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Im Schlaraffenland. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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       Heinrich Mann

       Im Schlaraffenland

       Ein Roman unter feinen Leuten

      Inhaltsverzeichnis

       I. Der Gumplacher Schulmeister

       II. Das »Cafe Hurra«

       III . Die deutsche Geisteskultur

       IV. Türkheimers

       V. Ein demokratischer Adel

       VI. Die Mittel, mit denen man was wird

       VII. Eine Marotte

       VIII. »Rache!«

       IX. Politik und Volkswirtschaft im Schlaraffenland

       X. Das Vergnügen, die Menschen zu durchschauen

       XI. Die kleine Matzke

       XII. Die leben, die genießen!

       XIII. Die hohe Korruption

       XIV. Familienrat

       XV. Liebling

       XVI. Das Bedürfnis nach Reinheit

       Impressum

      I.

       Der Gumplacher Schulmeister

      Im Winter 1893 arbeitete Andreas. Er war fleißig wie ein armer Student, der nicht in alle Ewigkeit auf den Wechsel von zu Hause rechnen kann. Als es aber Frühling ward, ging eine Veränderung mit ihm vor. Während der Osterferien, die er aus Mangel an Reisegeld in Berlin verbrachte, mußte er immerfort an die Freunde denken und an die Fahrten, den Rhein zu Berge. Ein ausgiebiger Vorrat von des Vaters prickelndem Federweißen befand sich im Boot.

      Das Heimweh veranlaßte den jungen Mann zum Nachdenken. Er überlegte sich die große Zahl der Geschwister und die schlechte Ernte des vorigen Jahres. Nun, mit dem Weinberg, der nur noch alle sieben Jahre einmal ordentlich trug, würde er nichts mehr zu tun haben. Sein zukünftiges Erbteil ging bei seinem Studium im voraus drauf. Merkwürdigerweise schloß Andreas hieraus nicht, daß er um so schneller auf das Examen loszuarbeiten habe, sondern daß seine Anstrengungen gar zu wenig lohnend seien. Als mittelloser Schulamtskandidat war alles, was er tun konnte: nach Gumplach zurückkehren und auf eine Anstellung am Progymnasium warten. War das eine Zukunft für ihn, Andreas Zumsee, dessen Talent, nach Ansicht aller, zu großen Hoffnungen berechtigt hatte? Mit achtzehn Jahren hatte er Gedichte gemacht, mit denen seine Freunde und sogar er selbst vollkommen zufrieden gewesen waren. Seitdem hatte der »Gumplacher Anzeiger« eine Novelle von ihm gebracht, die ihm die Gunst des Mäzens von Gumplach eingetragen hatte. Es war der alte Herr, den es in jeder kleinen Stadt gibt, und der bei seinen Mitbürgern als harmloser Sonderling gilt, weil er sich mit Literatur befaßt.

      Am Ostersonntag besuchte Andreas das Königliche Schauspielhaus, um den ersten Teil des Faust zu sehen. Auf der Galerie zog er sich hinter einen Pfeiler zurück. Er hatte keinen Bekannten in Berlin, schämte sich aber seines billigen Platzes. Seine Eitelkeit legte ihm Opfer auf. Im Zwischenakt stieg er, nicht weil es ihm Freude machte, sondern weil die Selbstachtung es ihm gebot, ins Parkett hinab und drängte sich auf dem Korridor in der guten Gesellschaft umher.

      Einmal staute sich der Zug der Wandelnden, weil viele gaffend und horchend zwei bedeutend aussehende Herren umdrängten. Den größeren von ihnen erkannte Andreas sofort wieder; es war der Professor Schwenke, ein Akademiker, der sich eine Ausnahmestellung verschafft hatte dadurch, daß er alles Moderne protegierte. Er trug eine Künstlerlocke auf der Stirn, hielt die Hände in den Taschen seines hellen Jacketts und hatte so große Furcht, pedantisch zu erscheinen, daß er beim Sprechen den Oberkörper stets in einem burschikosen Schwunge erhielt. Sein Gegenüber war einen Kopf kleiner, bartlos, und sein borstiges schwarzes Haar hing über einem Halskragen von zweifelhafter Weiße. Er hatte eine Adlernase und gelblederne Gesichtshaut, und sein zu weiter Gehrock reichte bis unter die Knie hinab. Andreas war sehr begierig zu wissen, wer diese Persönlichkeit sei, die äußerlich zwischen Clergyman und Konzertvirtuosen ungefähr die Mitte hielt. Ein Herr, der von fern dem Kleinen winkte, rief:

      »Herr Doktor Abell!«

      »Sollte das Abell sein?« dachte Andreas, »der Kritiker des ›Nachtkurier‹?«

      Er konnte es kaum fassen, daß man die großen Männer, die im Reich der Begriffe lebten, hier in der Wirklichkeit wiederfand. Sein Herz schlug höher, und er schaute sich argwöhnisch um, ob man ihm etwas anmerke. Denn er wollte um keinen Preis naiv aussehen.

      Von seinem Galerieplatz suchte er die beiden Herren wieder auf; sie saßen dicht hinter dem Orchester. Andreas schielte mehrmals hastig nach seinem Nachbarn, einem blonden jungen Manne in bescheidenem schwarzem Röckchen. Endlich hielt er es nicht mehr aus:

      »Entschuldigen Sie«, sagte er, »ich bin kurzsichtig. Ich meine dort vorn den Doktor Abell zu erkennen?«

      Er bemühte sich, ganz dialektfrei zu sprechen. Der junge Mann erwiderte höflich:

      »Gewiß. Das ist Doktor Abell. Er sitzt neben Doktor Wacheles vom ›Kabel‹. Zwei Reihen hinter den Herren sehen Sie auch Doktor Bär von der ›Abendzeitung‹ und Doktor Thunichgut von der ›Kleinen Börse‹.«

      Neben ihnen machte man »Pst!«, und der Vorhang ging auf. Andreas sah nichts anderes mehr als die Rücken der Kritiker. Sie nahmen Plätze ein, denen auch er sich gewachsen fühlte. Mit sanguinischer Phantasie malte er sich schon seinen Eintritt in den Saal aus. Er schritt gelassen, im Gefühl seiner Unentbehrlichkeit, auf den ihm reservierten Sessel zu. Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und lauschte nachlässig mit mildem Lächeln den Künstlern, die mehr für ihn als für tausend andere sprachen. Einige Zeilen in der Redaktion, wohin er nach der Vorstellung fuhr, flüchtig auf das Papier geworfen, sicherten ihm Macht, Einfluß, ein gutes Einkommen und eine angesehene gesellschaftliche Stellung in Berlin. Der Gumplacher Schulmeister durfte diese Zukunft nicht durchkreuzen. Das berufene Talent brach sich Bahn.

      Um sich selbst in seinen Hoffnungen zu bestärken, hätte er sie gern laut ausgesprochen. Er sah mehrmals schnell um sich und schnappte vor Erregung nach Luft. Sein Nachbar, der ihn durch einen schwarzumrandeten Kneifer still anblinzelte, sagte verbindlich:

      »Wir sind wohl Kollegen?«

      Andreas stutzte und besann sich.

      »Sie sind auch Schriftsteller?« fragte er.

      Der andere verbeugte sich.

      »Friedrich Köpf, Schriftsteller.«

       Er sprach mit gespitzten Lippen, als sei es ihm eher peinlich, dies einzugestehen. Andreas wurde im Gegenteil


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