Fritz Thurn. Galante Expeditionen. AnonymЧитать онлайн книгу.
Fritz Thurn
Galante
Expeditionen
Cupitora
Vorwort des Übersetzers und Herausgebers
Im Frühling des Jahres 1915 wurde Rittmeister von T., Friedensprofessor an der Rostocker Universität, einige zwanzig Kilometer hinter der Argonnenfront auf Schloss »La Quiquette«, unweit der Ortschaft Conchéri einquartiert. Der Herr Professor brachte der Beobachtung seiner unwichtigen eintönigen Dienstpflichten weniger Interesse entgegen als den historischen Schätzen des Schlosses, denen er sich eifrigst widmete. La Quiquette war von seinen Bewohnern nach dem siegreichen Vorstoße der Deutschen fluchtartig geräumt worden. Die kostbaren Antiquitäten, Gobelins, Perlmuttarbeiten aus dem 16. Jahrhundert, vor allem aber das komplette goldene Tafelservice mit dem Wappen des Kardinals Richelieu waren ohne jede Sicherung zurückgeblieben und wie durch ein Wunder in dem von der Heerstraße abseits liegenden Schlosse den Augen der Hyänen, die jeder Armee folgen, entronnen.
Der gewissenhafte Gelehrte hielt es für seine Aufgabe, jene Schätze, nachdem er sie genügend studiert hatte, eigenhändig zu verwahren und sorgfältig in Kisten zu verpacken, die er dann am Schlossboden verstaute, nicht ohne vorher jeder Kiste einen Zettel anzuheften, auf dem zu lesen war, dass von T., Rittmeister im 3. Regimente Jäger zu Pferd, persönlich die Sichtung und Inventarisierung des Inhaltes vorgenommen habe.
Nachdem er derart die materiellen Werte soweit als möglich für die legitimen Eigentümer gesichert hatte, wandte er sich den für profane Augen minder verlockenden Schätzen der Bibliothek und des Archivs zu. Die Ausbeute seiner bibliophilen Nachforschungen war äußerst gering, außer einer Erstausgabe von Scarron, einigen in Leder gebundenen, nie publizierten Predigten von Flechiér und einem reich mit Stichen garnierten Rabelais, einem Quartbande aus dem Jahre 1518, war nichts zu finden, was seinem Spürsinn Befriedigung verschafft hätte.
Reich dagegen war seine Ausbeute an Schriften, die er den alten kupferbeschlagenen Truhen entnahm, um sie nach erfolgter Durchsicht wieder sorgfältig an Ort und Stelle zu bringen. Da gab es unter anderem einige Briefe der Königin Anna an die Frau von Chevreuse, die für Geschichtskunde nach ihrem Inhalt einen erheblichen Wert hatten, vor allem aber die gesamte galante Korrespondenz des Maréchal Richelieu, Großneffen des gewaltigen Kanzlers, jenes Heerführers, der während 65-jähriger Berufsausübung unzählige Siege im Alkoven, aber keinen einzigen am Schlachtfelde hatte feiern können.
Diese seichten erotischen Briefe interessierten den Herrn Professor nur wenig. Er fand aber daneben ein Bündel von vierzehn, männliche Schriftzüge aufweisende Briefe, die seine Aufmerksamkeit in höchstem Grade wachriefen. Sie waren von dem Herrn Chevalier Edmond de Grammont an die Herzogin von Richelieu gerichtet. Über die Person des Herrn Chevalier kann ein Zweifel für den Kenner der Gesellschaft im Zeitalter von Ludwig XIV. nicht bestehen. Er hat sich mehr als tapferer Offizier denn als Literat hervorgetan. Weniger leicht ist die Identität der Adressatin festzustellen. Man wäre sofort versucht zu glauben, dass diese Adressatin in der Person der Gattin des Maréchal Richelieu zu suchen ist, die letzterer auf Ludwig XIV. Befehl ehelichen musste, um die bösen Gerüchte über sein Verhältnis mit der Herzogin von Bourgoigne verstummen zu lassen. Sie war jene unglückliche Frau, die den heiß geliebten frivolen Gatte in der Bastille aufsuchte und ihn vergebens daselbst zur Beobachtung seiner ehelichen Pflichten zu verhalten trachtete, nachdem er zähneknirschend der rücksichtslosen Ordre der Majestät pariert, dann aber im Trotz die aufgezwungene Gattin von seinem Lager gestoßen hatte. Das Bild, das wir uns von jener Pseudo-Gattin des Maréchal machen, stimmt nun so wenig mit den Zügen der Dame überein, die uns aus den Briefen des Chevalier de Grammont entgegenblickt, dass wir uns zu dem Glauben gedrängt fühlen, es handle sich um zwei verschiedene Personen. Zu diesem Schlusse kam auch der Herr Professor, ohne allerdings einen Fingerzeig für die Eruierung der wirklichen Briefempfängerin geben zu können. Vielleicht wissen andere die richtige Lösung dieser Personalfrage zu finden.
