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Max Dauthendey
Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066115777
Inhaltsverzeichnis
Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren sehen
Den Nachtregen regnen hören in Karasaki
Die Abendglocke vom Miideratempel hören
Sonniger Himmel und Brise von Amazu
Der Wildgänse Flug in Katata nachschauen
Von Ishiyama den Herbstmond aufgehen sehen
Den Abendschnee am Hirayama sehen
Die acht Gesichter am Biwasee
«Neue Brüder sind sichtbar geworden», riefen die Japaner schon vor hundert Jahren. «Bäume, die früher nur dazu da waren, Früchte und Holz zu tragen, Flüsse und Seen, die nur Fische und Seegras anboten, Hügel und Berge, welche Steine und Metalle den Menschen hinhielten, haben jetzt Seele und Gesicht.
Die Seelen der Landschaften sind uns herzliche Brüder geworden. Sie, die bisher unsichtbar waren, zeigen uns heute leidenschaftliche Gebärden.» –
Am Biwasee, der hinter den Bergen, nahe der uralten Kaiserstadt Kioto, liegt, haben die Japaner acht Landschaftsgesichter von unsterblicher Leidenschaft entdeckt.
Die acht Gesichter am Biwasee heißen: Erstens: Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren sehen.
Die Dichter vergleichen die Seele dieses Landschaftsgesichtes mit dem Herannahen einer liebesseligen Schicksalswende.
Zweitens: Den Nachtregen regnen hören in Karasaki.
Dieses Gesicht beschwört die Sprache liebesseliger Vergangenheit und liebesseliger Zukunft.
Drittens: Die Abendglocke des Miideratempels hören.
Dieses Gesicht singt das Lachen einer liebenden Frauenstimme, das weiser macht als alle Weisheit.
Viertens: Sonnenschein und Brise von Amazu.
Dieses Gesicht spricht von Liebesberückung und Liebesbetörung.
Fünftens: Dem Flug der Wildgänse nachsehen in Katata.
Dieses Gesicht spricht von der Geheimschrift der Liebeserklärung.
Sechstens: Den Herbstmond aufgehen sehen in Ishiyama.
Beplaudert und rührt die Wunder der Liebe an.
Siebentens: Das fließende Abendrot zu Seta.
Dieses Gesicht spricht von seliger Blindheit hitziger Liebesleidenschaft.
Achtens: Den Abendschnee am Hirayama sehen.
Die Seele dieses Landschaftsgesichtes spricht vom erhabenen Wahn unglückseliger Liebe.
Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren sehen
Hanake hatte allen Körperschmuck, den ein japanisches Mädchen sitzend, trippelnd und liegend zeigen muß, um zu den göttlichen Schönheiten der Vergänglichkeit gezählt zu werden. Ihr Hals war biegsam wie eine Reiherfeder, ihre Arme kurz wie die Flügel eines noch nicht flüggen Sperlings. Saß sie auf der Matte und bereitete ihren Tee, so arbeitete sie vorsichtig wie unter einer Glasglocke. Ging sie abends mit ihrer Dienerin auf den hohen Holzschuhen zum Theater, so war sie unauffällig, als hätte sich ihr Körper mit der Sonne zur Ruhe gelegt, und als ginge nur ihr Schatten mit der Dienerin und der Papierlaterne den Weg zu den Schatten. Lag sie in der Nacht hinter den geschlossenen Papierwänden ihres Hauses mit frisiertem Kopf auf der Schlummerrolle und zog mit den Fingerspitzen den seidenen Schlafsack ans Kinn, so war ihr feines, vom Mond beschienenes Gesicht vornehm, als wäre es aus Jadestein geschnitten und erschien unzerbrechlich und unvergänglich.
Hanake war das reichste Mädchen am Biwasee, nicht bloß reich an der äußeren Schönheit, welche die Frauen ruhig und wunschlos macht, – auch reich an Besitz. Die Götter der Vergänglichkeit hatten sie mit ihren glänzendsten Geschenken, mit Schönheit und Geld, verwöhnt. Aber auch die Göttin der Unendlichkeit hatte ihr eine Seele in die Augen gegeben, so daß ihre Augen weinen konnten, denn die Wollust der Träne ist das höchste Geschenk dieser Göttin.
Lange, ehe der Krieg Japans mit Rußland begann, hörte Hanake in ihrem Hause am Biwasee von Freunden und Freundinnen, die im Sommer über die Berge von Kioto zum Besuch zu ihr an den See kamen, daß die Fremden vom Westen wie böse Heuschreckenschwärme in Japan erwartet würden, um die Männer zu töten, die Frauen zu verschleppen und sich in das Land zu teilen. Auf dem Biwasee würde man dann bald Schiffe sehen, die Rauch ausstießen und die Seetiefe mit Schrauben aufwühlten. Auf Eisen würden bald Eisenwagen, rasselnd wie Gewitterwolken, täglich durch Japan eilen. Diese Wagen würden die Fremden in Massen nach Kioto und an die Ufer des Biwasees bringen. Die leichten Vogelkäfige der Bambushäuser würden verschwinden, und Steinhäuser, wie man sie im Westen der Erde baut, würden zum Himmel wachsen, und überall würde dann Rauch und Eisenlärm sein. Denn die Fremden lieben das Eisenrasseln und können ohne die betäubende Stimme des Eisens nicht leben: sie lieben, das Leben als einen ewigen Krieg anzusehen. Sie sind wie Donnergötter ungeduldig und aufstampfend, und sie werden schlimmer als Wolkenbrüche und schlimmer als Taifun Japan verheeren, so sagte man.
Hanake, die keine Eltern hatte und nur mit ein paar Dienerinnen und Dienern noch das Haus ihres Vaters bewohnte, hörte gruselnd die Berichte ihrer Freunde und erfand mit ihren Freundinnen kleine Spottlieder, welche die Dämonen des Westens verhöhnten, Lieder, die sie abends bei den Bootfahrten in lampenerleuchteten Booten auf dem Biwasee sangen.
Eines Abends – die Sonne war eben untergegangen, der See war hell, als wäre er aus Porzellan, weiß und glänzend, der Himmel war golden, als hätte Hanake eine ihrer Truhen geöffnet, die aus Goldlack waren, und die Geheimfächer enthielten, – trat Hanake auf den Landungssteg, der vor ihrem Haus in den See reichte, und den links und rechts hohes Schilf umwiegte.
In der Richtung nach Yabase erschienen drei Segelboote. Die drei Segel glitten wie senkrechte Papierwände über das abendglatte Wasser. Man sah keine Menschen; denn jedes Segel reichte so tief, daß es das Boot verdeckte. Die aufgepflanzten Segel wurden größer und kamen näher: Hanake fühlte eine Bangigkeit, als kämen mit den drei Segeln drei weiße, unbeschriebene Blätter aus ihrem Schicksalsbuch geschwommen, und plötzlich las sie, als eine Sekunde von Windstille die Segel schlaff werden ließ, ein japanisches Schriftzeichen, zufällig entstanden aus den Falten jeder Segelleinwand. Das erste Boot sagte: «Ich grüße dich.» Das zweite Boot sagte: «Ich liebe dich.» Das dritte Boot sagte: «Ich töte dich.»
Nach der kurzen Windstille, die knappe Sekunden dauerte, wechselte der See seine Farbe; wie vergossene