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Narzißmus als Doppelrichtung. Lou Andreas-SaloméЧитать онлайн книгу.

Narzißmus als Doppelrichtung - Lou Andreas-Salomé


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e/> Narzißmus als Doppelrichtung.

      I.

      Was es auf sich hat mit dem Freudschen Narzißmusbegriff, das stellte sich erst allmählich immer bedeutsamer heraus, und erklärt damit vielleicht, warum, auch bei Gegnern und Dissidenten, der Name so wenig diskutiert wurde, als deckten bereits sonstige Benennungen den gleichen Begriff. Ursprünglich, solange Narzißmus tautologisch für Autoerotismus stand, war das ja in der Tat der Fall; als Freud ihn dann übernahm, zur Kennzeichnung jener Libidophase, wo, nach autoerotischer Selbst- und Weltverwechslung des Säuglings, die erste Objektwahl auf das Subjekt selber fällt, da rührte er dadurch zugleich schon an ein weiterreichendes Problem: »Das Wort ›Narzißmus‹ will betonen, daß der Egoismus auch ein libidinöses Problem sei, oder, um es anders auszudrücken, der Narzißmus kann als die libidinöse Ergänzung des Egoismus betrachtet werden.« (Freud, Metaps. Erg. d. Trl.) Also kein Beschränktsein auf einzelnes Libidostadium, sondern als unser Stück Selbstliebe alle Stadien begleitend; nicht primitiver Ausgangspunkt der Entwicklung nur, sondern primär im Sinne basisbildender Dauer bis in alle spätern Objektbesetzungen der Libido hinein, die darin ja, nach Freuds Bild dafür: nur, der Monere gleich, Pseudopodien ausstreckt, um sie nach Bedarf wieder in sich einzubeziehen. Allerdings stellte Freuds Einführung des Narzißmusbegriffs in die theoretische Psychoanalyse von vornherein zu dessen Definition fest, daß die psychischen Energien: »im Zustande des Narzißmus beisammen und für unsre grobe Analyse ununterscheidbar sind, und daß es erst mit der Objektbesetzung möglich wird, eine Sexualenergie, die Libido, von einer Energie der Ichtriebe zu unterscheiden.« Mithin als Grenzbegriff gesetzt, über den Psychoanalyse nicht hinaus kann, bis zu dem hin sie jedoch therapeutisch zu dringen hat, als dem Punkt, wo krankhafte Störung erst ganz sich zu lösen, Gesundheit sich zu erneuen vermag, weil »krank« und »gesund« daran letztlich falsche oder rechte Aufeinanderbezogenheiten der zwei innern Tendenzen bedeuten, je nachdem diese sich hemmen oder fördern.

      Indem beides sich am personellen Träger vollzieht, grenzt es, mit dessen steigender Bewußtheit seiner selbst, sich desto undeutlicher voneinander ab: macht den Umstand immer noch unmerklicher, daß im libidinös Gerichteten sich etwas durchsetzt, was der Einzelperson als solcher entgegengerichtet bleibt, was sie löst, zurücklöst in dasjenige, worin sie vor ihrer Bewußtheit noch für alles stand, wie alles gesamthaft für sie. Denn sollen Icherhaltungs-, Selbstbehauptungstriebe sich von libidinösen überhaupt begrifflich streng trennen, so kann Libido nichts anderes besagen als eben diesen Vorgang: diesen Bindestrich zwischen erlangter Einzelhaftigkeit und deren Rückbeziehung auf Konjugierendes, Verschmelzendes; im narzißtischen Doppelphänomen wäre sowohl die Bezugnahme der Libido auf uns selbst ausgedrückt als auch unsere eigene Verwurzelung mit dem Urzustand, dem wir, entsteigend, dennoch einverleibt blieben, wie die Pflanze dem Erdreich, trotz ihres entgegengesetzt gerichteten Wachstums ans Licht. Wie wir ja auch in den Körpervorgängen die geschlechtliche Weitergabe gebunden sehen an indifferenziert bleibende kleinste Totalitäten, und wie in unseres Körpers »erogenen Zonen« Überlebsel wirksam sind eines Infantilstadiums, aus dem die Organe sich längst in Dienstbarkeit der Icherhaltung aufteilten(1). Die Frage lautet auch gar nicht: ob's theoretisch vielleicht doch angängig sei, den narzißtischen Doppelsinn eindeutig zu fassen, sei es, den Ichtrieb der Libido zu überantworten (als entspräche z. B. auch das Ernährungsbedürfnis noch einer Art von Konjugation mit dem Außer-uns), oder umgekehrt die Libido dem Bemächtigungsbestreben des einzelnen (als einer Ich-Habgier), zu unterstellen. Nein, nicht solches ist die Grundfrage, sondern es geht um die innere Verschiedenheit von Erlebnissen, die durch zweierlei Namengebung auseinandergehalten wird, anstatt durch gewaltsames Vereinheitlichen des Begriffs sie zu verwischen. Nachgehen, so weit wie möglich, so tief wie tunlich, den verborgenen lebendigen Tatbeständen: um das handelt sichs Freudscher Psychoanalyse, und dazu allein bedient sie sich des populären Gegensatzes von Ich- und Sexualtrieben. Darum erschiene es mir als Gefahr, wenn am Narzißmus seine Doppelseitigkeit nicht als sein Wesentliches betont bliebe, wenn durch Wortverwechslung mit bloßer Selbstliebe sein Problem sich sozusagen ungelöst erledigte. Ich möchte deshalb jene andere, fürs Ichbewußtsein zurücktretende, Seite daran – die der festgehaltenen Gefühlsidentifizierung mit allem, der Wiederverschmelzung mit allem als positivem Grundziel der Libido(2), an einigen Punkten hervorkehren, und zwar an dreien: innerhalb unserer Objektbesetzungen, innerhalb unserer Wertsetzungen, und innerhalb narzißtischer Umsetzung ins künstlerische Schaffen.

