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Reise durch den Stillen Ozean. Max BuchnerЧитать онлайн книгу.

Reise durch den Stillen Ozean - Max  Buchner


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      Reise durch den Stillen Ozean

      I

      AUSFAHRT

      Einschiffung und Abschied. Die Elbe hinab. Zänkereien und trübe Auspizien. Gefahr einer Kollision. Sturm und Orkan. Todesangst im Zwischendeck. Alles kaput geschlagen. Hannes, der seekranke Kajütsjunge. Gefahr zu scheitern. Der Nordsee glücklich entronnen.

      Aus Reiselust war ich Schiffsarzt geworden. Der Drang in die Ferne hatte mich veranlasst, auf Postdampfern siebenmal zwischen Europa und Amerika hin und her zu fahren. Derselbe Drang hatte mich in die emporkeimende deutsche Marine getrieben, von dieser jedoch mir nur die ganze Misere eines anderthalbjährigen Aufenthalts in jenem traurigsten Erdenwinkel, so Jadegebiet heisst, und die Freuden und Leiden eines dreimonatlichen Uebungsgeschwaders zu Theil werden lassen.

      Ich konnte allerdings gewiss sein, mit meinen Seereisen manchem Binnenländer, der Zeit seines Lebens von einer Spritztour nach Helgoland bramarbasirt, imponiren zu können, ich war aber noch nicht befriedigt und verlangte nach mehr.

      Es gereichte mir somit zur grössten Freude, als sich Gelegenheit bot, auf einem Segelschiff mit Auswanderern nach Neuseeland zu gehen. Viele meiner Freunde erschraken zwar vor dem Wort Segelschiff, in welchem sich ihnen nicht ganz unrichtig der Inbegriff von Widerwärtigkeiten und Lebensgefahren, von Seemannsrohheit und Passagiergesindel, von Zwieback und Salzfleisch konzentrirte. Mir war es jedoch gerade darum zu thun, einmal eine richtige Reise übers Meer zu unternehmen, nur den Winden als fortbewegenden Kräften mich anvertrauend, und ohne das lästige Gepolter der Dampfmaschinen von schwellenden Segeln gezogen dahin zu schweben.

      Am Morgen eines 15. Novembers bestieg ich zu Hamburg die Euphrosyne, ein grosses und schweres Vollschiff von über 1000 Registertonnen. Nachmittags kamen die 397 Passagiere an Bord, und in der Nacht sollten wir mit Eintritt des Hochwassers die Elbe hinabgehen.

      Das ganze bunte Tohuwabohu des Einschiffungsprozesses von Auswanderern zog wieder an mir vorüber. Mächtige Kisten und Bündel von Bettzeug, Proviantmassen und klapperndes Blechgeschirr, schreiende Männer und kreischende Weiber, ungezogene Jungen und winselnde Säuglinge füllten das mit herbstlichem Strassenschmutz überzogene Deck. Unter dem unerlässlichen heulenden Gesang der Matrosen, auf den diese ungraziöse Menschensorte um so stolzer ist, je abscheulicher er klingt, flog das Gepäck hinab in den Lastraum, Befehle brüllende Offiziere und die Plätze vertheilende Agenten rannten hin und her. Takler arbeiteten noch eifrig in den Wanten und auf den Raaen an der Vollendung des Tauwerks, ein Brahm lag längsseits und pumpte geschäftig Wasser in die im Bauch des Schiffes ruhenden Wasserfässer.

      Nachdem ich mich vorschriftsmässig überzeugt, dass keine Krankheiten eingeschmuggelt worden waren, eilte ich, diesem unerquicklichen Durcheinander zu entrinnen und flüchtete an Land, zum letzten mal für lange Zeit feste Erde zu treten, meine Freunde nochmal zu sehen und von ihnen Abschied zu nehmen. Erst spät kehrte ich an Bord zurück, wo mittlerweile eine wohlthätige Stille eingetreten war. Friedliche Schnarchtöne drangen durch die offenen Lucken des Zwischendecks herauf, und nur der schwere Tritt des wachehabenden Matrosen unterbrach störend die nächtliche Ruhe. Gott Morpheus umfing mich, und als ich erwachte, glitten wir, von einem kleinen vorgespannten Dampfer gezogen, die Elbe hinab.

      Düstere graue Nebelmassen verhüllten die alte Hansestadt hinter uns und liessen kaum die Umrisse der Thürme erkennen, ein feiner Regen bedeckte die Landschaft und erleichterte nicht unwesentlich die Trennung von den auch bei schönerem Wetter nur bescheidenen Ansprüchen genügenden Ufern des Vaterlandes. Uebernächtige Gestalten trieben sich missmuthig und sehnsüchtig den Morgenkaffe erwartend auf dem nassen und schmutzigen Deck umher. Hinten auf der Kajüte stand der Lootse, griesgrämig den steuernden Matrosen scheltend, vorne spie der kleine Dampfer übellaunig schwarzen Kohlenqualm aus dem Schornstein und über das Schiff, welches er schleppen musste. So gings langsam dahin an ankernden Schiffen und Fischerkähnen vorbei. Möven zankten sich auf dem Wasser um den von der Ebbe weggeführten Schmutz des Hamburger Hafens, und vom flachen Gestade her blökte ärgerlich hie und da ein gelangweiltes Schaf.

