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Die Rabenringe - Fäulnis (Band 2). Siri PettersenЧитать онлайн книгу.

Die Rabenringe - Fäulnis (Band 2) - Siri Pettersen


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Pettersen

      Die Rabenringe

      Fäulnis

      Aus dem Norwegischen von Dagmar Mißfeldt

Verlagslogo

      Für alle, die Odinskind geliebt haben und das einfach nicht für sich behalten konnten.

      Und für dich und alle, denen die Erde wichtig ist. Für alle, die ihr allein kämpft, weil der Abgrund zwischen euren Träumen und unserer Wirklichkeit viel zu tief ist. Für alle, die ihr die Erde in einem besseren Zustand verlassen wollt, als ihr sie bei eurer Ankunft vorgefunden habt. Für alle, die ihr immer schon wusstet, dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind. Das hier ist euer Buch.

      Prolog

      Er hockte da draußen im Tunnel zum Bahnsteig, ein Pappschild an die Beine gelehnt. Fettige Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht, aber kein Zweifel: Er war es. Und die Tür der U-Bahn wollte gerade zugehen.

      Stefan schubste ein Kind weg und boxte sich durch das Gedränge. Er war froh, dass er die Kopfhörer aufhatte. Sie erstickten den Chor der Meckerer. Eine alte Frau machte den Mund auf und zu wie ein Goldfisch, aber er hatte nur Trent Reznor auf den Ohren.

       You had all of them on your side, didn’t you?

      Er musste raus. Sofort. Er hatte den Scheißkerl schon zweimal verloren und das durfte ihm nicht noch einmal passieren. Stefan warf sich gegen die Tür. Sein Arm wurde eingeklemmt, aber er kam durch. Stolperte auf den Bahnsteig, bevor die Bahn weitersauste. Es wimmelte von Leuten. Das Bunkerlicht saugte ihnen das Leben aus den Gesichtern. Sie sahen aus wie Zombies. Aber sie waren noch nicht so tot, dass sie nicht reagieren würden, wenn er es hier unten tat. Er musste einen anderen Weg finden. Einen anderen Ort.

       You believed in all your lies, didn’t you?

      Er ging in den Tunnel hinein. Der Bettler streckte eine Hand aus, ohne ihn anzusehen. Stefan grinste breit.

      »Hey, Roast.«

      Roast hob den Kopf. Ein Wiedererkennen huschte gerade noch über seine Augen, da war er auch schon auf den Füßen. Schneller, als man ihm zugetraut hätte. Er lief den Tunnel entlang. Schwarze Klamotten und zerzaust wie eine Krähe. Stefan rannte hinterher. Seine Schuhe knallten auf den Boden. Das Echo hallte von den gekachelten Wänden wider. Er streifte einen Fahrkartenautomaten, nahm die Treppe in drei Sprüngen und war draußen auf der Straße. Regen peitschte ihm ins Gesicht. Es war dunkel. Roast war nur wenige Meter vor ihm, aber dann preschte er direkt auf die Fahrbahn. Rannte zwischen Autos, die auswichen.

      Stefan verschenkte keine Zeit. Der Instinkt trieb ihn hinterher. Bremsen quietschten. Er stieß mit einer nassen Motorhaube zusammen und peste weiter. Jaulende Autohupen mischten sich mit der Musik.

       The Ruiner is your only friend, he’s the living end, to the cattle he deceives.

      Er lief quer über den Soho Square und holte ein paar Meter auf. Leute guckten ihnen hinterher, aber niemand kümmerte sich weiter darum. Nicht, solange die Beute ein Obdachloser war.

       The raping of the innocent, you know the Ruiner ruins everything he sees.

      Roast stieß die Leute auf dem St. Ann’s Court zur Seite, bog nach links ab und rannte weiter am Flat White vorbei, dem Coffeeshop, wo sie sich zum ersten Mal über den Weg gelaufen waren. Es stach in Stefans Lunge, aber er setzte alles darauf, dass Roasts Kondition schlechter war. Und er behielt recht. Der Bettler wurde langsamer. Schaute sich ratlos um und flüchtete in einen Nachtclub.

       Now the only pure thing left in my fucking world is wearing your disease.

      Stefan drängelte sich an den Leuten vorbei und hinter ihm her. Roast fiel leicht ins Auge: ein ungepflegter Wilder zwischen engen Kleidern und tiefen Ausschnitten.