      Zunächst jedoch, schon vorweg des »trocknen Tones satt«, möchte ich von einem Bübchen erzählen, an dem mir besonders eindringlich zu beobachten vergönnt war, wie wir mit unserm Ichwerden nicht nur in die neuen Freuden bewußterer Selbstliebe drängen, sondern nicht minder das Ich sich uns vorerst aufdrängen kann als Einbuße an der Lust passiver Aufgenommenheit in das von uns noch nicht voll Unterschiedene. Um die Zeit dieses Doppelereignisses von Einbuße und Zuschuß begann das Bübchen sich aus einem zärtlich zutraulichen in ein weinerlich erbostes zu wandeln; es schlug, und nicht zum Scherz, die sehr geliebte Mutter, zeigte abwechselnd Zorn- und Angstzustände, und hätte sein Leid doch kaum klarer auszudrücken vermocht, als einst ein kleiner sprachkundigerer Leidensgenosse es dem geärgerten Vater gegenüber mit dem bittern Vorwurf tat: »Du bist so frech, und ich bin so traurig.« Die letzte Ursache zu alledem stellte sich damit heraus, daß das Leid sich löste, sobald das Bübchen aufgehört hatte, von sich in dritter Person zu reden, sobald, gleich schmerzlich durchbrechendem Zahn, das erste »Ich« sich ihm entrang. Einstweilen aber galt das neue Wort nur bei den, alltäglich gewordenen, Zusammenstößen mit der Umwelt; die Augenblicke alter Harmonie fanden immer noch statt des »Ich« das »Bubele« vor. So erklärte er jemandem, der ihn in den Winkel gestellt sah: »Ik bös!« hinterdrein jedoch, strahlend auf die Mutter zulaufend, verkündigte er: »Bubele wieder gut!« Erst nach Monaten trat endgültig das Bubele zurück, und ein völlig anderes als das verzweifelt böse Gesicht lugte durch den Türspalt herein, wenn er, eintretend, mit betonter Würde, die Anwesenden wissen ließ: »Ik komme!« Nun erst war die ständige Gekränktheit, die tiefe, erschrockene, geschwunden, unser aller Urkränkung: über das unbegreifliche Sichpreisgegebensehen an die eigene Vereinzelung, deren Unbegreiflichkeit sie eben als von außen bedingte erscheinen ließ. Mit jedem Schlag oder Schrei wider geliebte Personen, jedem rächenden Wehetun hatte zugleich letzte Wollust sich ausgeschwelgt, etwa in den Tränen der Mutter die verlorene Identität schmerzhaft wiedergenießend. Wie solcher kindliche Sadismus für die meiner Ansicht nach bisweilen doch nur sekundäre Natur des Sadistischen spricht, wenigstens als Umschlag aus unsern noch unbewußten Identifizierungen, so zeigt er vielleicht auch, wie unerhört nahe der Ödipuskomplex ihm gelegen ist: gerade seine überraschende Kraßheit gewinnend aus dieser Überstülpung der schweifenden Gefühlsweite in die Enge des Bewußtwerdens der eigenen Vereinzelung und damit in die Ichaggression. Übrigens war beim Bübchen mit der Ichgeburt der innere Widerstreit noch nicht vollends abgetan: das geschah erst durch eine Erscheinung, von der ich wohl weiß, daß ihr, durchaus nicht seltenes Vorkommen recht verschieden begründet sein kann, die in diesem Sonderfall sich aber gar deutlich als Notersatz für die eingebüßte Allesbedeutung betrug. Das Bübchen schmuggelte nämlich einen kleinen unsichtbaren Gefährten in die Welt seiner neuen Erfahrungen ein, dessen leiblichen Umriß er einem Bilderbuch entnahm, worin blumenbekränzten Kindern ein lustiger Junge voraufsprang, mit den Worten darunter: der Mai ist gekommen. Junge Mai ergab fortan den ergänzenden Doppelgänger zu des Bübchens jeweiliger Schicksalslage: er hatte, je nach Bedarf, als froh oder betrübt, brav oder bös, beschenkt oder bestraft, ja als tot oder lebendig ihm das Komplement zu stellen; ergings dem Bübchen wenig nach Wunsch, so labte es sich an des Mai's um so ungemessenern Wunscherfüllungen; wo aber des Glückes Überfluß das Bübchen umzuwerfen drohte (wie zu Weihnachten angesichts des Baumes und der Gabenfülle), da entschied es kurzerhand: »heute dem Mai nichts!«, und beidemale war ersichtlich, daß nicht Neid oder Schadenfreude daran mitwirkten: am glücklicheren Mai tröstete, am leer ausgehenden Mai mäßigte das Bübchen sich, in jener einzig echten »Selbstlosigkeit« des noch nicht ganz zu Alleinbesitz mit sich gelangten Selbst. Im gleichen Grade, wie dieser Alleinbesitz sich festigte, erschien der Mai minder ständig, hatte er weiteren Weg zurückzulegen bis ans Haus, das er anfänglich mitbewohnte; später zog er gar in eine benachbarte Ortschaft und endlich mußte er sich zu Bahnbenutzung bequemen und Bahnzeiten innehalten. Als ich nach Bayern abreiste, bekam ich ihn zum Reisegeleit, und bei mir verstarb er des Todes, wodurch er sozusagen bayerisch lokalisiert blieb, nach meinem Aufenthalt befragt, versicherte das Bübchen drum: »die Lou, die ist nun im Himmel.« Hinzuzufügen bliebe noch, daß – gewissermaßen


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