Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.
»In den letzten Tagen haben Sie so schön gegessen«, sagte die ältere Schwester tadelnd.
»Ich weiß. Aber heute habe ich keinen Hunger.« Jutta schaute das Abendessen auf dem Tablett nicht einmal an.
»Und da wollen Sie entlassen werden?«, sagte die Schwester vorwurfsvoll. »Wenn Sie so wenig essen, wird der Herr Doktor den Termin bestimmt hinauszögern.«
Jutta horchte auf. »Heißt das, dass der Arzt den Termin schon festgelegt hat?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen. Da müssen Sie den Herrn Doktor schon selbst fragen.« Beleidigt trug die Schwester das Tablett mit dem Essen wieder hinaus.
Nachdenklich blieb Jutta zurück. Warum hat mir Jürgen davon nichts gesagt?, fragte sie sich. Sie war plötzlich so unruhig, dass sie es kaum erwarten konnte, ihn zu sehen und ihn danach zu fragen. Er wird ja heute Abend bestimmt noch einmal zu mir hereinschauen, sagte sie sich. So, wie er es in der letzten Zeit immer getan hat.
Also wartete Jutta. Aber Jürgen kam diesmal nicht. Die Schwestern bereiteten die Kranken für die Nacht vor, und Jürgen war nicht da gewesen.
Jutta sah den Arzt erst wieder am nächsten Morgen, als er mit dem Oberarzt zur Visite kam. Aber dabei blieb keine Zeit zu einem persönlichen Gespräch. Jutta konnte den Oberarzt nur nach dem Entlassungstermin fragen.
Er gab ihr keine präzise Antwort auf die Frage. »Wir werden sehen, wie Sie sich in den nächsten Tagen fühlen«, sagte er nur.
»Ich fühle mich jetzt schon gut«, antwortete Jutta eigensinnig.
Damit entlockte sie dem Oberarzt ein nachsichtiges Lächeln. »Alle Patienten, die uns verlassen wollen, behaupten das.«
Kaum war die Visite vorüber, kam Jürgen allein zurück. »Was soll das, Jutta? Wieso fragst du den Oberarzt nach deinem Entlassungstermin? Kannst du das nicht mit mir besprechen?«
Jürgen spürte, wie gereizt sie war und setzte sich zu ihr. »Bitte, versteh mich richtig, Jutta. Ich will doch nichts vor dir verheimlichen. Natürlich habe ich mit der Oberschwester über deinen Entlassungstermin gesprochen.«
»Du bist also der Meinung, dass ich entlassen werden kann, und wagst es mir nicht zu sagen?«, fragte Jutta fassungslos.
»Du bist gesund. Ich könnte es verantworten, dich zu entlassen. Aber …« Er brach ab und schaute sie an.
»Aber was?«, fragte sie leise.
»Ich möchte dich noch nicht gehen lassen, Jutta. Ich sorge mich um dich.«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Ich habe dir Unrecht getan«, brachte sie schließlich hervor.
»Das macht nichts, solange du mir nicht böse bist.« Er stand auf. »Ich muss leider gleich wieder gehen. Heute Nachmittag habe ich mehr Zeit. Ändere bitte bis dahin nicht gleich wieder deine Meinung«, fügte er neckend hinzu.
Sie schüttelte den Kopf und schaute ihm nach, als er zur Tür ging. Der Rest des Tages bestand dann für sie nur noch aus Warten. Warten auf den Nachmittag und auf Jürgen.
Doch es wurde fünf, bis er endlich ins Zimmer trat. Gleichzeitig mit ihm kam die Schwester, die das Abendessen servierte. Es war eine der beiden jungen Lernschwestern, die ihnen am Vormittag im Park begegnet waren. Jürgen hielt ihr galant die Tür auf. Und die Schwester bedankte sich dafür mit einem koketten Augenaufschlag.
Schon regte sich wieder Eifersucht in Jutta. Doch Jürgen ließ ihr keine Zeit dazu. Er setzte sich zu ihr aufs Bett und griff nach ihren Händen. Dass die Schwester zusah, störte ihn nicht. »Wenn du willst, entlasse ich dich nächste Woche«, begann er.
Jutta schaute ihn überrascht an. »Wirklich?«
»Du scheinst dich darüber zu freuen«, sagte er leise.