Er hat auf neutralem Wege die Schlosseigentümer von der sorgfältigen Verwahrung ihres Gutes benachrichtigen lassen und ihnen dabei mitgeteilt, dass er die Briefe nach Beendigung seiner Studien zurückstellen werde. Nach dem Zusammenbruche erhielt er von den Besitzern von »La Quiquette« ein Antwortschreiben, in dem neben dem Erstaunen über sein anerkennenswertes korrektes Verhalten auch dem herzlichsten Danke Ausdruck gegeben wurde. Die vierzehn Briefe, die ihm so wertvoll zu sein scheinen, solle er sich aber nur als Zeichen ihrer Erkenntlichkeit behalten; sie bäten sich nur aus, dass eine Publikation in Frankreich nicht erfolge.
Der Herr Professor hat mich mit der delikaten Aufgabe betraut, die Übersetzung und Herausgabe der Briefe vorzunehmen. Ich habe von den vierzehn Stücken zwei als zur Veröffentlichung minder geeignet ausgeschieden. Mit Bedauern habe ich sie kassiert. Dennoch war ich versucht, noch andere dieser hiemit in Übersetzung der Öffentlichkeit übergebenen, kuriosen Schriftstücke den Weg des Orkus der Vergessenheit antreten zu lassen. Was in französischer Sprache noch charmanten, mindestens aber noch erträglichen Ausdruck gewinnt, das wirkt in unserer tieferen, herberen Muttersprache häufig allzu krass, mitunter geradezu abstoßend. Vergebens müht man sich ab, von einer zur anderen eine gangbare Brücke zu schlagen. Sollte dieses mühevolle Ziel dennoch im allgemeinen vom Übersetzer erreicht worden sein, ohne dass des Lesers zögernder Fuß auf den unvermeidlich schlüpfrigen Stellen jener Brücke ausgleitet, so soll sich darüber freuen
der Herausgeber
Erster Brief
Liebe, verehrte Freundin!
Nun liege ich wieder vor den Mauern von Breisach und habe während der verdammten langweiligen Belagerung des kaiserlichen Nestes Zeit genug, Ihnen, liebe Tante, den versprochenen ausführlichen Bericht über die Abenteuer der letzten Wochen vor ihre noch immer anbetungswürdigen Füßchen zu legen. Ach, wie oft habe ich schon als fünfzehnjähriger Junge diese entzückenden Füßchen der charmantesten Tante, die je ein nichtsnutziger Neffe hatte, mit meinen frommen Küssen bedeckt. Wie oft bin ich dann mit meinen brennenden, bebenden Lippen andächtig und auf jede Nervenerregung von Ihnen lauernd, aufwärts gewandert, über die ganz schmalen Fesseln, die die Hand eines vierjährigen Kindes hätte umschließen können, über die schlanken, die heraldisch graziösen Waden, über die rosigen Knie mit ihren provokanten Grübchen, in denen es verräterisch zuckte, wenn meine Küsse zu wirken begannen und über die prallen, marmorglatten Schenkel, die ich gewöhnlich schon rascher passierte, da mich das Endziel, das atlasgepolsterte mysteriöse Veilchennest, magisch anzog. Ach, was waren es doch für himmlische Zeiten, als Sie, zwar mit ein wenig geringschätzig geschürzten Lippen, aber doch so geschickten, weichen Händchen den unschuldigen, dummen, in unsäglicher Liebe zu Ihnen zuckenden Jungen in die frühlingsduftige Laube zogen, um alle Schleier fallen zu lassen, die manchem Unkundigen bis an sein Lebensende verborgen halten, was sein wahres, sein einziges Glück hätte werden können. Wie war ich Ihnen für alle Lehren dankbar – und wie bin ich’s noch heute! Nur einen kleinen Teil meiner großen Dankesschuld trage ich ab, wenn ich mein Versprechen halte und Ihnen wahrheitsgetreu und ohne jede Beschönigung über alle Episoden meines der Liebe geweihten Lebens berichte, die mir einigermaßen des Erzählens wert erscheinen. Sie werden mir zugeben, dass ich Ihnen schon ein recht respektables, wenn auch nicht durchwegs wohlriechendes Bukett von solchen Episoden überreicht habe und dass Ihr nunmehr schon bald siebenundzwanzigjähriger Schüler sich wirklich nicht ganz erfolglos bemüht hat, seiner angebeteten Lehrmeisterin würdig zu werden. Nun gut, die neue Blüte wird Sie hoffentlich ergötzen.
Vor einigen Wochen hatte ich eine Geheimbotschaft aus dem Lager nach Versailles zu überbringen. Ich machte mich, nur von meinem alten, treu ergebenen Blaisois begleitet, auf die Reise. Am dritten Tage hatten wir Nancy verlassen und wir näherten uns einen einsam gelegenen Kloster, einer Dependance des Stiftes Cluny. Ich kannte das Kloster, da ich bereits einmal dort übernachtet hatte und ich wusste, dass es nur von Nonnen und einigen adeligen Zöglingen bewohnt sei. An das Kloster schließt sich ein weitläufiger, mit einer hohen Mauer umgebener Park, die entlang wir nun reiten mussten, um zur Klosterpforte zu gelangen. Die helle Junisonne