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Verräter - Can Dündar


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      Can Dündar

      Verräter

      Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil

      Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

      Hoffmann und Campe

      In memoriam Mete Akyol

      So stemmen wir uns voran, in Booten gegen den Strom, und werden doch immer wieder zurückgeworfen ins Vergangene.

      F. Scott Fitzgerald, Der große Gatsby

      Vorwort

      Eines Morgens erwachte ich mutterseelenallein.

      Das Haus, in dem ich aufwachte, war nicht meins, das Bett nicht das gewohnte.

      Meine Frau lag nicht neben mir. Die Einrichtung war mir fremd.

      Ich zog den Vorhang auf:

      Eine fremde Stadt schaute herein. Weder war da der üppig grüne Garten noch das blaue Meer. Ich befand mich nicht in meinem Land. Die Sonne, deren stetiges Lächeln ich gewohnt war, hielt sich hinter Wolken verborgen.

      Ich schaltete den Fernseher ein, auf dem Bildschirm redeten Menschen, die ich nicht kannte, in einer Sprache, die ich nicht verstand.

      Ich hatte keine Arbeit, zu der ich hätte gehen, ebenso wenig einen Menschen, mit dem ich hätte reden können.

      Mein Haus, meine Frau, meine Stadt, mein Garten, mein Land, meine Arbeit – alle meine Lieben waren auf einen Schlag aus meinem Leben verschwunden.

      You’ll never walk alone, das Lied, das mir Freunde unentwegt ins Ohr gesungen hatten, war verstummt.

      Sam-jsa bedeutet im Tschechischen »allein seiend«.

      Die Erzählung von Gregor Samsas Erwachen und die Bedeutung seines Namens schienen in diesem Moment genau auf mich zu passen.

      Ein Bericht in der Zeitung hatte mein Leben verändert.

      Ich hatte ein »Geheimnis« aufgedeckt, das alle kannten.

      Ich hatte belegt, dass der staatliche Geheimdienst illegal Waffen nach Syrien lieferte. Aufnahmen davon lagen vor. Die Regierung hatte es nicht dementieren können. Sie beharrte lediglich darauf, es handele sich um ein Geheimnis des erhabenen Staates, das im Verborgenen zu bleiben habe. Eine Operation, die das Land in einen Krieg hineinziehen konnte, war mit dem Schild »Kein Zutritt!« verrammelt worden. Niemand, der sich Journalist nennt, hätte ein solches Schild beachtet, jeder hätte sich die Sache genau angeschaut. Genau das hatten wir getan und damit die um eine internationale Straftat gezogene Grenzlinie verletzt.

      Die Anschuldigung gegen uns war so gewaltig wie das Verbrechen, das wir enthüllt hatten:

      »Aufdeckung eines Staatsgeheimnisses zwecks Versuchs, die Regierung zu stürzen …«

      Zweimal lebenslänglich lautete die Forderung gegen uns. Nach dem alten Strafrecht[1] hätte das ein Todesurteil für uns bedeutet.

      Einen Journalisten zum Tode verurteilen wollen, weil er einen wahren Bericht veröffentlich hatte!

      Der Hass blendete die Rechtsprechung.

      Man bezichtigte mich, ich kam ins Gefängnis, ich wurde vor Gericht gestellt, es wurde auf mich geschossen, ich wurde verurteilt. Und eines Tages wachte ich im Exil auf.

      Es folgte der giftige Stempel:

      »Landesverräter!«

      Denn unser Land war Dieben in die Hände gefallen. Räubern, Waffenschmugglern, Kriegshändlern, Waldmarodeuren, Ausschreibungsschiebern, Palast-Intriganten, Religionsschacherern, Köpfe abschlagenden Dschihadisten …

      Wer sich gegen sie stellte, galt als Gegner des ganzen Landes.

      So nannte man es Landesverrat, dass wir den Mitschnitt des Telefonats veröffentlichten, in dem Erdoğan seinen Sohn fragte, ob er »das Geld im Haus« habe verschwinden lassen; dass wir die Worte des Geheimdienstchefs, »Wenn nötig, schicke ich vier Männer nach Syrien, lasse von dort acht Raketen auf die Türkei abfeuern und schaffe einen Kriegsgrund«, publizierten; dass wir mit einer Schlagzeile enthüllten, wie radikale Islamisten an der Grenze, bei Polizei und Justiz von Regierungsseite beschützt wurden; dass wir bekannt machten, wie Unternehmer auf Druck der Regierung und mit Großbauprojekten als Gegenleistung Medien aufkauften und in Propaganda-Instrumente verwandelten …

      All dies waren Staatsgeheimnisse; schmutzige Geheimnisse, über die die Menschen im Land doch unterrichtet werden mussten.

