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Weihnachten. Karl-Heinz GöttertЧитать онлайн книгу.

Weihnachten - Karl-Heinz Göttert


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zum Beispiel im Hohen Lied, einem der bekanntesten Texte des Alten Testaments, verwendet und bezeichnet dort Königinnen und Konkubinen, die ganz sicher keine Jungfrauen waren. Man kann so gesehen von einer Ungenauigkeit der Übersetzung oder schärfer von einem Übersetzungsfehler sprechen. Übrigens enthalten die jüdischen Neuübersetzungen des Alten Testaments ins Griechische nach dem von ihnen empfundenen Skandal der fortschreitenden »Christianisierung« der Septuaginta an dieser Stelle das Wort neanis, das eindeutig ›junge Frau‹ bedeutet. Noch Luther hat dagegen die ›Jungfrau‹ zäh verteidigt. Das Gespräch mit Rabbinern über die Jesajavoraussage brach er gekränkt ab, als die Rabbiner seiner Verteidigung der Jungfrau nicht folgen wollten – nach einer Anekdote wollte er den Juden 100 Gulden zahlen, falls bei Jesaja wirklich nur eine »junge Frau« gemeint sei.

      Aber die Sache ist letztlich noch dramatischer. Das Zitat bezieht sich wie beim Zitat von Micha auf die äußerst kritische Bedrohung Israels durch die Assyrer, wobei der Prophet Jesaja seinem König Ahas Mut machen wollte, auf Jahwe zu vertrauen und auf jeden aktiven Widerstand zu verzichten, um keinen Anlass zu einer Racheaktion zu bieten. Jahwe selbst wendet sich an Ahas, dass er sich ein tröstendes Zeichen erbitten solle. Als der sich unentschlossen zeigt, nennt Jahwe selbst dieses Zeichen: Eine junge Frau – das Judentum kennt keine Jungfrauengeburt – werde den Retter Immanuel gebären, und er beschreibt weitere Zeichen, an denen er zu erkennen ist, zum Beispiel dass er Butter und Honig essen werde.

      Die nächste Vorausdeutung bezieht sich auf die Flucht der Familie nach Ägypten aufgrund der Verfolgung durch Herodes. Josef ist auch hier wieder – nach entsprechender Aufforderung im Traum – der Protagonist, denn er ist es, der in der Nacht aufstand und »mit dem Kind und dessen Mutter« nach Ägypten flieht, ehe er nach dem Tod des Herodes – wieder nach einem Traum und wieder mit der Familie – nach Nazaret zurückkehrt. Da hakt Matthäus ein und zitiert erneut einen Propheten, der das schon vorher wusste: »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen« (Mt 2,15). Der Prophet ist in diesem Fall Hosea, der im 8. Jahrhundert im Nordreich wirkte, als sich das jüdische Volk trotz der politischen Bedrohung immer wieder von Jahwe abwandte. Übrigens macht Matthäus in seinem Zitat aus »Söhnen« einen »Sohn«, um damit die Voraussage zu gewinnen.

      Fügen wir noch kurz die letzten beiden Voraussagen hinzu. Beim von Herodes angeordneten Kindermord in Betlehem heißt es: »Ein Geschrei war in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn sie waren nicht mehr« (Mt 2,18). Dies bezieht sich auf den Propheten Jeremias (Jer 31,15), der in den Zeiten der Babylonischen Gefangenschaft seinem Volk neuen Mut zu machen versucht. Dazu gehört die Erinnerung an die Verschleppung nach Ägypten, als Rahel, die Lieblingsfrau von Jakob, ihre Kinder beweinte – in Rama nahe Betlehem, wo das Grab der Rahel verehrt wurde. Dabei muss man berücksichtigen, dass es in diesem Fall nicht um Morde ging, vielmehr um Verschleppung, die der Prophet deswegen als Referenz heranzog, um zu betonen, dass diese einst Verschleppten im Triumph zurückkehren sollten. Genau damit wollte er die neuerlich Verschleppten trösten, die von den Assyrern übrigens vor ihrem Abtransport nach Babylon in Rama gefangengehalten worden waren. Über die letzte und schwächste Erfüllungsvoraussage im Zusammenhang mit Jesus als »Nazarener«, die sich nirgendwo finden lässt, wurde schon gesprochen.

      Um zusammenzufassen: Keine einzige Vorausdeutung erfüllt Kriterien, die man nach moderner historisch-kritischer Methode an eine solche stellen muss. Dafür sind sie zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen, entstellt, ja beruhen auf Übersetzungsfehlern. Aber es gibt eben auch eine andere Perspektive. Wenn man nicht so genau hinsieht, erscheinen die Ereignisse des Neuen Testaments aufgrund ihrer Spiegelung im Alten in einem reizvollen Licht, voller Bezüge, die immer nur eines andeuten: dass Gott in dieser Welt handelt. Wer auch noch glaubt, dass dieser Gott seinen Sohn als Erlöser der Welt geschickt hat, kann nicht davon ausgehen, dass sich dieses Ereignis unangekündigt, unkommentiert, einfach nur »historisch« vollzog. Es muss in ein Gewebe von Zeichen gehüllt sein, die sich mit etwas Mühe entdecken lassen. Eine Jungfrau gebiert den Sohn Gottes – wer fragt da nach den genauen Umständen? Matthäus tut es nicht, weil er nicht an Zufälle glaubt, wo es um etwas so Wichtiges geht. Und was ist wichtiger als diese alles ändernde Geburt?

