Geschichten aus dem Alltag. Susanne WiltingЧитать онлайн книгу.
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1. Auflage Februar 2016
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Covergestaltung: Ebozon Verlag
Coverfoto: Susanne Wilting
Layout/Satz/Konvertierung: Ebozon Verlag
ISBN 978-3-95963-228-7 (PDF)
ISBN 978-3-95963-226-3 (ePUB)
ISBN 978-3-95963-227-0 (Mobipocket)
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Susanne Wilting
Geschichten aus dem
Alltag
16 Kurzgeschichten
Ebozon Verlag
Die Handlungen in diesen Erzählungen und Kurzgeschichten sind frei erfunden. Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht beabsichtigt und reiner Zufall.
Stefan
„Was sollte das denn vorhin?“, fragt der Koch Paolo seinen Küchenchef Stefan, als sie im Innenhof von Stefans Lokal, dem „Arezzo“, kurz pausieren. Sie stehen im Dunkeln, nur eine kleine Wandleuchte gibt ein schwaches Licht. Paolo, der Italiener, ist der einzige im Küchenteam, der so mit dem Chef sprechen darf. Die beiden kennen sich seit gut zehn Jahren, haben kulinarische Streifzüge durch die Toskana unternommen und einen Teil der aktuellen Speisekarte für das Restaurant zusammen entwickelt.
Stefan fragt unschuldig zurück: „Was denn?“
Paolo reagiert genervt: „Du weißt genau, was ich meine! Musstest du Timo so anschreien? Der lässt die Schalotten doch nicht absichtlich anbrennen. Kannst du mit Azubis nicht etwas mehr Geduld haben?“
Sichtlich gereizt zuckt Stefan mit den Schultern. „Ich nehm' dir übrigens auch nicht ab, dass du ihn hinterher aus Versehen angerempelt hast. Reinen Frust hast du abgelassen, nur weil du so unter Zeitdruck warst. Gib's doch zu.“
Stefan rollt mit den Augen, sagt aber nichts.
Die Tür zur Küche geht auf und Sylvia, die Küchenhilfe steckt ihren Kopf raus.
„Hau ab, du nervst!“, schreit Stefan, blitzartig greift er sich Paolos Feuerzeug und wirft es nach Sylvia. Zum Glück prallt es an der Türfüllung ab und landet klappernd auf dem Boden.
Die Tür wird von innen zugeknallt und Paolo schüttelt den Kopf „Mensch Stefan, du bist ein begnadeter Koch, aber als Chef und Ausbilder eine Katastrophe, glaub mir das! Du brauchst Geduld. Und was das Team betrifft, vergiftest du die Atmosphäre, tut mir leid. Deine Leute sind unzufrieden, merkst du das nicht?“ Nur mit Mühe kann Stefan eine heftige Antwort unterdrücken. Mit rauer Stimme sagt er: „Ich glaube, unsere Pause ist zu Ende. Ich geh' jedenfalls wieder rein.“
Nachdenklich bleibt Paolo zurück. Er hebt sein Feuerzeug auf, zögert und zündet sich dann doch noch eine Zigarette an. Paolo inhaliert tief und denkt an Italien.
Endlich geschafft! Stefan beendet den Arbeitstag in der Küche seiner Osteria. Den Rest schaffen das Küchenteam und der Service alleine. Er ist zufrieden mit sich, das „Arezzo“ läuft gut, die toskanische Küche ist bei Gästen, sogar im weiten Umkreis der Stadt, sehr beliebt, so dass alle Tische für Wochen im Voraus reserviert sind. Erschöpft steht er in der frischen Nachtluft und schiebt den unangenehmen Gedanken an eine neue Speisekarte beiseite. Die meisten Gäste waren begeistert, keine Kritik, nicht die kleinste. Er muss endlich lernen, abzuschalten. Eventuell auch etwas gegen seine schnell aufflammende Wut unternehmen, vielleicht hat Paolo ja Recht, dass er der Stimmung in der Küche schadet. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, er kann sich Zeit dafür nehmen. Aber werden die Gäste nicht merken, dass er fehlt? Und sind Leistung und Temperament in der Küche nicht voneinander abhängig? Oder ist das nur eine faule Ausrede, um möglichst nichts zu verändern? Unentschlossen schüttelt er den Kopf, blickt in den Sternenhimmel, als ob er dort etwas finden könnte.
