Lebensansichten des Katers Murr. Эрнст ГофманЧитать онлайн книгу.
en des Katers Murr / nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern
Vorwort
E. Th. Amadeus Hoffmann wurde am 21. Januar 1776 in Königsberg geboren. Er wurde Jurist und kam als preußischer Beamter 1804 nach Warschau. Durch die französische Besetzung verlor er 1807 sein Amt. Er fand schließlich ein Unterkommen als Kapellmeister an dem Theater in Hamburg. Als das Unternehmen einging, wurde er Mitarbeiter an der Allgemeinen Musikzeitung in Leipzig. 1816 wurde er wieder als Kammergerichtsrat in Berlin angestellt, wo er am 24. Juli 1822 starb.
Diese Daten enthalten alles, was den Lebensgang und die Eigenart des Mannes kennzeichnet. Er war preußischer Beamter; der Untergang seines Staates warf ihn in das unsichere Dasein eines fahrenden Musikers und eines lohnschreibenden Journalisten. So wurde die Schriftstellerei sein zweiter Beruf, den er fortführte, als er wieder ins Amt kam.
Er besaß in hohem Maße den scharfen Verstand und die unbedingte Sachlichkeit, welche sein Amt verlangte. Aber in seinen Erzählungen, auch wohl im Leben außer dem Dienste liebte seine Phantasie es, die ordnungsliebende Vernunft am hellen Tage durch tolle Launen zu erschrecken. Spiel ist ursprünglich sein Verhältnis zur Kunst. Drei Künste, Malerei, Musik, Poesie hat er zunächst als Dilettant ausgeübt. Er zeichnete Karikaturen, er dichtete und komponierte Singspiele und kleine Opern. Von der Musik kam er zur Musikschriftstellerei; aus den Rezensionen wurden Erzählungen. So entstand die Figur des Kapellmeisters Kreisler. Malerei und Musik blieben Lieblingsgegenstände seiner Erzählungen und Kreisler taucht wieder in dem Werke auf, welches zwar nicht das letzte ist, aber als reifer Abschluß seiner Dichtung angesehen werden darf.
In dieser Geschichte laufen zwei Erzählungen nebeneinander her. Die Geschichte des Katers Murr zeigt die Entwicklung des Naturburschen, des Autodidakten; seine Seele und sein Geist sind ein unbeschriebenes Blatt, in welches Gott und Welt gern hineinschreiben und das sich daher bald füllt.
Die parallel laufende Geschichte des Kapellmeisters Johannes Kreisler zeigt dagegen lauter Kulturmenschen. Kreisler ist der edle, hochbegabte stets mit den Widerwärtigkeiten des Lebens und der Trivialität der Menschen ringende Künstler. In Julia ist ihm ein weibliches Ideal gegenübergestellt. Meister Abraham, der väterliche Freund Kreislers, ist der angesehene, wohlgesinnte, tüchtige Mann, der seinen Weg durchs Leben gemacht hat. Er ist der männliche, die Rätin Benzon der weibliche Mentor des mediatisierten Fürsten Irenäus, an dessen Miniaturhofe die Geschichte spielt. Die Familie des Fürsten Irenäus zeigt deutlich die Schwächen einer durch viele Generationen gepflegten Überkultur. Er selbst zeigt Züge des Serenissimus, ja, man könnte sagen, er ist der Prototyp desselben; der Dichter hat sich jedoch sorgfältig vor Karikatur gehütet. Die Prinzessin Hedwiga, die Freundin Julias, ist die zwar in ihrem Charakter an sich aufrechte, aber mit hysterischer Nervenschwäche belastete Tochter eines alten Geschlechts. Ihr Bruder Prinz Ignaz ist ein Trottel.
In der Episode der Chiara, der Geliebten des Meisters Abraham und in der Geschichte des Mönches Cyprianus und der Angela kommt der Hang des Dichters zum Übersinnlichen, Romantischen zu seinem Rechte. Es ist ein eigentümlicher Zug Hoffmanns, daß trotz aller scheinbar ernsten Versuche, die wunderbaren Ereignisse auf natürliche Weise zu erklären, ihnen doch immer ein Zug ins Übersinnliche anhaften bleibt.
Dr. Ernst Hipp.
Vorwort des Herausgebers
Keinem Buche ist ein Vorwort nötiger als gegenwärtigem, da es, wird nicht erklärt, auf welche wunderliche Weise es sich zusammengefügt hat, als ein zusammengewürfeltes Durcheinander erscheinen dürfte.
Daher bittet der Herausgeber den günstigen Leser, wirklich zu lesen, nämlich dies Vorwort.
