Das Nibelungenlied. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Das Nibelungenlied
Übersetzt von Felix Genzmer
Anmerkungen und Nachwort von Bernhard Sowinski
Reclam
1965, 1992, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2021
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961908-8
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-978-3-15-014190-8
Das Nibelungenlied
Erstes Abenteuer
Wie Kriemhild bei den Burgunden aufwuchs
1 Uns sind in alten Mären Wunder viel gesagtvon Helden, reich an Ehren, von Kühnheit unverzagt,von Freude und Festlichkeiten, von Weinen und von Klagen,von kühner Recken Streiten mögt ihr nun Wunder hören sagen.
2 Es erwuchs in Burgunden ein edles Mägdelein,dass in allen Landen kein schöneres mochte sein:Kriemhild war sie geheißen; sie ward ein schönes Weib.Um sie mussten der Degen viel verlieren Leben und Leib.
3 Geliebt zu werden ziemte der minniglichen Maid.Viel Recken sie begehrten; keinem war sie leid.Schön ohne Maßen, so war ihr schmucker Leib.Der Jungfrau edle Sitten wären eine Zier für jedes Weib.
4 Sie pflegten drei Könige, edel und reich:Gunther und Gernot, denen keiner gleich,und Giselher, der junge, ein ausgewählter Degen.Die Maid war ihre Schwester; die Fürsten hatten sie zu pflegen.
5 Ute ihre Mutter, die reiche Herrin, hieß.Ihr Vater, der hieß Dankrat, der das Erbe hinterließnach seines Lebens Ende, an Kraft ein mächtiger Mann,der auch in seiner Jugend großer Ehren viel gewann.
6 Die Herren waren milde, von Herkunft hochgeboren,maßlos kühn an Kräften, die Recken auserkoren,dort bei den Burgunden; so war ihr Land genannt.Sie wirkten starke Wunder später noch in Etzels Land.
7 Zu Worms an dem Rheine sie saßen in ihrer Kraft.Aus ihren Landen diente viel stolze Ritterschaftin rühmlichen Ehren all ihres Lebens Zeit.Voll Jammers später sie starben durch zweier edler Frauen Streit.
8 Die drei Könige waren, wie ich gegeben an,hohes Heldenmutes. Ihnen waren untertanauch die besten Recken, von denen man gesagt,starke und vielkühne, in scharfen Kämpfen unverzagt.
9 Das war von Tronje Hagen und auch der Bruder sein,Dankwart, der gar schnelle, von Metz Herr Ortwein,die beiden Markgrafen, Gere und Ekkewart,Volker von Alzei, in allen Kräften wohl bewahrt.
10 Rumolt war Küchenmeister, ein auserwählter Degen,Sindold und Hunold; die alle mussten pflegendes Hofes und der Ehren, den Königen untertan.Sie hatten noch manchen Recken, den ich nimmer nennen kann.
11 Dankwart war der Marschall. Da war der Neffe seinTruchsess des Königs: von Metz Herr Ortwein.Sindold, der war Mundschenk, ein auserwählter Degen;Kämmerer war Hunold. Sie konnten hoher Ehren pflegen.
12 Von des Hofes Glanze und ihrer großen Kraft,von ihrer hohen Würde und ihrer Ritterschaft,die die Herren da übten in Freuden all ihr Leben,davon könnte euch wahrlich niemand volle Kunde geben.
13 In diesen hohen Ehren träumte Kriemhilden,wie sie zöge einen Falken, einen starken, schönen, wilden,den ihr zwei Aare erkrallten: da sie das musste sehn,ihr konnt auf dieser Erde nie ein größer Leid geschehn.
