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Einstürzende Gedankengänge. Ulrich LandЧитать онлайн книгу.

Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land


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      Land

      Einstürzende Gedankengänge

      Eifel/Island-Krimi mit Rezepten

      Ulrich Land

      Einstürzende Gedankengänge

      Eifel/Island-Krimi mit Rezepten

      Haftungsausschluss: Die Rezepte dieses Buchs wurden von Verlag und Herausgeber sorgfältig erwogen und geprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Die Haftung des Verlags bzw. des Herausgebers für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

      © 2010 Oktober Verlag, Münster

      Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung des

      Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster

       www.oktoberverlag.de

      Alle Rechte vorbehalten

      Satz: Claudia Rüthschilling

      Umschlag: Tom van Endert

      unter Verwendung eines Fotos von LP12inch/photocase.com

      Rezepte: Ulrich Land

      Herstellung: Monsenstein und Vannerdat

      ISBN 978-3-938568-41-5

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

       1

      Stammt das Geschrei, das dich da aus diesem schwarzen Traum reißt, von deinem verfluchten Wecker oder vom nicht weniger verfluchten Handy? Heh Mann, du bist auf Island. Warst die ganze Nacht auf Island. Mal wieder mit dem größten Gletscher da gekämpft. Und hast nicht gesiegt. – Okay okay, du sattelst ja schon die Hühner. Knallst mit deiner frisch ausgebeulten, aber immerhin metallic-blau nachgespritzten Blechpocke durch die Schluchten der Steinwüste längs der Saarstraße. Merkwürdig, dass deine Hände das Steuer irgendwie treffsicher einschlagen, während du immer noch deinem Islandschocktraum nachsinnst und deine Augen bloß diese verdammt hohe, verdammt harte, kalte Eiswand im Visier haben. Im Visier haben wollen. Wer, verflucht, besitzt die Frechheit, an den Marionettenfäden zu ziehen, die an deinen Kopf und die Schultern geknotet sind? Du kannst machen, was du willst, du funktionierst einfach. Wer weiß, vielleicht liegt es auch bloß daran, dass der CD-Player in deiner Karre mal wieder genau die richtige Musik zu bieten hat. »Wir fordern etwas Abwechslung in uns’rer Umlaufbahn, endgültige Befreiung von Newtons Schwerkraftwahn, keine Gravitätlichkeiten, fliegen fällt sonst schwer«, singruft Blixa Bargeld zu Schrottschlagwerk und mit dem Bogen gequälter E-Gitarre, bevor der Punkchor loslegt, »nur was nicht ist, ist möglich.« Okay okay: Röntgenstraße. Röntgen Ecke Goethe. Bin schon unterwegs.

      »Hier, Sheriff, kommen Sie hier durch«, natürlich die blecherne Stimme der Mahnemannschen, »hier hinten!«

      »Wie kommt das eigentlich, verdammt und zugenäht, dass Sie grundsätzlich vor mir an Ort und Stelle sind? Aber auch jedes Mal!«, rufst du ihr vorsorglich schon mal zu, während du dich durch das emsige Kellertreiben der Kollegen nach vorne durchruderst.

      Unversehens stehst du in einem hell erleuchteten Kellerraum. Du hältst die Hand vor die Augen, um das gleißende Scheinwerferlicht wenigstens ein bisschen abzumildern. Das erste, was du siehst, als du wieder was siehst, ist: das Kind. Spätestens jetzt ist Island restlos verschwunden, der Traum zu Ende.

      Du musst, musst einfach woanders hinsehn. Tust so, als würdest du dich rasend für die Arbeit der Spurensicherung interessieren, der Kamera beim Blitzen zusehn, den Schritten beim Durcheinanderrennen zuhören. Du willst alles, nur jetzt nicht kotzen müssen! Das nicht, nicht das. Jetzt. Vor der Mahnemannschen und der versammelten Mannschaft. Also redest du, redest auf Deibel komm raus.

