KOPFLOS IM KURHOTEL. Christina UngerЧитать онлайн книгу.
»Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt und machen Sie das Beste daraus.«
Wieder auf dem Flur studierte Walter das Programm. »Was bitteschön ist eine Hydro-Colon-Therapie?«, fragte er misstrauisch.
»Eine Darmspülung!«
»Nur über meine Leiche!«
»Die reinigt und entschlackt den Körper. Ich lass das auf alle Fälle machen.«
Walter hielt die Augen gesenkt und las weiter. »Und was verstehen die unter Powerwalken und Beckenboden-Training? Ich bin zur Erholung da. Anstrengen tu ich mich das ganze Jahr über auf der Arbeit!«
»Nach diesen drei Wochen wirst du ein neuer Mensch sein!«, prophezeite Beate gut gelaunt.
»Ich will kein neuer Mensch sein! Ich bin zufrieden mit mir.«
»Ich aber möchte zur Abwechslung einen fitten und gutgelaunten Ehemann zu Hause sitzen haben.«
»Dein Ehemann ist fit genug und immer gut gelaunt!«
»Haha!«, erwiderte Beate nur.
***
Dass es im Zimmer keine Minibar gab, verstand sich von selbst, aber Walter konnte auch dieser Umstand nicht mehr erschüttern. Also fragten sie an der Rezeption nach der Hotelbar.
»Unsere Bar befindet sich im zweiten Stock«, ließ man sie freundlich wissen.
Sie bedankten sich, und während sie auf den Lift warteten, sagte Beate: »Ich hätte Lust auf ein Gläschen Sekt.«
»Und ich auf einen Appetitanreger vor dem Abendessen. Hast du übrigens meinen Vater gesehen?«
»Der ist mit Tommy spazieren gegangen.«
»Ich muss sagen, ich bin wirklich froh, dass unser Sohn Opa nicht als Last empfindet. Das ist für einen Jugendlichen nicht selbstverständlich.« Unnötigerweise fügte er hinzu: »Im Gegensatz zu dir!«
»Opa ist für mich keine Last!«, widersprach Beate. »Aber ich will im Urlaub auch mal ausspannen. Außerdem muss man sich für deinen Vater richtig schämen.«
»Ach was! Keiner nimmt ihm seine gelegentlichen Ausrutscher übel. Schämen muss man sich schon eher für Tommy.«
»Das stimmt nicht. Der Bub kann mit seinem Charme alle um den Finger wickeln, wenn er will.«
»Mutterliebe macht eben blind. Der Bub ist immerhin schon fünfundzwanzig. In diesem Alter waren wir bereits Eltern zweier Kinder und trugen Verantwortung.«
Beate antwortete darauf nichts. Für sie waren die Kinder viel zu früh gekommen, aber das konnte sie ihrem Mann natürlich nicht sagen, ohne ihn wieder auf die Palme zu bringen. Als ihre Tante Helene sie gewarnt hatte, dass man ein Kind schneller bekäme, als ein neues Kleid, hatte sie noch gelacht.
Als sie aus dem Lift stiegen, betraten sie einen kleinen Raum mit gemütlichen Sitzmöbel und runden Tischchen. Menschen in flauschigen weißen Bademänteln flanierten mit Tassen hin und her, gurrten wie Friedenstauben und lächelten immerfort. Auf den Rücken der Bademäntel trugen sie den aufgestickten Schriftzug: Jeder Tag soll dein Glückstag sein. Walter und Beate blickten betreten an sich hinunter – sie waren die einzigen in Straßenkleidung.
»Wenn ich was Ordentliches zu essen bekäme, könnte tatsächlich jeder Tag ein Glückstag werden«, grummelte Walter. »Und wenn ich jetzt auch noch einen Drink kriege, wäre mein Glück unfassbar groß.«
Die Bar, von der sie sich kostenlos bedienen durften, war reich bestückt. In großen Warmhaltekanistern gab es allerlei im Angebot. Walter setzte seine Lesebrille auf und las vor: »Blasentee, Gallentee, Lebertee, Entschlackungstee, Matetee, Schlaftee …« Er nahm die Brille ab und drehte sich zu Beate um. »Wozu darf ich dich einladen? Darf es ein Tässchen Gallentee sein?«
Beate musste lachen. »Irgendwie habe ich so etwas erwartet.«
Der Entschlackungstee, für den sich Walter entschieden hatte, schmeckte abartig bitter, und er suchte nach einem Napf, wo er ihn wieder loswerden konnte. Beate trank Matetee in kleinen Schlucken und lächelte tapfer. Sie wollte unter keinen Umständen auffallen.