      Wir hatten, wie schon erwähnt, 397 Passagiere an Bord, welche in drei gesonderten Abtheilungen, nämlich die der einzelnen Männer, die der Familien und die der einzelnen Mädchen untergebracht waren. Unsere ganze Expedition ging auf Kosten des jungen Kolonialstaates Neuseeland, der seinen Einwanderern freie Ueberfahrt gewährt, wenn sie ausser Leumunds- und Gesundheitsattesten den Nachweis zu führen im Stande sind, dass sie Acker- oder Bergbau getrieben haben. Deutsche und Polen, Dänen, Norweger und Schweden bildeten die Mehrzahl. Die Mannigfaltigkeit der Idiome zu erhöhen, waren auch einige Böhmen und Italiener vorhanden. Ich war nicht nur Arzt – »Surgeon« dieser anmuthigen europamüden Schaar, sondern noch viel mehr – »Surgeon Superintendent.« Nicht nur die Krankenpflege war meine Aufgabe, sondern auch die Last der Regierung unserer Miniaturrepublik ruhte zum grössten Theil auf meinen verantwortlichen Schultern. Die Rechtspflege theilte ich mit dem Kapitän, die Sanitätspolizei, die Ueberwachung der Proviantvertheilung und die Ernennung von Subalternorganen gehörten zu meinen Obliegenheiten. Ein Schulmeister für die schulpflichtige Jugend, eine Matrone zur Beaufsichtigung der einzelnen Mädchen, vier Konstabler, welche bei den einzelnen Männern und bei den Familien für Ordnung und Reinlichkeit zu sorgen hatten, sämmtlich aus den Reihen der Passagiere gewählt und mit Bezahlung angestellt, waren die Werkzeuge meines Amtes. Die Passagiere auf den Auswandererschiffen nicht nur Neuseelands, sondern sämmtlicher sieben australischen Kolonien stehen hauptsächlich unter der Aufsicht der Aerzte, welche, von den Regierungen angestellt, die Interessen dieser und ihrer neuen Bürger gegen jene der Rheder und der Kapitäne, die manchmal nicht übereinstimmen, zu vertreten haben.

      Das erste Ereigniss, welches mich in Anspruch nahm, war, dass die unverheiratheten Frauenzimmer sich in die Haare geriethen. Nationale Gegensätze, hie Dänemark, hie Deutschland nebst Annexen, bildeten die prädisponirenden Ursachen und die Vertheilung, respektive Aneignung der Lebensmittel das auslösende Moment des Kampfes. Dänemark, zwar in der Minderzahl aber desto resoluter vertreten, glaubte das empfangene Mittagsmahl, welches für alle zwanzig jungen Damen berechnet war, für sich allein behaupten zu dürfen, Deutschland, Böhmen und die Polakei remonstrirten dagegen, das kleine starrköpfige Dänemark blieb Sieger, Deutschland weinte, Böhmen und die Polakei kreischten.

      So standen die Dinge, als ich um Intervention angegangen wurde. Mein Vermittlungsversuch hatte keinen Erfolg und fand nirgends Anklang. Die Däninnen verstanden mich nicht, und ich verstand jene nicht, die Deutschen aber ärgerten sich, dass ich nur mit Worten und nicht mit der Peitsche einschreiten wollte. Ich musste den Proviantmeister requiriren, welcher ein kurzes Ende machte, indem er Fleisch und Brot wegnahm, auseinander schnitt und beiden Parteien einzeln verabreichte. Dieser Modus blieb für die Folge beibehalten, und es kam im Jungfernzwinger – so heisst in der rauhen Seemannssprache für gewöhnlich das betreffende Kompartment – selten mehr zu ernsteren Konflikten wegen des Essens, wenn auch die Däninnen fortfuhren, über die anderen Völkerschaften die Nase zu rümpfen, die Deutschen noch oft weinten und die Polakinnen noch öfter kreischten.

      Von allen Seiten kamen unaufhörlich Klagen an jenem ersten Tage der Reise. Es herrschte noch lange nicht die wünschenswerthe Ordnung, überall fehlte noch etwas, und Missverständnisse in Folge des Sprachen- und Dialektgewirres führten zu endlosen Streitigkeiten.

      Ich konnte es dem Kapitän wahrlich nicht verdenken, dass er sehr schlecht aufgelegt war und schliesslich die Geduld verlierend jeden Passagier, der sich an ihn wandte, im Besonderen und die ganze Gesellschaft im Allgemeinen zu tausend Teufeln fluchte. Er hatte wichtigere Dinge im Kopf als die Unzufriedenheit des Familienvaters Krapülinski, welcher zu wenig Sauerkraut erhalten zu haben glaubte, oder die Wuth der schönen Amanda Christensen, die in Kopenhagen Modistin und eine sehr feine Dame gewesen war und jetzt mit einer ehemaligen Tändstickorfabrikarbeiterin in derselben Koje zusammenschlafen sollte. Er wusste nur zu gut, in welch unfertigem Zustand das Schiff in See ging. Man hatte zu spät mit der Ausrüstung desselben begonnen, und die Arbeiten waren in Folge dessen übereilt worden und unsolide ausgefallen.

      Das Chronometer war zwar zur richtigen Zeit an Bord gekommen, aber der Uhrmacher hatte vergessen, die Gangkorrektion desselben mitzuschicken, eine Nachlässigkeit, die erst in Kuxhaven durch Telegramme gutgemacht werden konnte. Das Schiff musste zur bestimmten Zeit Hamburg verlassen. Denn jeder Tag des Aufschubs kostete dem Expedienten den Unterhalt der Passagiere. Die durch die Sparsamkeit des


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