      »Scheiße«, sagst du und weißt, wie recht, wie verflucht recht du hast. »Ich war ja auf allerhand gefasst, aber das ...!«

      Muss man mal vor seinem inneren Auge durchspielen: Da stehst du also im Keller eines ganz gewöhnlichen Mietshauses. Offenbar wenig frequentiert. Seit keine Kohlen und Kartoffeln mehr eingelagert werden, geht man eh nur noch einmal im Vierteljahr runter. Ziemlich verwaist, der ganze Keller. Trotzdem alles akkurat und ordentlich, die Türen brav in Reih und Glied, die Flurwände in makellosem, wenn auch schon etwas vergilbtem ... Nur der Putzdienst, der scheint seit Monaten nicht mehr ... obwohl einer der Mieter mit beamtischer Akribie einen Plan fabriziert und an die Kellerflurtür ... Dran angebunden ein speerspitzer Bleistift. Auf dem Putzplan erkennst du zwar ein paar Häkchen und Namenskürzel, aber das letzte Mal scheint da vor mehreren hundert Jahren einer was eingetragen zu haben. Wahrscheinlich ist der Putzkalenderbeamte längst ... Und du findest dich also am Ende des Flurs in diesem Keller hier wieder. Die Tür von den Kollegen aufgebrochen. Der Leichengestank könnte zwar deutlich penetranter ausfallen, reicht aber allemal, dir den Atem zu verschlagen. Du trittst noch einen Schritt vor und siehst an der Mahnemannschen vorbei und ... Scheiße! Du warst ja auf allerhand gefasst, aber das – ...!

      Das kleine Gesicht eingefallen, die Wangenknochen hervorgetreten. Unter der schlaff herabhängenden Kleidung zeichnet sich kantig der hagere Körper ab. Etliche Fingernägel gesplissen, teilweise bis zum Nagelbett abgebrochen. Passend zu den Kratzspuren am Holzverschlag des Kellerraums und an diesem Vorkriegsküchenschrank. Das Haar büschelweise ausgerissen und im ganzen Raum verteilt. Ansonsten keine Wundmerkmale erkennbar. Der Körper zusammengekrümmt auf dem staubgrauen Kellerboden. Arme, Beine angewinkelt, der Rücken rund. Die rechte Hand zwischen schwerem Kopf und kaltem Boden, die linke aufs Gesicht gelegt. Wie zur Abschirmung gegen das grelle Licht der Dunkelheit.

      »Ist Ihnen nicht gut, Herr Kommissar?«, was Intelligenteres konnte die Mahnefrau wahrhaftig nicht fragen. Nein. Dir ist nicht gut. Dir ist überhaupt nicht gut.

      »Bühren nimmt an, dass der Kleine rasend hohes Fieber gehabt haben muss und dass er schon vier, fünf Tage ...«, setzt sie an.

      »Und das da, dieser halbleere Napf, das war wahrscheinlich das Letzte, wovon er gegessen hat«, sagst du, um was gesagt zu haben. Und plötzlich merkst du: Die Routine trägt so was wie den Sieg davon und sorgt dafür, dass allmählich, so ganz allmählich die Blutversorgung des Gesichts wieder in Gang kommt. Und als wolltest du genau das unterstreichen, greifst du in den Werkzeugkoffer mit Sprechblasen: »Bloß noch Haut und Knochen, das Kerlchen.«

      Jetzt weißt du auch endlich, wieso du so plötzlich die Fassung wiedergefunden hast: Der kleine Bursche hier hat die Augen zu. Als würde er schlafen, friedlich schlafen. Verflucht noch mal, ist das gut! Du dankst Gott oder wem auf Knien, dass der Junge die Augen noch rechtzeitig hat schließen können. Vielleicht ist das grundsätzlich so bei Kindern, die sterben, schießt es dir durch den Kopf, dass sie, weil sie nicht wirklich begreifen, was da auf sie zukommt, dass sie also, sobald der Tod im Anmarsch ist, merken, da passiert irgendwas, irgendwas Besonderes, wovor man Angst haben muss – oder doch müsste –, dass sie dann sozusagen reflexartig die Augen zumachen, die Flucht ins Dunkel ergreifen und in tiefen Schlaf sinken. Dass sie also hinüberschlafen, der Horror selbst sie gar nicht mehr erwischt. Und also musst du jetzt die Todesqual im letzten Blick von dem Jungen nicht mit ansehn. Jedenfalls vermutest du mal, dass sich die Qual in den Augen abzeichnet. Vor allem in den Augen!

      Die Mahnemannsche scheint aus deiner zurückgekehrten Gesichtsfarbe geschlossen zu haben, dass du wieder einigermaßen zurechnungsfähig bist.

      »Und der Wassernapf«, quasselt sie auf dich ein, »da drüben, sehn Sie, da ist nur noch eine Pfütze drin. Und zwar genau so tief, wie ein Kind mit der Zunge kommt, wenn’s das Gesicht auf den Rand presst. Wahrscheinlich hatte der Kleine am Ende gar nicht mehr die Kraft, den Pott zum Trinken anzuheben.«

      Bevor die Farbe wieder aus deinem Gesicht weicht, gehst du schleunigst dazwischen: »Mahnemannsche, das will ich mir überhaupt


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