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Alles ist Zufall. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.

Alles ist Zufall - Theodor Fontane


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       Theodor Fontane (1819–1898)

      Theodor Fontane

      Alles ist Zufall

      Schriften eines Realisten

      Herausgegeben von Günther Rüther

      Inhalt

       EINLEITUNG

       1.DER JUNGE FONTANE IM FREIHEITS- UND EINHEITSFIEBER

       2.WANDERUNGEN IN DER FREMDE UND DER MARK BRANDENBURG

       3.VOM PATHOS ZUM ALLTÄGLICHEN, VON DER GESCHICHTE ZUR GEGENWART

       4.PATRIOTISMUS UND DER GEIST DES MENSCHLICHEN

       5.ZEUGEN IHRER ZEIT UND ZEITZEUGEN

       6.ERINNERUNGEN ODER WAS DAS ALTER MIT DER JUGEND VERBINDET

       7.IM ALTER NEUES VERSUCHEN

       8.SUMMA SUMMARUM

       In Gedenken an meine Eltern

      Einleitung

      Theodor Fontane hatte eine glückliche Kindheit. Er verbrachte sie in Neuruppin und Swinemünde, dem heutigen Świnoujście in Polen. Nun sind es nicht Land und Leute allein, die den Wesenszug eines Heranwachsenden prägen. Es ist aber wohl kaum zu leugnen, dass vom Ort der Geburt und Kindheit eine magische Kraft ausgeht, die sich in das Tiefengedächtnis eines Menschen dauerhaft eingräbt und in den folgenden Jahrzehnten des Lebensbaumes immer wieder auf überraschende und wundersame Weise zurückmeldet. Bei Fontane ist es jedenfalls so gewesen. Er hat es auch so empfunden. Wenn sich in den ersten Lebensjahren der Mensch entwickelt und diese Aussage mehr oder weniger »auf Allgemeingültigkeit Anspruch hat, so darf vielleicht auch diese meine Kindheitsgeschichte als eine Lebensgeschichte gelten«, schrieb er. Am deutlichsten belegen dies seine beiden Erinnerungsbücher Meine Kinderjahre und Von Zwanzig bis Dreißig, die er in hohem Alter niederschrieb. In ihnen geht es zwar vor allem um die ersten drei Lebensjahrzehnte, sie stellen aber zugleich eine Bilanz des Lebens dar, indem sie die Gegenwart und jüngere Vergangenheit in den Rückblick einfließen lassen. Wenn ich davon spreche, dass Land und Leute den Wesenszug eines Menschen beeinflussen, so ist in unserem Falle anzufügen, dass ihn mit Neuruppin und Swinemünde zwei Städte prägten, die im Grunde genommen nicht unterschiedlicher sein konnten. Nun liegen die Unterschiede nicht im Grundsätzlichen. Vielmehr handelt es sich um Unterschiede im Kleinen. Aber diese waren durchaus von Gewicht und schufen so etwas wie einen kulturellen und narrativen Spannungsbogen, der sich im Charakter von Fontane spiegelte.

      In Neuruppin erlebte er eine Stadt, die nach der großen Feuersbrunst am Ende des 18. Jahrhunderts völlig neu aufgebaut wurde. Ihre Straßen und Häuserreihen erinnern an ein Schachbrett, jedenfalls an eine rechtwinklige Ordnung, die es Fontane schon als Kind leicht gemacht haben dürfte, sich zu orientieren. Dem Besucher heute ergeht es nicht anders. Der Grund dafür lag darin, dass Preußen Neuruppin zu einer bedeutenden Garnisonsstadt ausbaute, in der schon vor dem Brand kein geringerer als der junge Friedrich als Kronprinz das gleichnamige Regiment befehligte. Fontane wuchs folglich mit dem Hurra der Bürger: »die Soldaten kommen«, ihren Platzkonzerten, Paraden, dem Donner der Manöver und dem Pfeifen der Schießübungen auf. Die Einflüsse der Garnisonsstadt und das von ihr ausgehende militärische Treiben und Getöse prägten sein literarisches Schaffen bis in das Alterswerk hinein. Zwölf bittere Jahre, in denen er über die drei preußischen Kriege als Kriegsberichterstatter Auskunft gab, zeugen davon. Seine Erzählung Kriegsgefangen und seine Reportage Aus den Tagen der Okkupation, einer Reise durch Nordfrankreich und das besetzte Elsaß-Lothringen zu Ostern 1871, sowie zahlreiche seiner Gedichte wie etwa die Balladen Männer und Helden sind ohne diese Prägungen, ohne diese tiefe Verbindung mit Preußen und seinem Militär nicht zu erklären.

