Fürstenkrone Classic 42 – Adelsroman. Viola MarquardtЧитать онлайн книгу.
Mein lieber Jaßnitz!
Besten Dank für Ihr Schreiben, das ich schon früher beantwortet hätte, wenn mich die Ernte in diesen Wochen nicht so in Anspruch nähme. Sie wissen ja, wie das ist: Wenn sich der Gutsherr nicht um alles selbst kümmert, machen die Leute, was sie wollen. Immer auf Trab! Aber ich wünsche es mir nicht anders. »Pflichterfüllung ist das erste!«, pflegte mein seliger Vater immer zu sagen. Nun zu Ihnen. Sie fragen ungeduldig, ob ich schon mit meiner Tochter Edith gesprochen habe. Lieber Jaßnitz, ich sagte Ihnen doch: nicht vor Ditschas dreiundzwanzigstem Geburtstag. Sie werden sich also noch ein paar Wochen gedulden müssen. Ich verstehe nicht, warum Sie es gar so eilig haben. Meine Zustimmung haben Sie, und damit ist die Angelegenheit bereits so gut wie geregelt. Ich habe meine Kinder zu Gehorsam und Pflichterfüllung erzogen. Keines von ihnen würde es wagen, sich ernsthaft gegen meinen Willen aufzulehnen. Ein bisschen Geplänkel gibt es freilich immer, zumal meine gute Melanie als schwache Mutter nicht immer die Festigkeit an den Tag legt, die gerade wünschenswert wäre. Wenn Sie aber fürchten, Ditscha könnte eine andere Wahl treffen als die von mir gutgeheißene, dann sind Sie auf dem Holzweg.
Freilich: Ditscha hat einen etwas schwierigen Charakter. Sie werden ein Weilchen brauchen, ehe Sie das ungebärdige Füllen gezähmt haben! Aber da Sie sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt haben – bitte sehr! Jedenfalls wird Ditscha aber meinen Befehlen gehorchen, ebenso wie Egon und Marianne. Also keine Sorge, lieber Jaßnitz! An Ditschas Geburtstag holen Sie sich Ihr Jawort, und unterm Weihnachtsbaum wird Verlobung gefeiert, basta! Die Hochzeit kann dann im Frühjahr stattfinden. Das habe ich Ihnen versprochen – und dabei bleibt es.
Sonst ist auf Bornhagen alles wohlauf. Meine kleine Marianne lernt unter Führung ihrer Mutter die Wirtschaft und stellt sich dabei nicht ungeschickt an. Egon gefällt sich in Berlin. Na, sobald ich mich zur Ruhe setze, hat das fröhliche Leutnantsleben ohnedies ein Ende. Dann heißt es, die Waffe mit dem Pflug vertauschen. Am liebsten bliebe er Offizier, aber daraus wird nichts. Ein Born gehört nach Bornhagen, das ist sein angestammter Platz. Sie fragen, wie es beim Nachbarn steht? Darauf kann ich Ihnen nur antworten: es interessiert mich nicht. Mit den Leuten will ich nichts zu tun haben. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und ich gehöre nicht zu denen, die angetanes Unrecht vergessen.
Lieber Jaßnitz, halten Sie sich’s zugute, dass ich Ihnen einen so langen Brief geschrieben habe – den längsten seit meinen Bräutigamstagen, glaube ich!
Schlägt die Kur an? Dann werden wir Sie ja bald wiedersehen. Ich kann mir unter einer Kur nichts vorstellen. Hab’ mein Lebtag so etwas nicht nötig gehabt.
Es grüßt Sie bestens
Ihr aufrichtiger Freund
Karl Ludwig von Born
Aufatmend legte der Baron die Feder beiseite, faltete den Briefbogen, schob ihn in den Umschlag und schrieb mit seiner charakteristischen steilen Handschrift die Adresse darauf: Freiherrn Waldemar von Jaßnitz, Karlsbad, Hotel Drei Mohren.
Als er eben die Siegellackstange über die Kerze hielt, klopfte es.
»Herein!«, rief er etwas unwillig.
Die Tür öffnete sich leise.
»Karl Ludwig – störe ich?«, fragte eine sanfte Stimme.
»Komm nur herein, Melanie.« Born erhob sich galant. Sein Gesicht, das von buschigen Brauen und einem ebensolchen Schnurrbart beherrscht wurde, entspannte sich merklich!
Nach fast fünfundzwanzig Ehejahren war Baron Born seiner Frau noch immer von Herzen zugetan. Ja, eigentlich mehr als damals, als er sie, dem Wunsch seines Vaters entsprechend, zur Frau genommen hatte. Damals hatte er die sanfte, schüchterne Melanie im stillen eine »pingelige Zierpuppe« genannt. Aber im Laufe der Zeit war ihm klargeworden, was er an ihr hatte.
