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Am Ball oder balla-balla?. Thomas FuchsЧитать онлайн книгу.

Am Ball oder balla-balla? - Thomas  Fuchs


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in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. In den Jahren 1887/1888 experimentierte der Physiker Heinrich Hertz an der Technischen Hochschule Karlsruhe mit elektromagnetischen Wellen. Eigentlich wollte er ganz was anderes erforschen, aber schließlich baute er eine primitive Antenne, mit der Funkwellen sage und schreibe 20 Meter weit übertragen werden konnten. Anfang des 20. Jahrhundert verbesserten unter anderem der Italiener Marconi und der Russe Popow das Verfahren. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs gab es zwischen Landstationen und großen Schiffen regelmäßigen Funkverkehr, im Krieg wurde die neue Technik militärisch genutzt und weiterentwickelt.

      Da Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hatte, schränkten die Siegermächte die zivile Nutzung des Rundfunks ein. Erst am 24. Oktober 1923 wurde der Rundfunkempfang für private Nutzer freigegeben. Und fünf Tage später, am 29. Oktober 1923 meldete sich dann der erste Rundfunksender: „Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig.“

      Das Vox-Haus in Berlin stand damals in der Potsdamer Straße Nr. 10, und „genehmigungspflichtig“ bedeutete, dass jeder Hörer sich mittels eines Schreibens als rechtmäßiger Besitzer eines Radios ausweisen musste. Die erste Sendung dauerte eine Stunde, wurde von der „Deutschen Stunde AG“ finanziert und nannte sich: „An Alle“. Inhaltlich ging es um Musik, und das Ganze war so aufregend, wie man sich eine Show vorstellen kann, die von einem „Unterhaltungsrundfunkdienst“ veranstaltet wird. Am Flügel saß der möglicherweise zu Unrecht vergessene Otto Urack, außerdem wurden dem Hörer beschwingte Melodien aus der Oper „Der Troubadour“ ans Herz gelegt. Zum Ende der Sendung gab es ebenfalls noch eine Schallplatte. Die Kapelle des Infanterie-Regiments III/9 spielte unter der Leitung von Obermusikmeister Adolf Becker die Nationalhymne, die damals noch mit „Deutschland, Deutschland über alles“ begann.

       Idee zur Rundfunkabgabe

      Wie gesagt, das erste Programm dürfte bei niemandem, und bei den wenigen lauschenden Bastlern wohl erst recht nicht, zu Herzrasen und Aufregung geführt haben, aber ein Anfang war gemacht. Im folgenden Jahr gingen acht weitere Rundfunkgesellschaften auf Sendung. Das Innere der Sender sah damals noch aus wie die Schaltpulte von Kraftwerken. Und die neuen Antennen, oft über hundert Meter hoch, wurden immer mal wieder von Postflugzeugen beschädigt. Aber nicht nur deshalb kostete der Rundfunk Geld. Die Investitionen waren enorm, weshalb der Rundfunkpionier Hans Bredow auf eine Idee kam. 1908 war über Friedrichshafen ein Zeppelin-Luftschiff abgestürzt, was die Nation in Trauer und Bestürzung versetzte. Die Luftschifffahrt galt damals als Zukunftstechnologie, von so einem Rückschlag durfte man sich nicht entmutigen lassen, weshalb zu einer nationalen Zeppelin-Spende aufgerufen wurde. Ein ähnliches Modell schwebte Bredow für den Rundfunk vor. Jeder Deutsche – egal ob er einen Empfänger hatte oder nicht oder ob er überhaupt den Wunsch hatte, Radio zu hören – sollte mit einer Gebühr den neu aufzubauenden Rundfunk finanzieren. Zwar wurde damals noch von dieser Idee Abstand genommen, aber in gewisser Weise ist Bredow damit auch der geistige Vorvater der Rundfunkabgabe, die den öffentlich-rechtlichen Sendern heutzutage milliardenschweren Grundumsatz garantiert. Es ist schön zu wissen, dass offenbar so gut wie alles in Deutschland eine Tradition hat.

      In vielen Darstellungen der Rundfunkgeschichte wird der Eindruck erweckt – oft mit dem Verweis auf die Propagandasender der Nazis und den Staatsfunk der DDR –, dass der öffentliche-rechtlich organisierte Rundfunk so etwas wie der natürliche Aggregatzustand des Mediums sei, aber das ist nicht ganz richtig. Als die Reichsrundfunkgesellschaft gegründet wurde, gab es vielerlei Kooperationen zwischen privaten Unternehmen und der öffentlichen Hand. Im Rückblick ist dabei auffällig, dass sich nur eine Nachrichtenagentur an den neuen Gesellschaften beteiligte und dass die Zeitungsverleger in der Weimarer Republik kaum Interesse am neuen Medium zeigten. Das sollte sich später ändern.

