Verliebt in einen Engel. Barbara CartlandЧитать онлайн книгу.
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Verliebt in einen Engel
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2017
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
1 ~ 1898
„Es tut mir unendlich leid, daß Ihr Vater so plötzlich von uns gehen mußte“, sagte Sir Felix Johnson, dessen beruhigende und einfühlsame Art am Krankenbett viel dazu beigetragen hatte, ihn zu einem beliebten und gesuchten Arzt zu machen.
„Es war besser so“, erwiderte Lady Ancella Winn. „Ich hätte es nicht ertragen können, wenn Papa noch lange hätte so leiden müssen wie in den vergangenen Monaten.“
„Er war ein sehr schwieriger Patient“, stellte Sir Felix fest. „Ein Glück für ihn, daß er die liebevollste und aufopferndste Tochter besaß, die mir in meiner ganzen Laufbahn begegnet ist.“
„Vielen Dank, Sir Felix!“ Ancella lächelte leicht.
„Was mich vor allem bekümmert, ist, daß sein Tod ein furchtbarer Schock für Sie gewesen sein muß“, sagte Sir Felix.
„Oh, nein“, entgegnete sie, „ich habe nichts anderes erwartet.“
Sir Felix blickte ein wenig überrascht drein. Um die Gesundheit des Grafen von Medwin hatte es zwar schon geraume Zeit nicht zum Besten gestanden, sein Leiden war jedoch von der Art, das sich gewöhnlich ins Unendliche hinzog.
Da er so offensichtlich auf eine nähere Erklärung wartete, fuhr Ancella leicht errötend fort: „Ich kann bestimmte Dinge manchmal im Voraus erkennen, zum Beispiel wußte ich bereits vor Mamas Tod, daß es keine Hoffnung für sie gab.“
„Wollen Sie damit andeuten, daß Sie das Zweite Gesicht haben?“
„Wenn Sie es so nennen wollen. Es ist einfach so, daß ich schon als Kind gewisse Tatsachen vorausgeahnt habe, die sich dann später unerklärlicherweise bestätigten.“
„Höchst interessant“, murmelte Sir Felix, „haben Sie denn auch eine Ahnung, was Sie jetzt tun sollen?“
Ancella reagierte mit einer kleinen, hilflosen Handbewegung.
„Offen gestanden nein“, mußte sie zugeben.
„Eben das bereitet mir große Sorgen“, sagte er.
Sir Felix war dem verstorbenen Grafen während der letzten zwanzig Jahre nicht nur als Arzt, sondern auch als Freund zur Seite gestanden und hatte dessen einzige Tochter, Lady Ancella Winn, tief ins Herz geschlossen. Sein forschender Blick folgte ihr, wie sie durch den Raum ging und ans Fenster trat, um in den ungepflegten Garten hinauszusehen, der an diesem trüben Januarmorgen keinen einladenden Eindruck machte.
Obwohl sie blaß und geradezu erschreckend durchsichtig wirkte, besaß sie einen ungewöhnlichen Liebreiz, der seinen Eindruck auf Sir Felix nicht verfehlte.
Als sie die großen, grauen Augen auf ihn richtete, fragte er: „Sollten Sie sich nicht darüber klarwerden, was Sie tun wollen, bevor der zukünftige Erbe des Titels und Ihre anderen Verwandten eintreffen?“
„Soviel ich weiß, will Cousin Alfred auf keinen Fall hier leben“, entgegnete sie. „Er hat nicht die Absicht, Geld für Reparaturen in ein Haus zu stecken, das ihm verhaßt ist. Wenn Papa nicht gestorben wäre, hätte er sich hier sowieso nicht mehr lange halten können.“
„Dessen bin ich mir wohl bewußt“, erklärte Sir Felix, „zudem kann keine Rede davon sein, daß Sie allein mit Ihrem Vetter hier leben.“
„Selbstverständlich nicht“, stimmte Ancella zu. „Im Übrigen will ich das auch gar nicht. Ich konnte Cousin Alfred noch nie leiden, Papa war er sogar aus tiefster Seele verhaßt.“
„Das ist mir bekannt“, warf Sir Felix ein, „aber welche Alternative bleibt Ihnen dann?“
„Tante Emily oder Tante Edith“, erwiderte Ancella „Oh Sir Felix, ich glaube nicht, daß ich auch nur eine der beiden auf die Dauer ertragen könnte“, brach es aus ihr heraus.
