Der Kaperschiffer vor hundert Jahren. Фредерик МарриетЧитать онлайн книгу.
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Frederick Marryat
Der Kaperschiffer vor hundert Jahren
Neu aus dem Englischen
von
Dr. Carl Kolb.
Saga
Erstes Kapitel.
Wir kreuzen in der Höhe von Hispaniola — nehmen ein französisches Schiff — verfolgen unsern Kreuzzug weiter — machen einen nächtlichen Angriff auf das Haus eines Pflanzers und werden mit Verlust zurückgeschlagen.
An Mistress —
Verehrte Frau!
In Willfahrung Eures Wunsches will ich aus dem Tagebuch meiner jüngern Jahre einige Abschnitte meines abenteuerreichen Lebens auszeichnen. Als ich sie niederschrieb, schilderte ich die Gefühle meines Herzens ohne Rückhalt, und es soll kein Wort daran geändert werden, da ich weiss, Ihr wünscht zu erfahren, wie ich damals empfand, nicht wie sich meine Gedanken jetzt gestaltet haben. Man sagt, dem Leben eines jeden Menschen, wie niedrig auch seine Lage sein mag, lasse sich eine Lehre entnehmen, wenn es anders der Wahrheit gemäss erzählt ist; ich glaube daher, wenn Ihr das, was ich zu schreiben im Begriffe stehe, gelesen habt, so werdet Ihr mit mir einverstanden sein, dass aus meiner Geschichte sowohl Alt als Jung Vortheil erholen dürfte: eine solche Wirkung hoffe ich mit Gottes Gnade zuverlässig, wenn je meine Erlebnisse der Oeffentlichkeit übergeben werden sollten. Uebergehen wir indess alle weitere Einleitung — ich beginne meine Erzählung mit dem Kreuzzug vor Hispaniola, welchen ich in dem Kaper „die Rache“ mitmachte.
Die Rache führte 14 Kanonen und hatte den Kapitän Weatherall, einen sehr berufenen Kaperschiffer, zum Befehlshaber. Eines Morgens um Tagesanbruch entdeckten wir von der Stengenspitze aus ein Schiff, auf das wir mit jedem Stich Tuch, welche wir aussetzen konnten, Jagd machten. Beim Näherkommen erkannten wir ein grosses, tief geladenes Schiff, welches uns als leichte Prise vorkam; als wir jedoch den Rumpf näher mustern konnten, stellte sich heraus, dass es gut bewaffnet war und sowohl vorn als hinten eine volle Reihe von Geschütz hatte. Später zeigte sich’s, dass das Fahrzeug 60 Tonnen Last nebst 24 Kanonen führte, von St. Domingo ausgesegelt war und nach Frankreich zu segeln gedachte.
Das Schiff war von einem französischen Gentleman gemiethet, einem sehr tapfern Mann, der sich in Westindien ein grosses Vermögen erworben hatte und nun im Begriffe war, mit seiner ganzen Habe und Familie — letztere aus einer Gattin und einem einzigen Sohn von siebenzehn Jahren bestehend — nach Haus zu reisen. Sobald er entdeckte, wer wir waren, und die Unmöglichkeit einsah, einem so schnell segelnden Schiffe, wie die Rache war, zu entrinnen, beschloss er, bis auf den letzten Augenblick zu fechten; auch hatte er wahrlich allen Grund dazu, denn wo das ganze Vermögen, Gattin, Kind, Freiheit und vielleicht gar das Leben auf dem Spiele stehen, kann sich ein Mann wohl zum Aeussersten gespornt fühlen. Wie wir später erfahren, hatte er grosse Mühe, seiner Mannschaft einen gleichen Entschluss einzuflössen, und er konnte sie erst zur Erfüllung ihrer Pflicht vermögen, nachdem er sich verbindlich gemacht hatte, ihr den Werth der halben Ladung zu überlassen, im Falle es ihr gelinge, uns abzuschlagen und wohlbehalten einen französischen Hafen zu erreichen.
Durch sein Beispiel gespornt, — denn er sagte, er verlange von Niemand mehr, als er selbst leisten werde, — und vielleicht noch mehr durch sein grossmüthiges Erbieten ermuntert, erklärten die französischen Matrosen, dass sie ihn bis auf den letzten Augenblick unterstützen würden, und gingen wohlgemuth an ihr Geschütz, um sich für den Kampf vorzubereiten. Sobald wir ziemlich nahe standen, kürzte der Franzose die Segel zum Kampf, nachdem er zuvor seine mit Todesangst erfüllte Gattin genöthigt hatte, in den Raum hinunterzugehen und dort den Ausgang eines Gefechts abzuwarten, von dem Alles, was ihr theuer war, abhing. Die entschlossene Haltung des Schiffs und die kalte Unerschrockenheit, mit welcher es beilegte, um uns zu erwarten, bewog auch uns, Vorbereitungen für einen scharfen Kampf zu treffen. Der Gegner war uns zwar an Geschütz überlegen; als Kriegsschiff aber hatte die Rache viele Vortheile, abgesehen davon, dass wir eine reichlichere Bemannung hatten. Während unseres Näherkommens wurden einige Buggeschütze abgefeuert; als wir jedoch auf Kabelslänge einander gegenüberstanden, wechselten wir eine halbe Stunde lang volle Lagen, worauf unser Kapitän zu entern beschloss. Wir liessen unser Fahrzeug an der Seite auffahren und versuchten unsere Mannschaft an Bord zu werfen, trafen aber einen kräftigen Widerstand. Der französische Gentleman, der an der Spitze seiner Leute stand, erlegte eigenhändig zwei unsrer wackersten Matrosen und verwundete einen dritten auf den Tod. Durch ein derartiges Beispiel ermuthigt, kämpfte sein Schiffsvolk mit solcher Entschlossenheit, dass wir nach einem schweren Kampf den Enterversuch aufgeben und uns eiligst nach unsrem eigenen Fahrzeug zurückziehen mussten. Acht oder zehn von unsern Schiffskameraden schwammen in ihrem Blute.
