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Liebeskunst. OvidЧитать онлайн книгу.

Liebeskunst - Ovid


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      Ovid

      Liebeskunst

      Aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht

      Reclam

      Durchgesehene Ausgabe 2020

      1962, 2020 Philipp Reclam jun. jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2020

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961125-9

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019411-9

       www.reclam.de

      Erstes Buch

      Einleitung

      Kennt einer in diesem Volk die Liebeskunst nicht, so lese er dieses Gedicht und sei danach ein Meister in der Liebe! Kunst steuert1 Schiffe, die mit Segel und Ruder angetrieben werden, Kunst lenkt leichte Wagen, Kunst muss auch Amor lenken. [5] Automedon ging geschickt mit Wagen und geschmeidigen Zügeln um, Tiphys war auf dem Argonautenschiff Steuermann. Mich hat Venus zum Lehrmeister für den zarten Amor bestellt. So mag ich denn Amors Tiphys und Automedon heißen. Er ist zwar wild, so dass er sich oft gegen mich sträubt, [10] aber er steht noch im Knabenalter, das bildsam ist und sich lenken lässt. Der Sohn der Phillyra2 bildete Achill als Kind im Zitherspiel aus und dämpfte seinen wilden Sinn durch die sanfte Kunst. Er, der so oft die Bundesgenossen, so oft die Feinde erschreckt hat, soll den Greis, so alt er auch war, sehr gefürchtet haben; [15] die Hände, die Hektor zu spüren bekommen sollte, streckte er hin, um Hiebe zu empfangen, wenn der Lehrer es verlangte. Chiron ist der Lehrer für Achill, ich bin es für Amor. Beide Knaben sind wild, beide von Göttinnen geboren. Doch auch des Pflugstiers Nacken bequemt sich unter das schwere Joch, [20] und das stolze Pferd scheuert mit dem Zahn das Gebiß. So wird mir Amor nachgeben, mag er mir mit seinem Bogen die Brust auch noch so tief verwunden, mag er auch seine Fackeln schütteln und schwingen! Je schwerer mich Amor getroffen, je heftiger er mich gebrannt hat, desto besser tauge ich zum Rächer für die mir zugefügte Wunde. [25] Ich will nicht lügen, o Phoebus3, du hättest mir deine Künste verliehen; mich mahnt auch keine Vogelstimme aus der Luft, und Clio und ihre Schwestern4 sind mir nicht erschienen, während ich in deinen Tälern, Ascra, Schafe hütete. Erfahrung ist die Triebfeder dieses Werkes! Gehorcht dem kundigen Seher! [30] Wahres werde ich singen. Mutter Amors, steh mir in meinem Unternehmen bei! Bleibt fern, feine Kopfbinden, Kennzeichen der Sittsamkeit, und du, langer Besatz, der die Füße halb bedeckt! Wir werden sicheren Liebesgenuss und erlaubte Heimlichkeiten besingen, und in meinem Gedicht wird kein Verbrechen gelehrt.

      [35] Erstens bemühe dich, einen Gegenstand für deine Liebe zu finden, der du jetzt als Rekrut in der Liebe zum ersten Mal deinen Dienst antrittst. Die nächste Aufgabe ist, das Mädchen deiner Wahl durch Bitten zu erweichen; die dritte, der Liebe lange Dauer zu verleihen. So weit unser Plan. Auf diesem Feld wird unser Wagen seine Spur ziehen, [40] an dieser Wendemarke unser eilendes Rad scharf vorbeistreifen.

      Wo sind Mädchen zu finden?

      Solange es dir freisteht und du am lockeren Zügel überall umherschweifen kannst, erwähle die, zu der du sagen willst: »Du allein gefällst mir.« Sie wird zu dir nicht vom blauen Himmel herabfallen, du musst schon mit eigenen Augen nach einem geeigneten Mädchen Ausschau halten. [45] Der Jäger weiß wohl, wo er für die Hirsche die Netze spannen soll, er weiß wohl, in welchem Tal der zähneknirschende Eber sich aufhält; den Vogelstellern sind die Büsche bekannt; der Mann, der die Angelrute hält, weiß, in welchen Gewässern viele Fische schwimmen; du auch, der du einen Gegenstand für eine dauerhafte Liebe suchst, [50] lerne zuvor, wo Mädchen in großer Zahl zu finden sind! Ich will dir nicht befehlen, auf deiner Suche die Segel dem Wind anzuvertrauen; um fündig zu werden, brauchst du nicht mühsam einen weiten Weg zurückzulegen. Lass doch Perseus seine Andromeda von den schwarzen Indern holen und den Phryger5 die Griechin rauben! [55] Dir wird Rom so viele und so schöne Mädchen geben, dass du sagst: »Diese Stadt hat alles, was es je auf der Welt gegeben hat.« Wie viel Saatfelder Gargara hat, wie viel Reben Methymna, wie viel Fische das Meer, wie viel Vögel das Laub birgt, wie viel Sterne der Himmel, so viele Mädchen hat dein Rom! [60] In der Stadt ihres Aeneas hat seine Mutter ihr Standquartier aufgeschlagen. Lockt dich die früheste, noch heranwachsende Jugend, werden dir wirkliche Mädchen unter die Augen kommen; begehrst du eine junge Frau, werden dir tausend gefallen. Du wirst die Qual der Wahl haben! [65] Und wenn dich vielleicht das reife und weisere Alter erfreut, so wird auch diese Schar, glaube mir nur, mehr als zahlreich sein!

