein »gar nichts«!
»Du bist blind,« meinte er; »möge Allah dein Auge erleuchten! Aber da du ein Christ bist, so ist es gar nicht zu verwundern, daß du die Figur nicht erkennst. Ein gläubiger Moslem sieht beim ersten Blicke, was sie zu bedeuten hat. Erkennst du nicht, daß es ein Kopf ist?«
Ein Kopf! Keine Spur davon! Man hätte es höchstens für den unförmlichen Kopf eines Hippopotamus halten können. Ich schüttelte also den meinigen.
»Nicht? Allah, Wallah, Tallah! Es ist sogar der Kopf des Propheten, der in allen Himmeln Allahs sitzt.«
»Unmöglich! Man sieht ja gar nichts von einem Kopfe! Wo ist denn die Nase?«
»Die fehlt, Effendi. Der Prophet braucht keine Nase. Er ist jetzt der reinste der Geister und besteht selbst aus zehntausend Wohlgerüchen.«
»Wo ist der Mund?«
»Der fehlt, denn der Prophet bedarf keines Mundes mehr, da er durch den Kuran zu uns redet.«
»Auch sehe ich keine Augen.«
»Wozu. Augen, da der Prophet nichts zu sehen braucht, weil vor Allah alles offenbar ist?«
»Die Ohren suche ich auch vergeblich!«
»Du kannst sie nicht finden, weil sie nicht da sind. Der Prophet braucht unsere Gebete nicht zu hören, da er uns die Worte derselben genau vorgeschrieben hat.«
»Wo ist der Bart?«
»Der ist nicht zu sehen. Wie durfte man ihn durch Elfenbein entheiligen, da der Schwur beim Barte des Propheten der höchste und allerheiligste ist!«
»Folglich ist von dem Kopfe nur die Stirn zu sehen?«
»Auch nicht. Da sie der Sitz des Geistes ist, kann man sie gar nicht abbilden.«
»So ist von dem Kopfe also gar nichts da?«
»Gar nichts,« nickte er. »Aber ich erkenne jeden Zug des Gesichtes!«
»Ohne den Kopf überhaupt sehen zu können? Das begreife, wer es kann!«
»Ja, ein Christ wird es freilich nicht begreifen. Ihr seid alle mit unheilbarer Blindheit geschlagen!«
»Du auch, doch ist deine Blindheit hellsehender als das gesündeste Auge. Du siehst einen Kopf, zu dem nichts als alles fehlt. Uebrigens ist es doch bei euch verboten, einen Menschen abzubilden. Wie viel strafwürdiger muß da das Porträtieren des Propheten sein!«
»Der Künstler, welcher dieses Gemälde fertigte, hat dieses Verbot nicht gekannt.«
»Und muß doch den Propheten gesehen haben.«
»Im Geiste! Das Gewehr ist Uralt, wie du wohl siehst. Der Mann, welcher es fertigte, hat jedenfalls weit vor dem Propheten gelebt.«
»Das ist unmöglich, denn da gab es noch kein Pulver.«
»Effendi, beraube mich doch nicht des Glückes, ein so kostbares Gewehr zu besitzen! Wozu Pulver? Wenn Allah will, schießt man auch ohne Pulver aus der Flinte.«
»Ich gebe zu, daß Allah Wunder thut.
1
Aegyptische Soldaten.
2
Reitkamel.