       How did it get so hard? How did it get so long?

      Roast lief zu einem Notausgang. Riss die Tür auf und verschwand nach draußen. Stefan war hinter ihm, noch bevor die Tür wieder zufiel. Er stolperte hinaus in eine enge Seitenstraße. Eine Sackgasse. Der Bettler stand in der hintersten Ecke, bei den Müllcontainern. Fauchte wie ein gefangenes Tier.

       The Ruiner’s a collector, he’s an infector, serving his shit to his flies.

      »Game over, Roast.« Stefan ging auf ihn zu.

      Roast drückte sich an die Wand gegen eine Regenrinne. Verputz um die Halterungen der Rinne bröckelte ab und rieselte ihm auf die Schultern. Der Regen spülte ihn über die ausgeblichene Jacke. »Ich hab nix gemacht! Ich hab nix gemacht!«, schrie Roast hysterisch.

      Das war gelogen. Der Rufname Roast war kein Zufall, aber Stefan hatte keine Lust zu widersprechen. Es war nichts Menschliches mehr zum Diskutieren übrig.

       Maybe it’s a part of me you took to a place I hoped it would never go.

      Stefan war sich angenehm im Klaren darüber, dass er Oberwasser hatte. Die Glock konnte an der Hüfte hängen bleiben. Eine Kugel gespart. Stattdessen zog er die Zange.

       And maybe that fucked me up much more than you’ll ever know.

      Roasts Blicke jagten nach etwas, womit er sich verteidigen konnte. Er riss eine Metallhalterung von der Regenrinne ab. Die Bolzenschrauben fielen auf den Asphalt. Er begann, auf seine eigenen Zähne einzuschlagen. Die Lippen platzten auf. Die scheinbare Abwesenheit von Schmerzen ließ darauf schließen, dass Adrenalin bei Weitem nicht der einzige Stoff in seinem Körper war, der seine Wirkung tat.

       And what you gave to me, my perfect ring of scars.

      Roast spuckte in die hohle Hand und streckte Stefan den Arm entgegen. »Nimm sie, nimm sie! Du kannst mich nicht anrühren, dann finden sie dich! Die Bullen finden dich!« Es regnete rot aus seinem Mund, als er das schrie.

      Stefan guckte die beiden Zähne an. Weiße Klumpen in der schmutzigen Hand. Regen sammelte sich um sie zu einer blutigen Pfütze.

      »Idiot«, antwortete er. »Den Bullen ist es scheißegal, woran du krepierst. Niemand gibt auch nur einen Penny, um das rauszufinden. Du bist vergessen. Schon vergessen?«

      Stefan wartete eine Reaktion nicht ab. Er donnerte ihm den Ellenbogen auf die Nase. Roasts Kopf knallte gegen die Wand. Er fing die Zähne auf, bevor Roast zu Boden ging. Dann schleppte er den bewusstlosen Körper in die Ecke zum Container. Der Müll quoll unter dem Deckel hervor, als würde er sich übergeben. Die Gerüche vermischten sich. Verfaultes Essen. Blut. Und die stechende Ausdünstung, die verriet, dass Roast es mit den Toilettenbesuchen nicht mehr so genau nahm. Vielleicht verständlich nach über hundert Jahren.

      Stefan brach ihm das Genick. Roast war robust. Zwei Versuche waren nötig, bis er das Knacken hörte.

      Er steckte die Zähne in die Jackentasche und überprüfte den Tatort. Keine Fenster. Keine Kameras. Keine Menschen. Er war in Sicherheit. Der Asphalt glänzte. Der Regen trommelte auf den Containerdeckel. Stefan fuhr sich mit der Hand durchs nasse Haar. Er verstaute die Zange wieder in der Tasche. Zog die Jacke zurecht und stellte die Lautstärke höher.

       You didn’t hurt me, nothing can stop me now.

      Das Loch

      »Alles, worum wir bitten, ist Seelenfrieden«, sagte Telja Vanfarinn und legte die Hand auf ihre Brust. Die Kette, die sie sich mehrfach um den Hals gelegt hatte, klirrte.

      Rime musste fast lachen. Jeder hätte dieses Schmierentheater durchschaut, auch ohne in Mannfalla aufgewachsen zu sein. Ihr Kleid war kohlrabenschwarz und von dramatischem


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