Sophienlust Classic 42 – Familienroman. Judith ParkerЧитать онлайн книгу.
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Am Morgen des ersten Schultages nach den Osterferien stand die Köchin Magda an dem großen Herd in der hellen Küche von Sophienlust und achtete darauf, dass die Milch für den Frühstückskakao der Kinder nicht überkochte.
Der alte Justus, ehemaliger Verwalter des Gutes, saß auf der Bank unter einem Fenster, dessen Flügel weit offen standen, sodass die milde Frühlingsluft ungehindert hereinströmen konnte. Sein Frühstück bestand aus einer großen Tasse Milchkaffee, zwei saftigen Scheiben von dem schmackhaften Bauernschinken und kräftigem Brot.
Magda wandte sich nach dem alten Mann um und musterte ihn nachdenklich. Justus war auch sonst nicht sehr gesprächig, aber so still wie an diesem Morgen war er nur dann, wenn ihn irgendein Problem beschäftigte. Jäh erinnerte sich die Köchin an die Zeit, als Justus und sie sich stets in den Haaren gelegen hatten. Jetzt vertrugen sie sich recht gut und besprachen vieles miteinander. Er, das Stubenmädchen Lena und sie hatten noch bei der alten Sophie von Wellentin gedient und treu zu ihr gehalten. Jetzt dienten sie mit der gleichen Ergebenheit Denise von Schoenecker und deren Sohn Dominik, dem Erben von Sophienlust.
»Justus, fehlt dir was?«, fragte Magda mitfühlend. »So schweigsam wie heute bist du selten. Plagt dich wieder einmal dein Zipperlein? Soll ich dir einen Tee kochen? Oje, jetzt wäre die Milch beinahe doch noch übergelaufen!«, rief sie und zog schnell den Topf vom Feuer.
»Das Zipperlein lässt mich gottlob im Augenblick in Ruhe, dank deines Tees, Magda.« Justus schob den Holzteller mit dem Schinken zurück und legte den ledernen Tabakbeutel vor sich hin. »Stört’s dich, wenn ich rauche?«, fragte er und zog bereits die Pfeife aus der Seitentasche seines Lodenrockes. Bedächtig klopfte er sie auf dem Tisch aus.
»Rauch nur, Justus, das Fenster ist ja offen. Also, was bewegt dich? Sprich nur«, forderte sie ihn auf und nahm das Geschirr aus dem Küchenschrank, um es für Lena und Schwester Gretli auf dem Tisch bereitzustellen.
»Ja, das ist so«, begann Justus in seiner etwas umständlichen Art. »Heute früh war ich im alten Gärtnerhaus.«
»Ja, und?« Erstaunt sah Magda ihn an. »Was hast du denn dort gemacht?«
»Ich hab’s mir mal angeschaut.«
»Es soll doch noch in diesem Jahr abgerissen werden, weil an dieser Stelle ein neues Gebäude erbaut werden soll.«
»Ich weiß, ich weiß.« Justus steckte die Pfeife in Brand und zog genießerisch daran, dann nahm er sie wieder aus dem Mund. »Ja, das ist nämlich so: Meine Schwester diente viele Jahre bei den alten Riedls, den Eltern des Schriftstellers Norbert Riedl.«
»Wer ist denn das?«
»Norbert Riedl ist ein bekannter Autor. Im Augenblick arbeitet er an einem großen Roman und will sich für einige Monate aufs Land zurückziehen, um dort ungestört sein Buch vollenden zu können. Aber er hat Familie. Eine Frau und drei Kinder. Das alles hat mir meine Schwester geschrieben.« Justus zog wieder an der Pfeife.
»Ach, jetzt verstehe ich dich!«, rief Magda und stemmte beide Hände an ihre rundlichen Hüften. »Du meinst, die Familie soll in das alte Gärtnerhaus ziehen?«
»Du bist eine kluge Frau. Ja, so ist es. Ich glaube, das Haus wäre für die Riedls gerade richtig. Es gibt darin sogar ein Kaminzimmer. Meinst du, dass ich mich mal an die gnädige Frau wenden soll?«, fragte er sinnend.
»Aber ja. Nur unsere liebe gnädige Frau kann in einer solchen Angelegenheit entscheiden. Aber sie hat ja ein Herz aus Gold. Bestimmt wird sie einverstanden sein, wo doch die Familie auch Kinder hat. Sind es kleine Kinder?«
»Genaues weiß ich da nicht. Aber ich glaube, meine Schwester erwähnte etwas von zwei Mädchen und einem Jungen. Also, dann werde ich mit der gnädigen Frau sprechen.«
»Und ob, Justus. Ich würde das gleich heute vormittag tun. Sie kommt nämlich vorbei. Wo nur Schwester Gretli und Lena stecken? Die Kinder müssen doch frühstücken, sonst kommen sie bereits am ersten Schultag zu spät. Ach, da seid ihr ja!«, rief Magda erleichtert, als die beiden erschienen. »Das Frühstück ist fertig.«
Schwester Gretli und Lena bemächtigten sich des Geschirrs und verließen wieder die Küche, während Magda den Kakao zubereitete.