Auf dem Heimweg wird ihm bewusst, dass er sich wieder zu keiner Entscheidung durchringen kann. Aber eine Sache ist ihm klar geworden, sein Jähzorn, nicht sein Beruf, stellt den Grund dafür dar, dass er immer noch Single ist.
Am nächsten Abend bringt Stefan seinen Entwurf für die neue Speisekarte ins „Arezzo“ mit. Eine Viertelstunde, bevor sie mit dem Kochen beginnen, wirft Paolo einen Blick darauf und sagt Stefan spontan seine Meinung. „Erstens, ganz wichtig, du hast dich gestern Abend wieder nicht entspannt. Zweitens, die Gerichte sind viel zu schwer, zu fett. Es wird Sommer, wir servieren auch draußen, im Innenhof, Stefan. Die Leute wollen was Leichtes essen, si?“
Stefan reagiert beleidigt, er ist von seinen Ideen fest überzeugt. „Warum boykottierst du mich immer?“
Doch das kennt Paolo schon und lacht. „Ich habe nichts gegen dich, amico mio, ich will nur Sommerküche kochen. Toskanische Sommerküche.“
Stefan schnaubt verächtlich. „Das hört sich ja nur nach Salaten an. Siehst du da draußen etwa Kaninchen sitzen?“
Verunsichern lässt sich Paolo schon lange nicht mehr. „Wir können die Karte doch gemeinsam schreiben. Dann probieren wir auch gleich den neuen Vin Santo, den Massimo letzte Woche mitgebracht hat, si? Und jetzt lass' uns zaubern.“
Stefan lässt sich nicht beruhigen, will er auch gar nicht. Erst halb umgezogen, blickt er zur Kontrolle in den Gastraum, den beiden Servicekräften traut er grundsätzlich nicht. Und sofort schreit er aufgebracht „Warum ist denn hier noch nicht fertig eingedeckt? Tanja? Kerstin? Macht ihr schon Pause bevor es losgeht? Soll ich euch Beine machen oder gleich rausschmeißen, verdammt?“
Paolo geht an ihm vorbei in die Küche und sieht ihn vorwurfsvoll an.
Wütend schreit Stefan hinter Paolo her: „Meinst du, du kannst das mit der Karte besser als ich? Und von deinem Vin Santo lass ich mich bestimmt nicht einlullen! Kaninchenfutter! Pfui Teufel!“
In der Küche machen sich schon bald Schlafmangel, Stefans Wut und Ärger bemerkbar. Timo hat eine große Pfanne mit jungem Spinat und Knoblauch anbrennen lassen. Es riecht furchtbar penetrant.
Stefan schreit: „Du bist der dämlichste Azubi, den ich je gesehen habe, Mann! Mach sofort Pause! Hau ab, los!“ Er schimpft noch, als Timo schon lange verschwunden ist, prompt passiert die nächste Katastrophe, Sylvia lässt einen großen Tellerstapel fallen. Krachend zerspringt das Geschirr in tausend Scherben, während Sylvia ängstlich den Kopf einzieht und aus der Küche flieht. Alle anderen blicken erschrocken zu Stefan. „Das war's! Du fliegst, wenn du so weiter machst! Dämliche …“ Schon kocht die Wut hoch. Nur Paolo holt lässig einen Besen und beseitigt flink die Scherben.
Kurze Zeit später stehen Stefan und Paolo in der Pause wieder im Innenhof. Aus der Küche scheppert und klappert es, unterbrochen von den lauten Ansagen am Pass. „Bewundernswert, dass du bei der Laune alles so gut an den Gast bekommst.“ sagt Paolo grinsend.
„Mensch, hör' auf, ununterbrochen zu meckern, du machst es nicht viel besser.“
Jetzt sinkt auch die Stimmung zwischen den Freunden auf den Nullpunkt.
Doch Paolo kann hartnäckig sein: „Merkst du nicht, dass ich dir nur helfen will? Bei deinem Ton werden bald die ersten kündigen, Stefan. Willst du deine besten Leute verlieren?“
Lässig zuckt Stefan mit den Schultern: „In Küchen herrscht nun mal ein rauer Ton, das ist nichts für sensible Gemüter.“
Paolo