Der Arzt konnte sie nur zu gut verstehen, wenn er an die säuerlichen alten Jungfern dachte, die nie versäumt hatten, ihrer Mißbilligung über die Unabhängigkeit, deren sich Ancella nach dem Tode ihrer Mutter erfreute, Ausdruck zu geben.
Ihr Vater hatte ihr keine Beschränkungen auferlegt, solange sie ihm das Haus führte und ein williges Ohr lieh, wenn er sich in endlosen Tiraden über seinen Geldmangel und seine ständigen Streitereien mit der Familie erging.
Als er krank wurde, lehnte er eine Krankenschwester ab, die sie sich auch nicht hatten leisten können, und verließ sich in jeder Beziehung auf Ancella, die von früh bis spät auf den Beinen war, um seine Wünsche zu erfüllen. Obwohl sie regelmäßig auch nachts geweckt wurde, beklagte sie sich nie. Sir Felix hatte sich oft gefragt, ob irgendein anderes Mädchen ihres Alters sich so bereitwillig in ihr Schicksal gefügt hätte. Wenn er sich ihre Verwandten ins Gedächtnis rief, wußte er, daß sie ihr das Leben zur Hölle machen wurden. Sie waren so engstirnig und puritanisch in ihren Ansichten, daß der Graf sie sicher nicht zu Unrecht als eine Bande psalmensingender Heuchler bezeichnet hatte.
„Wenn ich doch nur irgendwelche Talente hatte“, sagte Ancella seufzend. „Ich kann reiten, nähen, tanzen und spreche mehrere Sprachen. Nichts davon scheint mir in meiner gegenwärtigen Lage von Nutzen zu sein.“
„Sie sprechen also Französisch?“ fragte Sir Felix.
„Wie eine Pariserin, wenn ich meiner alten Lehrerin Glauben schenken darf.“
„Das bringt mich auf einen Gedanken“, sagte er. „Sie mögen meinen Vorschlag als impertinent oder lächerlich empfinden, er konnte aber eine Lösung Ihres Problems bedeuten.“
Ancella legte ihm die Hand auf den Arm.
„Ich weiß, daß Sie nur mein Bestes im Auge haben“, versicherte sie. „Was hätten wir nur während der vergangenen Monate ohne Sie angefangen, als Papa immer schwieriger wurde.“ Sie seufzte tief, bevor sie fortfuhr: „Sie waren der einzige Mensch, dem er vertraute. Ich habe mir oft gedacht, daß wir Ihre Freundschaft weidlich ausgenutzt haben, wenn wir Sie ständig herbeiriefen, obwohl Sie in London ein vielbeschäftigter Mann sind.“
Sir Felix umschloß ihre zarten Finger mit seiner kräftigen Hand.
„Bitte glauben Sie mir, daß ich es gern getan habe“, beruhigte er sie.
„Und was mehr ist“, sagte Ancella, „Sie haben uns nie eine Rechnung geschickt.“
„Das beabsichtige ich auch fernerhin nicht zu tun“, erklärte er. „Als ich noch ein junger und aufstrebender Arzt war, hat mich Ihr Vater mit seiner Freundschaft gewürdigt, und nichts hätte mir zu jener Zeit mehr Auftrieb verleihen können. Was ich getan habe, geschah also nur, um meine Schuld abzutragen.“
Zum ersten Mal wurden Ancellas Augen feucht.
„Vielen Dank, Sir Felix“, sagte sie. „Das Wissen, daß es Sie gab und daß ich mich auf Sie verlassen konnte, hat mir sehr viel bedeutet.“
„Ich möchte mir die Freiheit nehmen, sowohl als Freund wie auch als Arzt mit Ihnen zu sprechen“, begann er. „Vielleicht sollten wir es uns zuerst aber ein wenig bequem machen.“
Ancella setzte sich aufrecht in einen Sessel, die Hände im Schoß gefaltet, wie ein Kind, das aufmerksam seinem Lehrer zuhörte.
Sir Felix nahm ihr gegenüber Platz.
In seinem dunklen Überrock und der elegant geschlungenen hohen Krawatte mit einer großen Perle darin war er eine höchst eindrucksvolle Persönlichkeit, wie vom Leibarzt der königlichen Familie nicht anders zu erwarten, der in der eleganten Welt sehr gefragt war.
Ancella war sich wohl bewußt, daß es vermutlich unter seinen vornehmen Patienten, die gewohnt waren, ihn jederzeit erreichen zu können, einiges Chaos verursacht hatte, daß er innerhalb von Minuten