Unser Kapitän, der beim Entern nicht persönlich mit betheiligt gewesen, war wüthend über unsere Niederlage und schalt uns Memmen, weil wir uns von einem Deck hatten zurücktreiben lassen, auf dem wir bereits Fuss gewonnen; dann forderte er uns auf, den Kampf zu erneuern, ging selbst voran und war der Erste an Bord des Schiffs, wo er bald mit dem tapferen Franzosen handgemein wurde, der schon früher ein solches Gemetzel unter unserer Mannschaft angerichtet hatte. So gut und mannhaft auch Kapitän Weatherall seine Waffe zu führen wusste, hatte er jetzt doch mit einemmale einen Gegner gefunden, der ihm mehr als gewachsen war; er erhielt eine leichte Wunde und würde wahrscheinlich erlegen sein, wenn nicht das Vorstürzen unserer ganzen Mannschaft, welche inzwischen das Deck erreicht hatte, ihn von seinem Feinde getrennt hätte. Jetzt kam uns die Uebermacht unserer Zahl zu statten. Die französische Schiffsmannschaft focht zwar mit hoher Entschlossenheit, aber trotz ihrer Anstrengung und der Tapferkeit ihres Führers gelang es uns doch, sie nach dem Halbdeck zurückzutreiben. Hier erneuerte sich das Gefecht mit der grössten Hartnäckigkeit, denn unsre Gegner waren bemüht, ihren letzten Haltpunkt zu behaupten, während wir Allem aufboten, um unsere Eroberung zu vervollständigen. Die Franzosen konnten nicht weiter zurück, und unsere Vorderreihe sah sich von den hinteren, welche an dem Kampfe theilzunehmen suchten, vorwärts gedrängt. Da jeder Ausweg abgeschnitten war, so rangen die Franzosen mit der vollen Wuth des Hasses und der Verzweiflung, während wir, angefeuert von dem hartnäckigen Widerstand, in wilder Rachsucht nach dem Blut der Feinde dürsteten. In eine einzige Masse zusammengekeilt tobte nun der Kampf, für den es ganz und gar an Raum gebrach, im Handgemenge. Jeder suchte mit gekürzter Wehr das Herz seines Gegners auf; die Verwundeten fielen fechtend auf dem Deck über einander, wälzten sich unter den Todten und Sterbenden oder wurden von den Uebrigen, die das Gefecht mit ungeminderter Wuth fortsetzten, unter die Füsse getreten.
Endlich gewann die Uebermacht der Zahl den Sieg, der aber jedenfalls theuer erkauft hatte werden müssen. Wir waren im Besitz des Decks, hatten die Flagge heruntergenommen und wollten uns nun nach der übermächtigen Anstrengung verschnauben, da wir uns schon ganz und gar für die Herren des Schiffs hielten; aber wir hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Der erste Lieutenant des Kapers und sechs von uns waren nach der Hütte hinuntergestürzt, und wie wir eben in die Kajüte dringen wollten, um Beute aufzusuchen, fanden wir die Thüre von dem tapferen Franzosen, seinem Sohn, dem Kapitän des Schiffes und fünf französischen Matrosen vertheidigt. In ihrem Rücken befand sich die Gattin des französischen Gentlemans, deren Schutz sie sich geweiht hatten. Der Lieutenant, welcher uns anführte, bot ihnen Pardon an; aber von der Aussicht auf gänzliche Zugrundrichtung und auf die Gefangenschaft, die seiner harrte, bis zum Wahnsinn gespornt, wies der Gentleman den Antrag mit Verachtung zurück, stürzte auf unsern Lieutenant los, schlug ihm die Parade durch und war eben im Begriff, ihn niederzustossen, als ich noch zu guter Zeit eine Pistole auf ihn abfeuerte, um das Leben meines Offiziers zu retten. Die Kugel drang ihm durchs Herz, und so starb einer der tapfersten Männer, die mir je vorgekommen sind. Zu gleicher Zeit wurde sein Sohn mit einer Zimmeraxt zu Boden geschlagen; die Uebrigen warfen sich jetzt aufs Deck nieder und baten um Pardon. Unsere Leute waren aber durch diese Erneuerung des Kampfes so aufgebracht, dass der Lieutenant allem seinem Ansehen aufbieten musste, um das Blutbad zu verhindern, welches den nicht mehr Widerstrebenden zugedacht war.
Doch wer ist im Stande, die Lage der unglücklichen Dame zu schildern, welche Zeuge einer so schrecklichen Scene hatte sein müssen — vor ihren Augen der erschlagene Gatte, der einzige Sohn in seinem Blute ächzend, und sie allein, Alles dessen beraubt, was ihr theuer war! Am Morgen noch im Besitze eines grossen Reichthums, jetzt