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Mami 1980 – Familienroman. Karina KaiserЧитать онлайн книгу.

Mami 1980 – Familienroman - Karina Kaiser


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tion> Mami – 1980 –

      Eine junge Frau kam die breite, mit einem dunkelblauen Läufer belegte Treppe herunter und betrat die pompöse Eingangshalle. Die Frau war sehr einfach gekleidet und paßte überhaupt nicht in dieses Hotel mit dem unvergleichlichen Ambiente der Gründerjahre. Die Preise für eine Übernachtung hier konnten sich nur die besser gestellten Leute leisten, eine Frau in einem einfachen geblümten Sommerkleid sicher nicht. Man konnte sie beinahe für eines der Küchenmädchen halten, doch der Mann an der Rezeption grüßte sie sehr respektvoll. Sie nickte ihm freundlich zu und verließ dann das Hotel.

      Es war schon längst Abend, aber im Sommer war es ja lange hell. So machte es der jungen Frau nichts aus, den knappen Kilometer bis zu ihrem Ziel zu Fuß zu geben. Und dieses Ziel war ein gut besuchtes Lokal, in dem immer samstags ein Single-Tanzabend stattfand. Ein freier Tisch war nicht zu entdecken, was die Frau jedoch nicht zum Umkehren veranlaßte. Mit erstaunlicher Sicherheit ging sie zum Oberkellner und sprach leise mit ihm. Er schien sie zu kennen, denn er nickte und ließ kurz darauf sehr diskret einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen in eine Nische stellen, aus der vorher in aller Eile eine große Blumenvase entfernt worden war.

      Die übrigen Gäste bemerkten diese Anordnung gar nicht, sie hatten mit sich zu tun. Wer hierher kam, der suchte Anschluß. Die junge Frau auch, zumindest vorübergehend.

      Eine kleine Kapelle spielte mal flotte und mal langsame Melodien, die die junge Frau jedoch kaum wahrnahm. Sie bestellte sich Wein und Wasser und beobachtete dann die männlichen Gäste sehr eingehend.

      Sie war bald enttäuscht. Keiner war dabei, der einer näheren Betrachtung wert schien. Sie überlegte gerade, ob sie wieder gehen sollte, als zwei junge Männer den Saal betraten. Sie waren beide schlank und gutaussehend. Doch der Frau gefiel der Dunkelhaarige besser. Sie wußte nicht genau, warum. Aber sein Gesicht wirkte so intelligent. Jetzt lachte er seinem Freund zu. Und dieses Lachen gefiel ihr. Die Frau atmete heimlich auf. Vielleicht würde sich dieser Abend doch noch lohnen.

      *

      »Na, bereust du nun, daß du doch mitgekommen bist?« fragte Frank Mellenthin seinen Freund Norman Markgraf.

      »Nein, aber eigentlich weiß ich nicht so recht, was ich hier soll. Ich halte so etwas für ungenutzte Zeit.«

      »Ungenutzte Zeit?« ereiferte sich Mellenthin. »So etwas kannst auch nur du sagen. Willst du immer mit einem Fachbuch ins Bett gehen?«

      »Natürlich nicht. Aber ich bin nicht davon überzeugt, daß man gerade hier seine Traumfrau findet. Ein zweites Mal kriegst du mich nicht mehr hierher.«

      »Du wirst noch mal zum Einsiedler«, meinte der andere kopfschüttelnd. »Man ist nur einmal jung, diese Zeit muß man nutzen. Oder hat es endlich bei dir und einer der hübschen Schwestern gefunkt?«

      »Im Dienst bin ich nur Arzt und habe anderes zu tun, als mit einer hübschen Schwester anzubändeln. Außerdem sind die meisten in festen Händen.«

      Norman trank einen Schluck von seinem Rotwein und ging dann doch dazu über, genauso wie sein Freund, die anwesenden Damen diskret zu mustern. Inzwischen spielten die Musiker einen langsamen Walzer, einen Tanz, den Frank Mellenthin besonders liebte.

      »Ich habe da hinten eine nette Blondine entdeckt«, sagte er. »Mal sehen, ob ich bei der landen kann.«

      Weg war er, und Norman war allein. Allerdings nicht lange, eine junge Frau kam auf ihn zu und fragte leise: »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

      Er blickte sie verblüfft an. Sie war eigentlich nicht sein Typ, viel zu dünn, aber sie hatte schöne dunkle Augen, eine angenehme Stimme und irgendein Flair, das er nicht beschreiben konnte.

      Und doch sagte er fast widerwillig: »Aber bitte sehr.«

      Sie bedankte sich, setzte sich ihm gegenüber und sah ihn abwartend an.

