Breiter bis wolkig. Bernd NeuschlЧитать онлайн книгу.
für Ulrike
Wenn Bernd Neuschl (*1981) nicht gerade auf der Bühne ausverkaufte Lesungen zelebriert oder mitreißende Konzerte dirigiert, vermittelt der zweifach examinierte Lehrer die Schönheit der deutschen Sprache und Musik an seine Schüler bis hin zum Abitur. Der Dirigent, Autor und Kabarettist veröffentlicht regelmäßig in Zeitungen und Zeitschriften Rezensionen und Glossen. Darüber hinaus engagiert er sich ehrenamtlich als Jugendchorleiter, Moderator und Stadtrat in seiner Heimatstadt Bretten. Seine Bühnenfiguren, Musikprofessor Ben Bock und der urige Bayer Herbfried Nudelhuber, gehören zu den Highlights der „Brettener Bütt“, deren Prunksitzungen Neuschl seit 2006 als Präsident leitet. Wenn es sein Terminkalender zulässt, tritt er als Comedy-Magier bei Hochzeiten, Kindergeburtstagen oder auch Scheidungen auf.
Bernd Neuschl
Breiter
bis wolkig
Lach- und Quatschgeschichten
über das Leben, die Liebe
und den Durst
LINDEMANNS
Beziehungsweisen
Die Stuhlpatin
Eigentlich hätte es eine romantische Szene werden können. Der Zug fährt in den Bahnhof ein, wir umarmen uns und ich vergesse für einen Augenblick die anstehende räumliche Trennung.
Eine letzte Umarmung auf dem Trittbrett, ehe sich die zischenden Zugtüren mit einem finalen Schmatzen ihrer Gummidichtungen viel zu schnell schließen werden. Ich spüre, dass mich Laura überhaupt nicht richtig drückt. Ganz passiv steht sie da. Irritiert löse ich meine Arme, suche ihren Blick, aber sie starrt auf den schroffen Gleisschotter zwischen Zug und Bahnsteig.
Ich bekomme Panik und möchte ihr noch schnell einen allerletzten Kuss auf ihre kühlen Lippen drücken. Sie dreht ihren Kopf gänzlich weg. Geht einen Schritt zurück. Sie holt tief Luft, nimmt meine Hände ganz förmlich in die ihren. Schlagartig entflammt sich in meinem Bauch ein schlimmes Gefühl. Es ist, als stehe da auf einmal eine völlig fremde Frau vor mir.
Mit leeren Augen schaut sie mich kühl an, kann meinen sehnsuchtsvollen Blicken aber nicht standhalten. Sie sieht nach oben und lässt mit einem schweren Seufzer meine Hände fallen.
Jetzt kommen die Worte, die ich nie aus ihrem Mund hatte hören wollen. Worte, die mich schlagartig lähmen und nach drei glücklichen Jahren alles um mich herum in triste, bedrohliche Farben tauchen.
Sie habe das Gefühl, wir hätten uns auseinandergelebt. Meinen beruflichen Wechsel von Hamburg zurück nach Köln wolle sie deshalb nutzen, um unter unsere Beziehung einen Schlussstrich zu ziehen.
Für mich bricht meine Welt zusammen. Wir hatten uns doch beide auf das neue Abenteuer Fernbeziehung gefreut. Alles Reden und Flehen hilft nichts. „Mach’s gut, Ben.“
Hilflos muss ich zusehen, wie sich die Türen des Zuges zynisch zischend zwischen uns schieben. Wie von Geisterhand schwebt Laura langsam nach rechts, dabei bin ich es, der mit dem anfahrenden Zug der unwirklichen Szene entschwindet.
Einsam sitze ich im Abteil und bin zu geschockt, als dass ich losheulen könnte. Ich hoffe inständig, dass sie mir zum Abschied zumindest winken oder doch noch wenigstens eine Kusshand zuwerfen würde. Oder sie würde gar den Zug anhalten lassen, zu mir ins Abteil stürzen, mich fest umklammern und schluchzen „Ben, verlass’ mich nicht, ich liebe dich doch.“
Doch als sich der Zug in Bewegung setzte, konnte ich nur sehen, wie sich Laura bereits gänzlich zum Gehen abgewendet hatte. Das Letzte, was ich von ihr sehnsuchtsvoll erhaschen konnte, waren ihre wundertollen Haare und der elegante rote Mantel, den ich ihr zum Geburtstag vergangenen Mai geschenkt hatte. Ohne sich auch nur einmal umzudrehen, floh sie eilig die Treppen der Gleisunterführung hinunter.
