Die freundliche Revolution. Philippe NarvalЧитать онлайн книгу.
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Für Christina
INHALT
WARUM ICH DIESES BUCH SCHREIBE
Über eine abgesagte kleine Rebellion in den Salzburger Bergen und was ich als Kind über die Menschen lernte.
Von einem ereignisreichen Abend in New York, wie Ungleichheit und die Dynamiken sozialer Netzwerke unsere Demokratie gefährden und warum wir für die komplexen Probleme der Gegenwart neues politisches Handwerkszeug brauchen.
Wie ein Vorarlberger Bürgermeister gemeinsam mit seinem Dorf einen berüchtigten Mitstreiter Jörg Haiders besiegt, ein Beamter der Vorarlberger Landesregierung beginnt, den Bürgern zu vertrauen, und ein Kindergarten das Einmaleins der Beteiligung lernt.
DAS GROSSE IM KLEINEN ERKENNEN
Was Stadtentwicklung mit den Bürgern bringt, wie zwei starke Frauen von der Stadtverwaltung Dortmunds plötzlich Schätze heben und Vorurteile gegen ein verrufenes Viertel bekämpfen.
Wie junge Studenten ein Land für Verfassungsrechte begeistern, warum es gefährlich wäre, wenn Richter zu Automaten würden, wie ein Albtraum für die Schweizer Volkspartei aussieht und ein bekannter Journalist wieder Hoffnung schöpft.
Wie ein erzkatholisches Land als erstes weltweit überraschend für die „Ehe für alle“ stimmt und dabei zum Musterland der Demokratiereform wird und wie Bürger wie du und ich für die Politik die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holen.
Wie eine E-Mail über eine Penis-Fotocollage einen Parteigründer zum Zweifeln bringt, warum wir auch für unsere Siege und nicht nur für unsere Niederlagen zahlen und wie die Herzenspolitik Barcelona in Bewegung versetzt.
DIE DIGITALE REPUBLIK AUSRUFEN
Wie eine französische Abgeordnete entscheidet, die Dinge in der Politik anders zu machen, und was herauskommt, wenn 21.000 Bürger an einem Gesetz schreiben.
DIE ZUKUNFT IM DIALOG GESTALTEN
Was Papst Franziskus unter einem „guten Kampf“ versteht, warum wir bei uns selber beginnen müssen, was uns auf dem Weg zu einer neuen Beteiligungskultur helfen kann und Europa wieder näher an die Bürger bringt.
VORWORT
Im Jahr 2018 feiert Österreich 100 Jahre Republik. Die Probleme, vor denen unser Land im Jahr 1918 stand, waren so riesig, dass die Staatsgründer zur Überzeugung kamen, dass sich diese nur lösen lassen, wenn die Bevölkerung über die Wahl des Parlaments ihr Schicksal selbst mitbestimmen kann. Demokratie und freie Wahlen, die nun auch Frauen offenstanden, währten leider nicht lange. Schon wenige Jahre später legten sich die Schatten des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus über die junge Republik. So kurzlebig Demokratie und Freiheit in der Ersten Republik waren, so entscheidend wurden sie für das Wiederauferstehen unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg.
Doch das Erfolgsmodell der repräsentativen Demokratie findet heute weder inner- und noch außerhalb Österreichs uneingeschränkte Zustimmung. Der Glaube an die Demokratie als „beste“ Staatsform und das Vertrauen in den Staat und die politischen Institutionen nimmt stetig ab. Die Gründe für diesen Vertrauensverlust sind vielfältig. Unzählige Analysen widmen sich der Krise des westlichen politischen Systems, dem Phänomen des Populismus und dem Aufkommen von Extremismus. In den Diskussionen zu diesem Thema fällt auf, wie viel Zeit der Beschreibung der Probleme gewidmet wird und wie wenig Aufmerksamkeit dem Nachdenken über neue Wege zur Erneuerung der Demokratie geschenkt wird.
Mehr und mehr befeuern die Populisten unsere Debatten. Sie treten mit dem Vorwurf an, dass die regierenden Eliten den wahren Volkswillen missachten würden, und fordern die Einführung der „direkten Demokratie“. Damit meinen sie allerdings meistens bloße Ja/Nein-Abstimmungen ohne einen breiten Dialog, ohne ein Ringen um tragfähige Kompromisse und ohne Schutz von Minderheiten. Doch viele gesellschaftspolitische Zukunftsfragen lassen sich nicht auf Ja/Nein-Entscheidungen reduzieren.
Philippe Narval beschreibt, dass sogar das meist als Vorbild gepriesene Schweizer Modell der direkten Volksentscheide in die Jahre gekommen und reformbedürftig ist. In den letzten Jahrzehnten haben Parteien wie die SVP das direktdemokratische Instrument in der Schweiz nicht selten für politische Stimmungsmache missbraucht. Wenn dabei jedoch die Grundrechte in Gefahr geraten, wie es bei der Abstimmung zur sogenannten „Durchsetzungsinitiative“ im Februar 2016 der Fall war, braucht es eine aktive Zivilgesellschaft, die dagegenhält. Dass damals gerade eine kleine Gruppe von Studentinnen und Studenten unter dem Namen Operation Libero den politischen Goliath SVP in die Knie zwang, war für viele politische Beobachter eine große Überraschung und ist eines der spannendsten Kapitel des vorliegenden Buches. Den „Liberos“ gelang es, mit ihrer aufklärerischen Gegenkampagne die Schweizer Bevölkerung für die heiklen Verfassungsfragen zu sensibilisieren und am Ende die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Die Geschichte der Initiative zeigt, dass man sich nicht auf das Niveau der Populisten begeben muss, wenn es darum geht, Manipulation und billiger Stimmungsmache entgegenzutreten.
Eine konstruktive Weiterentwicklung unserer repräsentativen Demokratie darf also nicht auf die bloße Ausweitung direkt demokratischer Mittel wie Volksabstimmungen beschränkt werden. In der aktuellen politischen Lage können diese Instrumente sogar zu einer noch tieferen Spaltung der Gesellschaft führen und ebenso den europäischen Einigungsprozess blockieren. Wenn einzelne EU-Staaten über Themen, die alle Mitgliedsländer betreffen, nationale Abstimmungen organisieren, kann das schnell dazu führen, dass die EU handlungsunfähig wird. Die Volksabstimmung in Holland im Jahr 2016, an der sich nur knapp 32 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten, führte zum Beispiel dazu, dass ein wichtiges Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine zu Fall gebracht wurde. Dass im Vorfeld der Abstimmung extremistische Kräfte über soziale Medien Stimmungsmache betrieben, wirft Parallelen zum Brexit und zur US-Präsidentenwahl im