      »Was möchten Sie trinken?« fragte er höflich.

      »Eine Weißweinschorle bitte.«

      Er winkte der Bedienung, bestellte zweimal die Schorle und fragte anschließend: »Wohnen Sie hier in Berlin?«

      »Nein. Ich besuche zur Zeit Bekannte. Doch die sind heute abend in der Oper. Und da ich nicht ganz allein herumsitzen wollte, bin ich hierher gegangen.«

      »Interessieren Sie sich nicht für die klassische Musik?«

      »Doch, aber ›Madame Butterfly‹ ist mir zu traurig.«

      Er lächelte nachsichtig. »Wenn das Leben ohne Leid und Mühe wäre, wüßte man die schönen Dinge wahrscheinlich gar nicht zu schätzen.«

      »Das ist wahr«, gab sie zu. »Aber es muß die richtige Balance zwischen beidem geben.«

      »Da haben Sie nun wieder recht. Wenden wir uns heute der heiteren Seite zu. Wollen wir tanzen?«

      »Gern.« Sie stand auf und ging mit ihm zur Tanzfläche. Norman legte einen Arm um ihre Mitte und zog sie dichter zu sich heran. Sie roch so gut. Wahrscheinlich irgendein teures Parfüm, dachte er flüchtig. Sie tanzte auch gut, schmiegte sich sogar an ihn, ohne aufdringlich zu wirken. Und sie gefiel ihm immer besser.

      Als sie vom Tanzen zurückkamen, saß Frank Mellenthin mit seiner Blondine am Tisch. Spitzbübisch grinsend schaute er seinen Freund an.

      »Nun sind wir ja schon zu viert. Ich werde den Ober bitten, noch zwei Stühle an unseren Tisch zu bringen.«

      »Das ist nicht notwendig«, sagte die Frau an Normans Seite. »Ich habe da hinten auch einen Tisch.« Sie sah Norman fragend und bittend zugleich an.

      Dieser fühlte sich seltsam be­rührt.

      Er wollte einen anderen Vorschlag machen und erwiderte doch: »Gute Idee.«

      Er wünschte seinem Freund und der molligen Blondine noch einen schönen Abend, folgte der jungen Frau und setzte sich zu ihr.

      »Nun haben wir unsere Weinschorle am anderen Tisch stehen lassen«, stellte er gleich darauf fest und wollte aufspringen, um die Getränke zu holen.

      In diesem Augenblick stand der Ober an ihrem Tisch und fragte nach ihren Wünschen.

      »Wir sitzen jetzt hier«, sagte die Frau gelassen. »Würden Sie bitte unsere Weinschorle hierher bringen und anschließend…« Sie blickte Norman wieder fragend an. »Was wollen wir noch trinken?«

      »Bleiben wir doch bei diesem Weißwein, allerdings ohne Wasser.«

      »Aber gern«, antwortete der Kellner zuvorkommend und eilte raschen Schrittes davon.

      Norman hatte den Eindruck, als wenn er beinahe »Gnädige Frau« zu seiner neuen Bekannten gesagt hätte.

      Wer mochte sie sein?

      Und als die Weinschorle und der Wein vor ihnen auf dem Tisch standen, hob er sein Glas, stieß es leicht gegen das ihre und meinte fröhlich: »Auf einen schönen Abend. Ich heiße Norman Markgraf und lebe allein.«

      »Jona Horn«, erwiderte sie, »auch alleinstehend.«

      Später erzählte sie ihm, daß sie als Zimmermädchen in einem renommierten Hotel an der Ostsee arbeitete, und er schilderte ihr seinen Werdegang, bis er sich Doktor für Kinderheilkunde nennen durfte.

      »Das war ein langer Weg für Sie«, entgegnete sie und atmete leise auf.

      Er bemerkte es nicht.

      Es wurde tatsächlich ein sehr schöner Abend.

      »Sehe ich dich wieder?« fragte er, nachdem sie noch ein Stück spazierengegangen waren, und er sie zum Abschied innig ge­küßt hatte.

      »Ich reise morgen schon wieder ab. Aber wenn du willst, könnten wir gemeinsam Urlaub machen, bei uns an der Ostsee. Ich kenne da eine kleine, preisgünstige Pension…«

      »Das ist ja prima!« rief er erfreut. »Ich rufe dich an, wann ich Urlaub nehmen kann. Hoffentlich klappt es dann auch bei dir. Ich kann mir denken, daß du während der Saison vielleicht schlecht frei bekommst.«

      »Ich kriege das schon hin, sei unbesorgt.« Zärtlich streichelte sie seine Wange, und dann stiegen sie in das Taxi, das er vor einer


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