14 Den Traum sie da sagte ihrer Mutter Uten.Die konnte nicht besser deuten ihn der Guten:»Der Falke, den du ziehest, das ist ein edler Mann.Ihn wolle Gott behüten; sonst ist es bald um ihn getan.«
15 »Was sagt ihr vom Manne, vielliebe Mutter mein?Ohne Reckenminne, so will ich immer sein.So schön will ich bleiben bis an meinen Tod,dass ich von Mannesminne nie gewinnen möge Not.«
16 »Lehn ab es nicht so gänzlich«, die Mutter sprach also;»sollst du je auf Erden von Herzen werden froh,das ist von Mannesminne. Du wirst ein schönes Weib,wenn Gott dir bescheret noch eines guten Ritters Leib.«
17 »Dies Wort in Ruhe bleibe, Herrin mein, fürwahr!Es ist an manchem Weibe oft schon worden klar,wie Liebe mit Leide am Ende lohnen kann.Ich muss sie meiden beide; so ficht kein Missgeschick mich an.«
18 Kriemhild hielt im Mute von Minne frei den Sinn.Sie lebte, die viel Gute, manchen Tag dahin,so dass sie niemand wusste, den sie wünschte zum Mann,bis sie doch mit Ehren einen kühnen Ritter gewann.
19 Das war derselbe Falke, den sie im Traume sah,den ihr gedeutet die Mutter. Wie rächte sie es daan ihren nächsten Magen, die ihn geschlagen tot!Durch des einen Sterben kam mancher Mutter Kind in Not.
Zweites Abenteuer
Wie Sigfrid erzogen ward
20 Da wuchs in den Niederlanden eines reichen Königs Kind,sein Vater, der hieß Sigmund, seine Mutter Sigelind,in einer reichen Feste, weithin wohlbekannt,drunten an dem Rheine; Santen war sie genannt.
21 Ich sag euch von dem Degen, wie so schön er ward.Er blieb vor jeder Schande immer wohl bewahrt.Ruhmreich und kräftig ward bald der kühne Mann.Hei, was an hohen Ehren auf dieser Erde er gewann!
22 Sigfrid war geheißen der schnelle Degen gut.Er erprobte viele Reiche in kraftbeherztem Mut.Seines Leibes Stärke bracht ihn in manches Land.Hei, was an schnellen Degen er bei den Burgunden fand!
23 Bevor der kühne Degen erwachsen war zum Mann,da hatt er solche Wunder mit seiner Hand getan,davon in aller Zukunft man singen mag und sagen,dass wir von dem verschweigen müssen viel in diesen Tagen.
24 In seinen besten Zeiten, zu seinen jungen Tagen,mochte man viele Wunder von Sigfrid schon sagen,wie Ehren ihm erwuchsen, wie schön ward sein Leib.Drum dachte sein in Minne manches anmutige Weib.
25 Man erzog ihn mit der Sorgfalt, die ziemt dem edeln Mann;durch sein eignes Wesen viel Tugend er gewann.So ward er zur Zierde für seines Vaters Land,dass man in allen Dingen wahrhaft herrlich ihn erfand.
26 Er war nun erwachsen und zu Hof zu gehn bereit.Die Leute sahn ihn gerne; manche Frau und manche Maidwünschten, dass sein Wille ihn immer zöge dahin.Ihm waren hold gar viele; das spürte wohl des Degens Sinn.
27 Nie ließ ohne Obhut man reiten ihn als Kind.Ihn ließ mit Kleidern zieren seine Mutter Sigelind.Sein pflegten auch die Weisen, denen Ehre wohlbekannt.Drum mochte er wohl erwerben beides: die Leute wie das Land.
28 Nun war er reif an Kräften, dass er Waffen trug;was dazu er brauchte, das hatte er genug.Schon sann er zu werben um manches schöne Weib.Die dachten wohl mit Ehren an des kühnen Sigfrids Leib.
29 Da ward von König Sigmund den Mannen kund gemacht,er hätte mit lieben Freunden ein hohes Fest bedacht.Die Kunde man da brachte in andrer Könige Land.Den Fremden und den Freunden gab er Ross und Gewand.
30 Wen man finden konnte, der Ritter sollte sein,von Art seiner Magen, die Edelknaben fein,den lud man nach dem Lande zu der Festlichkeit,dass mit dem jungen König das Schwert er nähme zur selben Zeit.
31 Von dem hohen Feste konnte man Wunder sagen,Sigmund und Sigelind mochten davon tragenviel Ehre durch Geschenke, die verteilte ihre Hand.Drum sah man viele Fremden zu ihnen reiten durch das Land.
32 Vierhundert Schwertdegen sollten gekleidet seinmit dem jungen König. Manch schönes Mägdeleinwar rastlos am Werke; sie waren ihm alle hold.Viele edeln Steine legten die Frauen in das Gold.
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