      Die über die Wahrheit gebreitete Decke reichte nicht länger, um den daruntergekehrten Dreck zu verbergen.

      Die Regierung wandte eine in der Psychologie als Projektion bekannte Verteidigungsstrategie an:

      Sie übertrug ihre eigene Schuld auf jene, die ihre Tat aufgedeckt hatten.

      Um den eigenen Landesverrat zu verschleiern, erklärte sie jene, die für das Land eintraten, zu Landesverrätern. Dabei engagierten wir uns, weil wir unser Land liebten, nach Kräften dafür, dass es nicht von einem unzeitgemäßen Frömmler-Fanatismus in die Finsternis gerissen wurde, nicht mit seinem Nachbarn in Krieg geriet, seine Wälder und Ressourcen nicht geplündert wurden, dass es nicht von Bürgerkrieg, Angst und Armut überzogen wurde.

      Wir waren es, die für Recht und Gerechtigkeit eintraten, sie dagegen missachteten sie.

      Wir waren es, die den Baum hegten und pflegten, sie fällten ihn.

      Wir waren es, die Frieden wollten, sie entfachten Krieg.

      Wir waren es, die die Religion achteten, sie dagegen richteten sich nach dem Gebot der Politik.

      Wir waren es, die gewalttätigen Polizisten Einhalt geboten, sie dagegen riefen: »Schießt!«

      Wir hatten unsere Kinder dazu erzogen, sich nicht unrechtmäßig zu bereichern, sie dagegen hüteten daheim gehortetes schmutziges Geld.

      Sie waren es, die uns in »wir und sie« auseinanderdividierten.

      Als Erdoğan mich als Landesverräter abstempelte, stritt ich für sein Recht, in Deutschland aufzutreten. Denn, wie der bosnische Präsident Alija Izetbegović einmal sagte: »Ein Krieg geht nicht verloren, wenn man besiegt wird, sondern wenn man dem Feind ähnlich wird.« Für uns war existenziell, unter allen Umständen für Meinungs- und Redefreiheit einzutreten.

      Als ich des Landesverrats bezichtigt wurde, riet ich deutschen Unternehmern, ihre Investitionen in der Türkei nicht auszusetzen, sondern sie an die Bedingung von Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. Gegen die Regierung, die mein Land in die Einsamkeit führte, engagierte ich mich dafür, dass es nicht von der europäischen Familie losgerissen wurde.

      Als Interpol der Haftbefehl gegen mich übermittelt wurde, sagte ich Deutschen, die sich nach Erdoğans an Angela Merkel gerichtetem Nazi-Vorwurf fürchteten, Urlaub in der Türkei zu machen: »Zwischen unseren Völkern gibt es kein Problem. Fahren Sie in die Türkei! Wir sollten einander noch viel näherkommen.«

      Als die regierungstreue türkische Presse Deutschland vorwarf, »den Terroristen« im Schloss des Bundespräsidenten empfangen zu haben, warf ich Merkel vor, den Widerstand der Menschen in der Türkei zu ignorieren.

      Man betrachtete die Türkei, als bestünde sie aus Erdoğan allein. Und genau dieses Bild versuchte auch Erdoğan zu vermitteln. Er versteckte sich hinter seinem Land und stellte Kritik an seiner Politik als Kritik an der Türkei insgesamt dar. Dabei ist die Türkei eine Sache, Erdoğan aber eine andere. Und da wir die erste lieben, wollen wir sie von der zweiten befreien.

      Dieses Engagement war es, das mich fern meiner Heimat nach Deutschland führte, das mich in die unangenehme Lage versetzte, eines Morgens mutterseelenallein in Berlin aufzuwachen.

      Was in meinem Leben seit einem Jahr fehlt, geht mir wegen Erdoğan ab. Doch auch was ich habe, ist – ironischerweise – ein wenig ihm geschuldet.

      Wegen


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