      Matthäus versucht, die Glaubwürdigkeit also anders als Lukas zu erzielen. Er vertraut auf die Voraussagen, weil er ohnehin die Jesus-geschichte in die Geschichte Israels eingebettet sieht. Im Übrigen arbeitet er nicht mit einer historischen Datierung, der dann eine idyllische Schilderung mit Hirten fern jeder historischen Wirklichkeit folgt, sondern bietet eine durch und durch »historische« Szenerie mit realistischen oder durchaus realistisch wirkenden Akteuren.

      Drei Magier und Herodes

      Den Start bildet dabei ein kosmisches Ereignis, das der Geburt eines Gottes angemessen ist, jedenfalls in der antiken Tradition immer wieder mit einem solchen verbunden wurde. Es gibt also ein Zeichen am Himmel: Ein Stern ist erschienen, der auf einen Ort verweist, an dem sich Großes ereignet.

      Man kennt die Geschichte, die sich nun vollzieht. Der Stern wird von Spezialisten beobachtet, von Astronomen bzw. Astrologen, die sich mit Sternen und Vorbedeutungen auskennen – Matthäus spricht von magoi, was die Einheitsübersetzung mit ›Sterndeuter‹ und Luther mit ›Weise aus dem Morgenland‹ übersetzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wurden daraus gemeinhin ›Magier‹. Die historischen Vorbilder dürften persische Priester gewesen sein, später ausgeweitet auf Theologen, Astronomen/Astrologen, Zauberer und Wundertäter aus dem Osten. In der Tradition wurden daraus Könige, wieder einmal im Sinne einer Vorausdeutung. Den Bezug stellt Psalm 72 her, der das Vermächtnis Salomos für seinen Nachfolger formuliert: »Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Gaben, mit Tribut nahen die Könige von Scheba und Saba. Alle Könige werfen sich vor ihm nieder, es dienen ihm alle Völker.« Entgegen der unbestimmten Zahl bei Matthäus sind es bei Origenes dann genau drei, weil Matthäus von drei Geschenken berichtet: Gold, Weihrauch, Myrrhe. Natürlich ist auch dies immer wieder kommentiert bzw. gedeutet worden, zum Beispiel Weihrauch für Jesus als Gott, Myrrhe für den Menschen, Gold für den König. Ganz abgesehen davon, dass die Sterndeuter-Könige Namen bekamen, nämlich Caspar, Melchior und Balthasar. Sie wurden zuerst als Vertreter der drei Lebensalter, später als Vertreter der gesamten bekannten Welt gesehen, so dass Caspar als Schwarzer dargestellt wurde und in der Kunst häufig auffällig prunkvoll-modisch gekleidet ist.

      Ludwig Konraiter (zugeschr.): Die Anbetung der Könige, Magdalenenkappelle, Hall (Tirol)

      Es ist klar, was Matthäus mit seiner mythologischen Darstellung »sagen« will: Gottes Sohn kommt nicht einfach so in die Welt, der Kosmos reagiert. Und der zweite, noch wichtigere Punkt: Dieser Sohn Gottes kommt zu den Juden, deren Schriftgelehrte werden förmlich auf ihn aufmerksam gemacht, wissen auch aufgrund ihrer Bibelkenntnis, dass nur Betlehem für die Geburt in Frage kommt – und gehen nicht hin. Ganz im Gegenteil, sie verraten den Ort auch noch jemandem, bei dem sie sich ausrechnen können, dass er kurzen Prozess machen wird – Herodes. Nur zeigt sich dann, dass Gott solche Boshaftigkeit durchkreuzt. Er lässt im Traum Josef informieren, der dann mit der Flucht nach Ägypten die Situation rettet. Schon die Magier müssen Lunte gerochen haben, kehren sie doch nicht zu Herodes zurück, um ihm die genaue Lage zu verraten, sondern ziehen »auf einem anderen Weg heim in ihr Land«. Herodes sieht sich damit »getäuscht« und greift zur Rache. Schwer zu sagen, wer danach schlechter dasteht: Herodes als Mörder oder die Juden als Verräter.

      Matthäus hat also konstruiert, aber er macht es anders als Lukas. Gewiss, er »mythologisiert«, aber die Ereignisse fühlen sich »historischer« an, auch wenn ein wichtiger Punkt offenbleibt. Matthäus sagt nichts über die Zeit des Ereignisses, erwähnt keine Krippe, sondern spricht von einem »Haus«, in dem die Sterndeuter das Kind »sahen«. Jedenfalls finden sich bei Matthäus keine Krippenseligkeit, keine Hirten mit Engelsgesang, sondern konkrete Gestalten, die politische Ereignisse hervorrufen, die das Geburtsgeschehen mit der damaligen politischen Wirklichkeit verknüpfen. Das liegt weniger an den Sterndeutern als an Herodes. Und in einem überraschenden Punkt ist auch noch das, was man am ehesten als Mythologie verstehen könnte, wieder mit der damaligen Gegenwart verknüpft: der Stern bzw. die mit ihm verbundene Erwartung


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