Von der Fahrt nach Köln weiß ich nichts mehr. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich mir tagelang wünschte, das Ganze sei ein böser Albtraum gewesen. Es hatte doch alles gepasst. Mein neuer Job war mir egal. In Hamburg war ich ein kleiner Korrepetitor gewesen und hatte jahrelang Musicaldarsteller bei sämtlichen Proben auf dem Klavier begleitet. Dann wurde ich endlich als zweiter Kapellmeister für zwei Konzertproduktionen nach Köln berufen. „Hairspray“ und „Bodyguard“. Ein Vertrag für vier Jahre. In der Branche gleicht das einem Sechser im Lotto.
Laura wollte weiterhin als Onlineredakteurin beim Norddeutschen Rundfunk für die Kulturnachrichten arbeiten. In Hamburg zu bleiben begründete sie mit der gewagten Hoffnung, eines schönen Tages bei der ARD Miss Tagesschau werden zu können. Aus diesem Grund nahm sie sogar Schauspielunterricht und ging hin und wieder mit einem Theaterensemble auf Tournee.
Dass der berufliche Wechsel von der Elbe in meine alte Heimatstadt am Rhein so furchtbar werden würde, hatte ich mir selbst in meinen schlimmsten Träumen so nicht ausgemalt.
Ich schrieb Laura endlos lange Briefe. Glühende Liebesschwüre waren das, mit goldener Feder die Vergangenheit verklärend. Von ihr jedoch kam kein Lebenszeichen.
Nach zwei Monaten verwandelte sich meine Trauer in Wut. Aus diesem Grund schickte ich ihr ein Paket mit all den Geschenken, die sie mir in den drei Jahren gemacht hatte. Es fiel mir überraschender Weise nicht schwer, mich von diesen kostbaren Erinnerungen zu trennen.
Als ich das Paket abgegeben hatte, kam ich mir sehr erleichtert vor. Bis mich Lauras neuer Freund Lukas anrief und mir drohte, falls ich Laura weiterhin belästigen würde, käme er persönlich nach Köln, um die Sache zu klären. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Laura hatte also nach so kurzer Zeit schon einen neuen Partner.
Aus meiner Wut wurde Hass. Dann erfuhr ich zufällig von einer gemeinsamen Freundin, dass die Sache zwischen Laura und Lukas, dem Lichttechniker ihrer Theatergruppe, schon über ein Jahr ging. Wieder war ich geschockt, aber im gleichen Augenblick hatte ich nicht mehr das Bedürfnis, Laura in meiner Erinnerung zu überhöhen. Im Gegenteil.
Aus Hass wurde abgrundtiefe Abscheu, welcher ich in einem allerletzten Telefonat Luft machte.
Das Ganze ist jetzt ein Jahr her. Es stimmt, nichts dauert ewig. Nicht einmal Liebeskummer. Zum Glück. Wunden heilen. Narben bleiben jedoch als stumme Warnung für mehr Achtsamkeit in einer künftigen Beziehung zurück.
In meiner alten Heimat Köln habe ich so gut es ging alte Verbindungen neu aufleben lassen, aber auch neue Freundschaften geschlossen.
Ein besonderer Freund ist Holger, mein Jahrgang, aber im Vergleich zu mir ein echt schräger Zeitgenosse.
Holgers Nachnamen lautet Hartnuß. Ich finde, dieser Nachname passt, denn Holger Hartnuß ist ein wahrer Sturkopf vor dem Herrn. Entgegen sämtlicher Empfehlungen seiner Lehrer und Studienberater studiert Holger Mathematik. Mittlerweile im 24. Semester. Die Miete für seine Wohnung in einem kleinen Vorort von Köln bezahlen seine Eltern.
Er hält sich als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität finanziell verblüffend trocken über Wasser. Aufgrund von Budgetkürzungen sollen jedoch ab dem kommenden Semester sämtliche Stellen der wissenschaftlichen Hilfskräfte an seiner Fakultät für ein Jahr ersatzlos gestrichen werden. Deshalb jobbt Holger bereits jetzt schon freitags auf einem Recyclinghof, wo er pro Schicht 27 Tonnen Kühlschränke aus rostigen Abrollcontainern auf ein Förderband wuchtet oder gleich Richtung Schredder wirft.
Manchmal hilft er auch in dem altehrwürdigen Bestattungsunternehmen seines Onkels aus. Je nach Tagesform kann es jedoch vorkommen, dass Holger sein Tätigkeitsfeld verwechselt und den Sarg beim Verladen in den Leichenwagen oder beim Abseilen in das offene Grab vor den Augen entsetzter Angehörigen mit einem kaputten Kühlschrank verwechselt. Im Gegenzug dazu verneigt er sich auch schon mal pietätsvoll, wenn ein Kühlschrank in den Schredder gleitet.
Und dieser Holger ist es auch, der die glorreiche Idee hat, mich bei einem Speed-Dating anzumelden. Was soll schon schiefgehen? Da ich ohnehin vorhabe, am Sonntagabend die Abschlussvorstellung einer Gastproduktion des Hippie-Musicals „Hair“ zu besuchen, kann ich auch schon zwei Stunden früher los.
Es ist Sonntagmittag