Besagter Herausgeber hat einen Freund, mit dem er ein Herz und eine Seele ist, den er eben so gut kennt, als sich selbst. Dieser Freund sprach eines Tages zu ihm ungefähr also. „Da Du, mein Guter, schon manches Buch hast drucken lassen, und Dich auf Verleger verstehst, wird es Dir ein leichtes sein, irgend einen von diesen wackern Herren aufzufinden, der auf Deine Empfehlung etwas druckt, was ein junger Autor von dem glänzendsten Talent, von den vortrefflichsten Gaben vorher aufschrieb. Nimm Dich des Mannes an, er verdient es.“
Der Herausgeber versprach, sein Bestes zu tun für den schriftstellerischen Kollegen. Etwas verwunderlich wollt' es ihm nun wohl bedünken, als sein Freund ihm gestand, daß das Manuskript von einem Kater, Murr geheißen, herrühre, und dessen Lebensansichten enthalte; das Wort war jedoch gegeben, und da der Eingang der Historie ihm ziemlich gut stilisiert schien, so lief er sofort, mit dem Manuskript in der Tasche, zu dem Herrn Dümmler unter den Linden und proponierte ihm den Verlag des Katerbuchs.
Herr Dümmler meinte, bis jetzt habe er zwar nicht unter seinen Autoren einen Kater gehabt, wisse auch nicht, daß irgend einer seiner werten Kollegen mit einem Mann des Schlages bis jetzt sich eingelassen, indessen wolle er den Versuch wohl machen.
Der Druck begann, und dem Herausgeber kamen die ersten Aushängebogen zu Gesicht. Wie erschrak er aber, als er gewahrte, daß Murrs Geschichte hin und wieder abbricht, und dann fremde Einschiebsel vorkommen, die einem andern Buch, die Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler enthaltend, angehören.
Nach sorgfältiger Nachforschung und Erkundigung erfuhr der Herausgeber endlich folgendes. Als der Kater Murr seine Lebensansichten schrieb, zerriß er ohne Umstände ein gedrucktes Buch, das er bei seinem Herrn vorfand, und verbrauchte die Blätter harmlos, teils zur Unterlage, teils zum löschen. Diese Blätter blieben im Manuskript und – wurden, als zu demselben gehörig, aus Versehen mit abgedruckt!
De- und wehmütig muß nun der Herausgeber gestehen, daß das verworrene Gemisch fremdartiger Stoffe durcheinander lediglich durch seinen Leichtsinn veranlaßt, da er das Manuskript des Katers hätte genau durchgehen sollen, ehe er es zum Druck beförderte, indessen ist noch einiger Trost für ihn vorhanden.
Für's erste wird der geneigte Leser sich leicht aus der Sache finden können, wenn er die eingeklammerten Bemerkungen: Mak. Bl. (Makulatur-Blatt) und M. f. f. (Murr fährt fort) gütigst beachten will. Dann ist aber das zerrissene Buch höchst wahrscheinlich gar nicht in den Buchhandel gekommen, da niemand auch nur das Mindeste davon weiß. Den Freunden des Kapellmeisters wenigstens wird es daher angenehm sein, daß sie durch den literarischen Vandalismus des Katers zu einigen Nachrichten über die sehr seltsamen Lebensumstände jenes in seiner Art nicht unmerkwürdigen Mannes kommen.
Der Herausgeber hofft auf gütige Verzeihung.
Wahr ist es endlich, daß Autoren ihre kühnsten Gedanken, die außerordentlichsten Wendungen, oft ihren gütigen Setzern verdanken, die dem Aufschwunge der Ideen nachhelfen durch sogenannte Druckfehler. So sprach z. B. der Herausgeber im zweiten Teile seiner Nachtstücke pag. 326 von geräumigen Bosketts, die in einem Garten befindlich. Das war dem Setzer nicht genial genug, er setzte daher das Wörtlein Bosketts um in das Wörtlein Kasketts. So läßt in der Erzählung, das Fräulein von Scudery der Setzer pfiffigerweise besagtes Fräulein statt in einer schwarzen Robe, in einer schwarzen Farbe von schwerem Seidenzeug erscheinen u. s. w.
Jedem jedoch das Seine! Weder der Kater Murr, noch der unbekannte Biograph des Kapellmeisters Kreisler soll sich mit fremden Federn schmücken, und der Herausgeber bittet daher den günstigen Leser dringend, bevor er das Werklein liest, nachfolgende Änderungen zu veranstalten, damit er von beiden Autoren nicht besser oder schlechter denke, als sie es verdienen.
Übrigens werden nur die Haupterrata bemerkt, geringere dagegen der Diskretion des gütigen Lesers überlassen. (Die in der früheren Ausgabe hier folgenden Druckfehler sind in dieser verbessert.)
Schließlich darf der Herausgeber versichern, daß er den Kater Murr persönlich kennen gelernt und in ihm einen Mann von angenehmen milden Sitten gefunden hat.
Berlin, im November 1819. E. T. A. Hoffmann.
Vorrede des Autors
Schüchtern – mit bebender Brust, übergebe ich der Welt einige Blätter des Lebens, des Leidens, der Hoffnung, der Sehnsucht, die in süßen Stunden der Muße, der dichterischen Begeisterung, meinem innersten Wesen entströmten.
Werde, kann ich bestehen vor dem strengen Richterstuhl der Kritik? Doch Ihr seid es, Ihr fühlenden Seelen, Ihr rein kindlichen Gemüter, Ihr mir verwandten treuen Herzen ja Ihr seid es, für die ich schrieb,