Jutta wartete, bis die Schwester das Zimmer wieder verlassen hatte. Erst dann antwortete sie. »Jeder Patient freut sich, wenn er entlassen wird, stimmt’s?«
Das musste er zugeben. »Aber nicht jede Patientin hat schließlich einen alten Freund zum Arzt, der sich noch dazu in sie verliebt hat.«
»Verliebt …?« Jutta hielt unwillkürlich die Luft an. Doch als Jürgen sich zu ihr hinabbeugte, streckte sie ihm beide Arme entgegen. Sie glaubte schon seinen Atem an ihrer Wange zu spüren, doch da ging prompt wieder die Tür auf. Erschrocken fuhren sie auseinander.
Es war die Schwester, die den Abendrundgang machte. Sie holte das Thermometer und fühlte Juttas Puls. »Alles in Ordnung, Herr Doktor«, meldete sie dann.
Jürgen nickte. »Ich habe nichts anderes erwartet. Ich glaube, wir können die Patientin sogar schon früher entlassen«, sagte er zu Jutta.
Da wurden ihre Augen groß und rund und wirkten fast schwarz. »Vorhin hast du behauptet, du willst mich möglichst lange hierbehalten«, warf sie ihm vor, sobald sie wieder mit ihm allein war. »Und jetzt kannst du mich gar nicht schnell genug loswerden!«
»Begreifst du denn nicht, warum?« Er setzte sich wieder zu ihr. Doch diesmal nahm er sie nicht in die Arme. »Ich möchte möglichst bald allein mit dir sein. Allein und ungestört. Denn ich habe dir sehr viel zu sagen.«
Juttas Puls begann schneller zu schlagen. Sie nickte, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dabei hatte sie keinen sehnlicheren Wunsch, als noch einmal seine Nähe zu spüren. Aber sie wusste auch, dass das im Krankenhaus unmöglich war, dass jeden Augenblick wieder die Tür aufgehen und jemand hereinkommen konnte.
»Weißt du was?«, begann Jürgen. Seine Augen leuchteten plötzlich vor Begeisterung.
So glücklich habe ich ihn noch nie gesehen, dachte Jutta. Er muss verliebt sein. Und ich bin es auch. Ich bin in ihn verliebt. Das habe ich nie deutlicher gespürt als gerade jetzt.
Jutta tastete nach seinen Händen. »Was wolltest du mir sagen?«
»Ich habe einen Plan, wie wir schon an diesem Wochenende zusammen und allein sein könnten.«
»Wie?«, fragte sie atemlos.
»Ich entlasse dich schon am Freitag und nehme mir übers Wochenende frei. Dann kann ich dich selbst nach Riederau bringen.«
»Oh, Jürgen, das wäre einfach wundervoll!«, rief sie begeistert. Impulsiv lehnte sie sich an ihn. »Glaubst du, dass das gehen wird?«
»Warum denn nicht? Schließlich bin ich der Stationsarzt. Nur ich entscheide über deine Entlassung. Und nur ich bin dem Chefarzt gegenüber für dich verantwortlich. Du brauchst nichts anderes zu tun, als ja zu sagen.«
Er schaute ihr in die Augen. Rasch nickte sie. »Ja, Jürgen.«
Da küsste er sie schnell auf die Stirn und löste sich von ihr, denn er hatte auf dem Gang schon wieder Schritte gehört. Er warf ihr eine Kusshand zu und verließ das Krankenzimmer. Gleich darauf trat die Nachtschwester ein.
*
Die wenigen Tage bis zu ihrer Entlassung konnte Jutta kaum noch ertragen. Jürgen war in diesen Tagen sehr beschäftigt, sodass sie ihn nur bei den Visiten sah.
»Werde ich morgen auch wirklich entlassen?«, fragte sie am Donnerstag die Oberschwester. Bange wartete sie auf die Antwort.
»Aber natürlich. Der Herr Doktor hat die Entlassungspapiere schon ausgefüllt.«
Jutta atmete erleichtert auf. Es bedrückte sie nun nur noch die bange Frage, ob Jürgen sie auch wirklich nach Riederau begleiten würde. Oder hatte er es sich inzwischen wieder anders überlegt? Warum hatte er sich in den ganzen letzten Tagen kein einziges Mal bei ihr sehen lassen?
Jutta wartete ungeduldig auf den Abend. Spätestens da musste er doch kommen und ihr Bescheid sagen.
Aber es wurde fünf Uhr, und die Schwester servierte das Abendessen. Dann wurde es sechs. Als die Uhr sieben zeigte, glaubte Jutta nicht mehr an Jürgens Besuch. Sie nahm die Schlaftablette, die die Schwester ihr gebracht hatte, und löschte das Licht.
Jutta