      Verschiedene Treffpunkte in Rom

      Schlendre du nur lässig im Schatten der Säulenhalle des Pompeius6 dahin, wenn die Sonne in das Zeichen des herculischen Löwen getreten ist7, [69] oder dort, wo zu der Stiftung des Sohnes die Mutter die ihre8 hinzugefügt hat, ein Bauwerk, reich an ausländischem Marmor. Vermeide auch nicht die Säulenhalle, die, mit alten Gemälden geschmückt, nach ihrer Gründerin die livianische9 heißt, und auch diejenige10 nicht, in der die Beliden sich befinden, die es wagten, ihren unseligen Vettern den Tod zu bringen (ihr grausamer Vater steht mit gezücktem Schwerte da). [75] Lass dir auch nicht das Fest des Adonis11 entgehen, um den Venus weint, und den geheiligten siebten Tag12, den der syrische Jude feiert! Meide auch nicht den memphitischen Tempel der Göttin in Kuhgestalt13 mit ihren linnenen Gewändern! Sie macht aus vielen Mädchen das, was sie selbst für Iuppiter war. Auch die Marktplätze sind – wer könnte es glauben? – für die Liebe geeignet, [80] und auf dem wortreichen Forum hat so mancher seine Flamme gefunden. Wo beim marmornen Tempel der Venus14 die appische Nymphe Springbrunnen in die Luft schießen lässt, dort wird oft der Rechtsgelehrte von Amor ergriffen, und wer für andere Vorsichtsmaßregeln traf, trifft für sich selbst keine. [85] Dort fehlen oft dem Beredten die passenden Worte, und ein neuer Fall kommt auf ihn zu: Er muss seine eigene Sache vertreten. Über ihn lächelt Venus vom benachbarten Tempel. Wer eben noch Anwalt war, begehrt jetzt, Klient zu sein.

      Das Theater

      Du aber geh vor allem im Rund des Theaters auf Jagd: [90] Dieses Gebiet ist ergiebiger, als du es in deinen kühnsten Wünschen erhoffst. Dort findest du etwas zum Lieben, etwas zum Spielen, dort findest du, was du einmal berühren und was du festhalten willst. Wie Ameisen in langem Zuge dicht durcheinanderwimmeln, wenn sie ihre gewohnte Speise im körnertragenden Munde befördern, [95] oder wie Bienen, wenn sie ihre geliebten Waldtäler und duftenden Weideplätze erreicht haben, um Blumen und Thymianspitzen schwärmen, so eilen fein herausgeputzte Frauen zu den gut besuchten Spielen. Oft hat die reiche Auswahl mich mit meinem Urteil zögern lassen. Sie kommen, um zu schauen, sie kommen, um sich selbst anschauen zu lassen. [100] Das ist ein gefährlicher Ort für die Keuschheit! Du, Romulus, hast als erster die Spiele aufregend gestaltet, als die geraubten Sabinerinnen die frauenlosen Männer erfreuten! Damals hing weder über dem marmornen Theater ein Sonnensegel, noch war die Bühne von Krokusessenz gerötet. [105] Dort waren einfach Laubbäume aufgestellt, die das waldreiche Palatium hervorgebracht hatte; so kam eine kunstlose Szene zustande. Auf Stufen aus Rasenstücken saß das Volk, und Kränze aus dem nächstbesten Laub bedeckten das struppige Haar. Die Männer schauen zurück, und jeder fasst das Mädchen ins Auge, [110] das er will, und in verschwiegener Brust bewegen sie so manches. Und während zur rohen Melodie des etruskischen Bläsers der Tänzer dreimal mit dem Fuß auf den geebneten Boden stampfte, gab der König mitten im Beifall (der Beifall war damals noch nicht gesteuert) dem Volk das erwünschte15 Zeichen zum Beutemachen. [115] Alsbald springen sie auf, bekunden ihren Willen durch Geschrei und ergreifen mit gieriger Hand von den Jungfrauen Besitz. Wie Tauben, die verängstigte Schar, vor Adlern fliehen und wie das zarte Lamm vor dem Anblick der Wölfe, so fürchteten sie sich vor den Männern, die sich, als gäbe es kein Gesetz, auf sie stürzten. [120] Allen Mädchen wich die Farbe aus den eben noch roten Wangen; denn die Furcht war ein und dieselbe und hatte doch viele Gesichter: Ein Teil rauft sich das Haar, ein Teil bleibt fassungslos sitzen, die eine schweigt betrübt, die andere ruft vergeblich nach der Mutter; diese klagt,


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