Frau Melanie war noch immer schön. Man sah ihr ihre achtundvierzig Jahre ebenso wenig an wie ihre drei erwachsenen Kinder. Kein graues Fädchen war in ihrem glatt gescheitelten aschblonden Haar. Ihre Taille war mädchenhaft schlank geblieben, und die wundervollen blauen Augen hatten sich ihren rührend scheuen Ausdruck bewahrt.
Jetzt glitten sie ängstlich über den Brief, der auf der juchtenledernen Schreibmappe lag.
»Du hast an Jaßnitz geschrieben, Karl Ludwig?«
Born nickte.
»Ich konnte ihn nicht länger auf Antwort warten lassen. Sonst schlägt bei ihm womöglich die Kur nicht an!«, fügte er launig hinzu.
Der ängstliche Zug auf Frau Melanies Antlitz vertiefte sich.
»Meinst du denn, dass es richtig ist, Karl Ludwig? Jaßnitz ist vierzig – um siebzehn Jahre älter als Ditscha.«
»Na – und?« Borns Tonfall ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er keinerlei Einspruch duldete. »Siebzehn Jahre sind gar nichts. Die Ehen, in denen der Mann viel älter ist als die Frau, sind die besten. Er wird Ditscha auf Händen tragen.«
Frau Melanie unterdrückte einen tiefen Seufzer.
»Und Ditscha – glaubst du, dass sie sich auf Händen tragen lassen will?«, wagte sie zu erwidern.
Born runzelte die Brauen.
»Na, hör mal!«, polterte er. »Warum denn nicht? Sie kann von Glück sagen, dass ein Mann wie Jaßnitz sich für sie interessiert! Die jungen Herren hat sie ja alle vergrault mit ihrer Kratzbürstigkeit und ihrer Klugschnackerei! Die mögen so was Blaustrümpfiges nicht. Froh können wir sein, dass Jaßnitz sie haben will!«
In Frau Melanie regte sich der Mutterstolz. »Aber, Karl Ludwig«, entgegnete sie mit sanftem Vorwurf. »Unsere Ditscha … Weit und breit gibt es kein hübscheres Mädel.«
»Aber auch kein eigensinnigeres«, so murrte Born. »Ich möchte wissen, von wem sie das hat.«
Ein Lächeln glitt über Frau Melanies Gesicht.
»Weißt du das wirklich nicht, Karl Ludwig? Ditscha ist dir doch wie aus dem Gesicht geschnitten. Und auch sonst … Ihr seid euch ähnlicher, als ihr selber wisst. Darum geratet ihr ja immer aneinander.«
»Na, erlaube mal!«, verwahrte sich der Baron. »Bin ich etwa eigensinnig, dickköpfig, rechthaberisch?« In aller Unschuld zählte er seine eigenen Eigenschaften auf. »So ein Grünschnabel weiß doch noch gar nicht, was für ihn am besten ist. Dafür sind ja wir Eltern da, mit unserer Erfahrung, unserer Weltkenntnis, damit wir den Kindern den rechten Weg weisen!«
»Gewiss, Karl Ludwig!« Frau Melanie legte dem Gatten versöhnlich die Hand auf den Arm. »Du willst gewiss das Beste für die Kinder. Aber ob das, was uns das Beste dünkt, auch wirklich das Beste ist?«, sagte Frau Melanie leise. Ihr sorgenvoller Blick glitt wieder zu dem Brief auf Borns Schreibtisch. Sie seufzte …
*
Zur gleichen Zeit stand die, um die es ging, in der guten Stube des Doktorhauses vor dem alten Hausarzt der Borns, Dr. Lowitz.
Edith von Born, genannt Ditscha, war eine trotz ihrer Jugend auffallende Erscheinung. Groß und schlank, mit reichem dunklem Haar und tiefblauen Augen, einem feinen, klugen Gesicht und wunderbar ebenmäßigen Zähnen, wäre sie ein bezauberndes Geschöpf gewesen, hätte der trotzige Mund nicht verraten, dass in der schönen Hülle ein ungebürdiger, eigenwilliger Geist wohnte.
»Kind, Kind!«, seufzte der alte Arzt. »Diese Heimlichkeiten wollen mir gar nicht gefallen. Wenn Ihr Vater davon erfährt – na, ich will mir lieber erst gar nicht ausmalen, was dann passiert. Sie kennen ihn ja, Ditscha.«
Der Arzt, der allen Born-Kindern auf die Welt geholfen hatte, durfte sich diese vertrauliche Anrede gestatten.
Der trotzige Zug um den jungen Mund verstärkte sich.
»Ja, Onkel Doktor – und eben darum. Ich bin seine Tochter«, sagte Ditscha und warf den Kopf in den Nacken.
»Er glaubt, weil ich ein Mädchen bin. Warum ist das so, Onkel Doktor? Warum dürfen wir Mädchen nichts Ordentliches lernen? Wäre ich ein Junge, so hätte Vater gewiss erlaubt, dass ich die Universität besuche! Dann wäre er sogar stolz auf mich gewesen! Aber ich bin ja nur ein Mädchen! Und Mädchen sind dazu da, ein