Justus erhob sich. »Ich geh dann«, erklärte er und stapfte zur Tür. Als er die Stufen der Freitreppe hinunterstieg und dann die Richtung zu den Stallungen einschlug, kam Dominik angeradelt.
»Guten Morgen, Justus!«, rief der Junge fröhlich.
»Guten Morgen, junger Herr«, schmunzelte der alte Mann vergnügt. »Schon so früh hier?«
»Ja, Justus.« Dominik stieg vom Rad. »Ich fahre mit dem Schulbus ins Gymnasium. Vorher möchte ich noch mit den anderen Kindern frühstücken. Ich finde, am ersten Schultag kann man ruhig zweimal frühstücken.«
»Natürlich, junger Herr. Du willst ja auch noch wachsen.«
»Und ob. Obwohl ich schon einer der größten in meiner Klasse bin. Aber jetzt muss ich weiter.« Er nickte dem alten Mann freundlich zu und setzte seinen Weg fort.
Justus blickte ihm nach, dabei erinnerte er sich an den Tag, als er erfahren hatte, dass Sophienlust zu einem Kinderheim umgebaut werden sollte. Nicht nur er hatte sich dagegen gestellt. Heute jedoch konnte er sich das Herrenhaus ohne die Kinder kaum mehr vorstellen. Mit ihnen war neues Leben nach Sophienlust gekommen, mit ihnen war auch er noch einmal jung geworden.
»Ja, so ist es«, murmelte er und ging weiter.
*
Indessen saßen die Kinder am Frühstückstisch und sprachen über den ersten Schultag. Malu half der Kinderschwester beim Einschenken des Kakaos. Schnell waren die Körbchen mit den frischen Semmeln geleert. Die Kinder ließen es sich schmecken.
Pünktchen blickte immer wieder zur Tür. Wo Nick nur bleibt, fragte sie sich. Als er endlich erschien, atmete sie wie befreit auf. Seitdem sie auch ins Gymnasium ging, waren für sie die Fahrten mit dem Schulbus das allerschönste vom ganzen Tag, weil sie dann neben Nick sitzen durfte.
»Guten Morgen!«, rief Nick fröhlich und setzte sich an seinen Platz.
»Guten Morgen!«, riefen auch die anderen.
»Ich dachte schon, du kämst nicht«, sagte Pünktchen.
»Wie findest du mein neues Kleid?«, fragte sie schelmisch.
»Ist das neu?«
»Aber ja, Tante Isi hat es doch gestern für mich gekauft.«
»Was Mutti aussucht, ist immer hübsch«, erklärte der Junge. Mädchenkleider interessierten ihn kaum, aber da er Pünktchen nicht kränken wollte, fügte er hinzu: »Ja, du siehst hübsch darin aus. Das Grün passt gut zu deinem rotblonden Haar und deinen veilchenblauen Augen. Aber ich glaube, du hast noch mehr Sommersprossen bekommen«, neckte er sie, weil er wusste, dass er mit dieser Bemerkung einen wunden Punkt bei ihr berührte.
»Das ist nicht wahr!«, rief sie da auch schon empört. »Nicht wahr, Isabel, du hast doch auch gesagt, dass meine Sommersprossen allmählich verschwinden.« Hilfe suchend blickte sie ihr Gegenüber an.
»Ja, Nick, Pünktchen hat bestimmt weniger Sommersprossen als früher«, versicherte das dunkelhaarige Mädchen mit den ernsten Augen.
»Na ja, ich kann mich ja auch geirrt haben.« Nick grinste.
Die Schwestern Angelika und Vicky kicherten. Sie fanden es immer sehr lustig, wenn Pünktchen und Nick sich zankten.
»Nick, lass Pünktchen in Ruhe«, bat die bereits sechzehnjährige und dementsprechend vernünftige Malu.
»Ich ärgere mich ja schon nicht mehr!«, rief da Pünktchen und lachte schon wieder übers ganze Gesicht.
»Misch dich lieber nicht ein«, riet Isabel. »Das führt zu nichts.«
»Ich weiß.« Malu blickte auf ihre Armbanduhr.
Da rief auch schon Frau Rennert von der Tür her: »Beeilt euch, Kinder. Die Busse warten schon im Hof.«
Die Kinder standen auf und holten ihre Schulmappen.