Ein Mann Anfang vierzig im weißen Bademantel gesellte sich zu ihnen. Seinen schmalen Adlerkopf schmückte eine Vollglatze und über seinen stechenden, gletscherblauen Augen wuchsen kaum oder sehr blasse Augenbrauen. »Neu hier?«, gurrte er verständnisvoll.
»Sieht man uns das so deutlich an?« Beate lächelte verlegen.
Er grinste schmallippig. »Man gewöhnt sich daran, falls Sie das tröstet. Ich bin bereits eine ganze Woche hier und fühle mich jetzt schon wie neu geboren.«
Beate starrte fasziniert auf seinen Adamsapfel, der während des Sprechens auf und ab hüpfte.
Walter erwiderte nichts und nahm eine Dörrpflaume aus einem Vakuumglas.
»Vorsicht!«, warnte der Fremde. »Eine von denen hat sechzehn Kalorien!«
Walters Hand zuckte zurück, als habe er in Feuer gegriffen. Über sich selbst erzürnt, schob er sich trotzig die Pflaume in den Mund. »Vom Entschlackungstee ist mir beinahe schlecht geworden. Ich muss diesen Geschmack im Mund loswerden.«
»Versuchen Sie den Lindenblütentee, der ist noch am erträglichsten«, riet der Fremde und fügte hinzu: »Ich sitze im Speisesaal am Nebentisch. Ich habe Sie heute Mittag beobachtet.«
»Tut mir leid, ich habe Sie nicht wahrgenommen«, entschuldigte sich Walter. »Für uns ist alles noch neu.«
»Wieso beobachtet?«, wollte Beate wissen, die das Grinsen ihres Gegenübers an einen lachenden Haifisch erinnerte.
»Ich habe beobachtet, dass Sie sich mit den zwei alten Jungfern schon angefreundet haben.«
Beate errötete. Diese Formulierung für zwei alleinstehende Damen hielt sie für unangebracht. »Angefreundet ist zu viel gesagt. Wir sind Tischnachbarn, da redet man halt miteinander.«
»Frau Professor Rosenblatt und Margot Kitzler – ein lustiges Gespann. Mit Frau Kitzler war ich schon zweimal im Buschenschank. Das ist ein beliebter Treffpunkt bei den Kurgästen. Die Frau Professor gibt sich mit unsereins ja nicht ab, die spricht nicht mit jedem.«
»Ich dachte, so was Ungesundes wie ein Buschenschank ist tabu?«, wunderte sich Beate.
»Ab und zu gönnen wir uns dort ein Gläschen Wein, mehr nicht.«
»Wir als zahlende Gäste können sowieso tun und lassen was wir wollen«, trumpfte Walter auf. »Aber die Kassenpatienten werden gnadenlos heimgeschickt, wenn sie beim Fremdgehen erwischt werden, hat uns die Kurärztin verraten.«
»Zurecht. Wozu zahlen wir Beitragszahler denen einen Aufenthalt hier, wenn sie damit Schindluder treiben. Ich unterstütze das vollkommen.«
»Sie sind aber sehr streng!«, bemerkte Beate.
»Manche verstehen nur strenge Regeln.«
»Frau Kitzler ist auch Kassenpatientin«, sagte Beate beiläufig. »Bei ihr sind Sie aber nicht so streng.«
»Sie trinkt dort höchstens ein Gläschen Schilcherwein, oder zwei, das reicht schon, dass sie hinterher besonders lustig drauf ist.« Der Fremde grinste.
»Wie muss ich mir besonders lustig vorstellen?«, wollte Walter neugierig wissen.
»Das soll sie Ihnen selber sagen, aber vielleicht gehen Sie mit uns ja einmal aus? Jetzt muss ich mich umziehen, wir sehen uns später im Speisesaal. Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen noch.«
Als er gegangen war, sagte Beate: »Mir ist der Mensch irgendwie unheimlich.«
»Sei nicht albern! Was ist an dem unheimlich?«
»Hast du nicht seine Augen gesehen? So eiskalt und stechend. Und dieser lauernde Gesichtsausdruck.«
»Was du dir alles einbildest!«