Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert.. Wolfgang BorchertЧитать онлайн книгу.
Borchert plante einen Roman mit dem Titel Persil bleibt Persil. Nur wenige Seiten sind ab dem 11. Januar 1947 geschrieben worden. Die Einteilung der Bücher erinnert an die grauen Akte des Stücks: 1. Buch: Die Nacht; 2. Buch: Nacht um uns, Nacht; 3. Buch: Nacht Nacht Nacht. Borcherts Verzweiflung hatte in Draußen vor der Tür einen Höhepunkt erreicht; beendet hat er sein literarisches Thema nicht.
Draußen vor der Tür ist nicht Borcherts einziges Stück, wie angenommen und behauptet wird. Zuvor schrieb er Stücke mit historischen oder politischen Inhalten. 1938 entstand Yorick, der Narr!, angeregt von Shakespeares Hamlet. Im Dezember 1937 hatte Gustaf Gründgens[13] als Hamlet auf der Bühne Borcherts Leben entscheidend beeinflusst. Auf dieses Erlebnis, seither hing ein Gründgens-Bild in Borcherts Zimmer, geht seine Theaterleidenschaft zurück; Hamlet wurde für Borchert zu einer Identifikationsgestalt. 1939 folgte Käse. Die Komödie des Menschen, in dem ein Käsehändler nach der Weltherrschaft strebt und vom Genie Wolff Günter – der Name setzt sich aus Borcherts Vornamen und dem seines Freundes Günter Mackenthun zusammen – daran gehindert wird.[14]
Als drittes Stück folgte Der schwarze Cardinal; es wurde von Goethes Egmont angeregt: „Das erste war wüst, weil ich zu jung war, das zweite war staatsfeindlich, das dritte in drei Tagen geschrieben und ebenfalls der heutigen Zeit contrair gestimmt.“[15] Das Stück nimmt Anleihen aus der Weltliteratur auf, besonders intensiv aus Goethes Faust. Insofern liegt es nahe, die Ähnlichkeiten, die Draußen vor der Tür mit Faust aufweist, als beabsichtigt zu sehen. Schließlich taucht das Faust-Problem nicht als Schöpfungs- und Erkenntnisproblem, sondern als Vernichtungsvorgang auch in der Erzählung Die lange lange Straße lang auf. Er lässt seinen Leutnant Fischer in Die lange lange Straße lang fragen, wer die todbringende Faust-Marionette bewege; der Leierkastenmann bekennt sich dazu. Wer aber der Leierkastenmann ist, wusste Borchert nicht. Deshalb wiederholte er Thema und Fragen fortwährend. Der Massenmord – „sechs Millionen“ (HL S. 40/R S. 58) korrespondiert mit den Zahlen der Naziverbrechen an den Juden –, angesprochen in Draußen vor der Tür, variiert in Die lange lange Straße lang, begleitete Borcherts Werk: Ohne Nennung Fausts schrieb Borchert die Geschichte des Massenmörders bezeichnenderweise in den Lesebuchgeschichten:
„Der Mann mit dem weißen Kittel schrieb Zahlen auf das Papier. Er machte ganz kleine zarte Buchstaben dazu. Dann zog er den weißen Kittel aus und pflegte eine Stunde lang die Blumen auf der Fensterbank. Als er sah, dass eine Blume eingegangen war, wurde er sehr traurig und weinte. Und auf dem Papier standen die Zahlen. Danach konnte man mit einem halben Gramm in zwei Stunden tausend Menschen tot machen. Die Sonne schien auf die Blumen. Und auf das Papier.“ (Rowohlt Tb S. 81)
Borcherts Haltung ist antimilitaristisch und erscheint pazifistisch, ist es aber nicht grundsätzlich. Wichtig war ihm die Verantwortung für eine Tat, die auch militant sein konnte: „Wir sagen nicht nein aus Verzweiflung. Unser Nein ist Protest.“ (Rowohlt Tb S. 116) In seinen beiden Schriften Dann gibt es nur eins! und Das ist unser Manifest geht es um ein neues Deutschland, in dem die Menschen sich zum Leben, zur Liebe und zum Wiederaufbau bekennen. In diesen Schriften lehnt Borchert nihilistische Haltungen ab. Es geht ihm nicht um „die reingefegte Luft der Nihilisten“, sondern um Häuser, die gebaut werden, „Häuser aus Holz und Gehirn und aus Stein und Gedanken“ (Rowohlt Tb S. 116).
Statt nihilistischer Verneinung verdichten sich bei Borchert literarische Maximen zu Lebensweisheiten, denen er folgt. Wichtig wurde dabei Shakespeares Hamlet. Er wurde oft von Borchert zitiert und genannt, schließlich aber auch zur Lebenschance. Hamlets Zweifel um Sein oder Nichtsein war, so Borchert in einem Brief an seine geistige Mentorin Aline Bußmann im August 1941, „auch Hamlets Größe (…). Was liegt nun noch an Gut und Böse? Leben will man – Sein oder Nichtsein ist tatsächlich immer noch die größte Frage und wird es auch ewig sein!“[16] In Aline Bußmanns Salon lernte er Literarisches kennen, wenn auch nicht in weltläufiger, sondern in heimatorientierter Weise: Aline Bußmann gab Werke ihre Freundes Gorch Fock heraus und trat am Richard-Ohnsorg-Theater auf.
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