      Neuruppin steht aber in seinem Leben nicht nur für Tradition, Ordnung, Geschichte und Militärwesen. Zur Stadt gehört auch der Ruppiner See mit seiner weichen Landschaft, seinen Promenaden, seinen herrlichen Sonnenuntergängen, seinen Lastkähnen, Fischern, ihren Booten und Netzen, seinen idyllischen Buchten und zum Baden einladenden Ufern. Theodor Fontane wuchs in diese Idylle hinein. Sie schärfte seine Wahrnehmungen und Empfindungen. Sie bildete den Nährboden für viele seiner Gedichte und Landschaftsschilderungen in seinen Reiseberichten und Romanen. Sein Elternhaus, die Löwen Apotheke, die das junge Ehepaar mit der Hochzeit erwarb, die Magistrale der Stadt, die zu seiner Zeit, es wird kaum überraschen, Friedrich Straße hieß und heute nach Karl Marx benannt ist, liegt nur wenige Meter vom See entfernt. Neuruppin und der See tauchen denn auch nicht nur in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg immer wieder auf, auch sein letzter großer Roman Der Stechlin setzt mit der Grafschaft Ruppin und der Beschreibung eines Sees ein. Nur handelt es sich hier um den Stechlin, häufig auch der Große Stechlinsee oder kurz Stechlinsee genannt. Er gehört zum Rheinsberger Seengebiet und liegt nicht weit vom Ruppiner See entfernt. Fontane stellt ihn dem Leser folgendermaßen vor: »Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt ›der Stechlin‹. Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und kaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren.«

      Rückblickend hat Fontane Neuruppin als eng und langweilig bezeichnet. Doch dürfte er dies als Kind kaum so empfunden haben. Für Augen und Ohren bot die Garnisonsstadt am See viele Reize, die in ihrer Widersprüchlichkeit – Naturlandschaft einerseits und militärische Ordnung andererseits – seine Empfindungen und Charakterbildung durchaus angeregt haben.

      In noch viel stärkerem Maße öffnet sich dieser Spannungsbogen in der Hafenstadt Swinemünde, der nächsten Station auf seiner Entdeckungsreise in die Kindheit. Der Umzug erschien ihm rückblickend wie die Abkehr vom Refugium zum Tor der Welt, von einer überschaubaren Schutzzone bürgerlichen Lebens, in die raue, pralle, ungeordnete, schillernde, wilde Wirklichkeit. Wenn Ruppin für ihn für ein behütetes bürgerliches Leben stand, dann Swinemünde für seine Offenheit, eine dem Schicksal des Lebens zugewandte Stadt, die in der Begegnung der Kulturen die Freuden- und Schattenseiten eines offenen Lebensentwurfes aufscheinen ließ.

      Swinemünde empfand Fontane als ein »unschönes Nest«, aber zugleich entdeckte er auch einen »Ort von ganz besonderem Reiz«. Dieser lag für ihn in seiner eigentümlichen Lebendigkeit, die Handel und Schifffahrt mit sich brachten. Der Strom, wie die Swine genannt wurde, übte einen ganz besonderen Zauber auf ihn aus. Die Flöße, Flußbagger und Handelsschiffe, die um die Welt fuhren und nicht nur Waren, sondern auch Geschichten mit in die Stadt brachten, faszinierten ihn. Sie gaben der Stadt ihr eigentümliches Flair. Spießbürgertum und Weltbürgertum bildeten eine Melange, wie sie sich damals nur in Hafenstädten entwickeln konnte. Während die Innenstadt, wo nahe dem Kirchplatz die Familie ihr neues Zuhause fand, der Betulichkeit anderer Kleinstädte nicht nachstand, entdeckte er den Hafen als Abenteuerplatz des Lebens. Fontane schilderte Swinemünde in seinen Lebenserinnerungen als Ort der Poesie, dem die Prosa auf


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