      Waren die ersten Rundfunkgesellschaften noch in einer Rechtsform organisiert, die man heute als Public Private Partnership bezeichnen würde, arbeitete schon 1932 Reichskanzler Franz Papen daran, beim Rundfunk für absolute Staatsnähe zu sorgen. „Der Rundfunk soll dem Reich und den Ländern gemeinsam gehören“, lautete sein Credo, Minderheitsgesellschafter wurden sukzessive rausgekauft. Als die Nazis im Januar 1933 an die Macht kamen, mussten sie sich ein Propagandainstrument nicht neu schaffen. Sie konnten Papens Vorarbeit problemlos fortsetzen. 1933 mussten die Regionalgesellschaften ihre Anteile an das Propagandaministerium verkaufen, 1936 ging der letzte Werbespot durch den Äther, und 1939 war der Großdeutsche Rundfunk geboren.

      Was das neue Medium betraf, war die Privatwirtschaft von nun an für lange Zeit auf die Geräteherstellung beschränkt. Aber nicht nur das gesendete Programm hatte sich geändert, auch die Bezeichnung der Wellen sollte sich ändern. Der praktizierende lutherisch-evangelische Christ Heinrich Hertz galt nach den Rassevorstellungen des Dritten Reichs als Jude, dummerweise war sein Name „Hertz“ ausgerechnet 1933 als Maßeinheit für die Frequenz bestimmt wurden. Da man an der Abkürzungen „Hz“ nichts ändern konnte, versuchte man in Deutschland, „Hertz“ durch die Bezeichnung „Helmholtz“ zu ersetzen. Durchsetzen konnte sich diese Idee jedoch nicht.

      Preußen Münster – Arminia Bielefeld vor 6.000 Zuhörern

      Doch nun zurück zum Programm. Nun war es ja ganz schön, wenn jemand im Funkhaus eine Schellackplatte auflegte oder die Kohlenmikrofone bald so gut gedämpft waren, dass mittlerweile sogar Konzerte übertragen werden konnten, aber die wahre Macht des neuen Mediums zeigte sich erst bei der Übertragung von Großereignissen. Dafür musste die Technik mobil gemacht werden. Das sah oft abenteuerlich aus – Bilder von den ersten Liveübertragungen erinnern entfernt an den verrückten Doc Brown aus Zurück in die Zukunft –, aber es funktionierte. Am 28. Juni 1925 wurde zum ersten Mal eine Ruderregatta aus Frankfurt vom Main übertragen. Reporter war hier Dr. Paul Laven, der später zu einigem Ruhm gelangen sollte. Am 1. November 1925 lief auch das erste Fußballspiel über den Äther. Dr. Bernhard Ernst war ein junger Journalist (und Preußen-Mitglied), um die Jahrhundertwende geboren und früher selbst aktiver Sportler, der 1922 an der Uni Münster zum Thema „Sportpresse und Sportberichterstattung. Mit besonderer Berücksichtigung Westdeutschlands“ promovierte. Da war er gerade mal 23 Jahre alt. Dr. Ernst holte also seinen Doktortitel in einem Alter, wo damals viele Studenten gerade mal das Thema für die erste Hausarbeit zusammenhatten. Im Frühjahr ging er zur „Westdeutschen Funkstunde“. Natürlich wäre schon damals Köln der naheliegende Standort für einen westdeutschen Radiosender gewesen, aber da das Rheinland noch besetzt war, fiel die Wahl eben auf Münster, wo auf dem Betriebsgelände der Stadtwerke am Albersloher Weg ein Funkhaus eingerichtet worden war.

      Gegen halb drei soll der Anstoß erfolgt sein, in der Bezirksklasse (die damals höchste Spielklasse) spielte Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld. Wie viele Zuschauer live den 5:0-Sieg der Arminen sahen, ist nicht überliefert. Nicht wenige Quellen orientieren sich an der Kapazität des Preußenstadions, das in den zwanziger Jahren ca. 40.000 Zuschauer fasste. Allerdings wurde nach Angaben auf der Vereinsseite das Stadion erst ein Jahr später erbaut. Dennoch kann man wohl davon ausgehen, dass im Stadion mehr Zuschauer waren als Zuhörer vor den Rundfunkgeräten, denn Dr. Ernst erreichte nur um die 6.000 Hörer. Darüber hinaus hatte er mit diversen Schwierigkeiten zu kämpfen. Um den Reporter vor Kopfschüssen zu schützen, wurde ihm aus einem Hockeytor eine Art Käfig gebaut, in dem sich auch das Mikro befinden sollte, allerdings nützte ihm das nichts, denn ein Postbeamter im Funkhaus fand es äußerst merkwürdig, dass da eine seltsame Leitung aus dem Studio in Richtung Stadion lief, und kappte sie vorsichtshalber. (Möglicherweise war dieser Zwischenfall auch die Geburtsstunde des Fußballschlachtrufs „Ostwestfalen – Idioten!“, aber das ist nur so eine Vermutung.) Bis die Leitung wieder hergestellt war, musste Dr. Ernst übers Telefon kommentieren. Es sollte nicht der letzte technische Zwischenfall sein, der einen Live-Reporter zum Improvisieren zwingt.

      Aber über solche Pannen sah das schnell wachsende Publikum huldvoll hinweg. Das neue Medium war an sich so faszinierend, dass die Leute erst mal alles anhörten, Hauptsache es kam durch den Äther.

      


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