Theorie und Therapie der Neurosen. Viktor E. FranklЧитать онлайн книгу.
Dereflexion
1 Erwartungsangst und Beobachtungszwang
2 Klinik der Hyperreflexion und Technik der Dereflexion
Schlafstörungen
E) Existenzanalyse als psychotherapeutische Anthropologie
Auswahl aus dem Schrifttum über Logotherapie
Vorwort zur 1. Auflage
Das hiermit vorgelegte Buch ist hervorgegangen aus Vorlesungen, die ich unter dem Titel „Neurosenlehre und Psychotherapie“ bzw. eben „Theorie und Therapie der Neurosen“ an der Universität Wien gehalten hatte. Sie wurden ergänzt aus den Manuskripten von Vorträgen, die ich anderwärts zu halten hatte.
Unter solchen Umständen sind Überschneidungen, ja Wiederholungen zwar unvermeidlich, aber – im Hinblick auf die didaktische Absicht – nicht einmal unerwünscht.
Auf der anderen Seite sind Vernachlässigungen unter solchen Umständen nicht weniger unvermeidlich; denn durch das „weite Land“ der Seele (Arthur Schnitzler) führen viele Wege. Der tatsächlich eingeschlagene ist weder ein willkürlich gewählter noch der einzig mögliche und allein notwendige; aber er führt über jene Standorte und Haltestellen, an denen sich sowohl die Problematik als auch die Systematik aller Neurosentheorie und -therapie auf eine mehr oder weniger neue und fruchtbare Art und Weise einsehen läßt. Videant collegae.
Jede Theorie und Therapie der Neurosen hat sich auf einer Himmelsleiter zu bewegen, die auf dem klinischen Boden steht und dennoch in den metaklinischen Raum hineinreicht. Aus heuristischen Gründen und zu didaktischen Zwecken muß dabei so getan werden, als gäbe es so etwas wie distinkte Sprossen dieser Jakobsleiter: eigentlich gibt es keine rein somatogenen, psychogenen und noogenen Neurosen, vielmehr bloße Mischfälle – Fälle, in denen sich je nachdem ein somatogenes, psychogenes oder noogenes Moment in den Vordergrund theoretischer Ansichten und therapeutischer Absichten schiebt. Solche Reservatio mentalis ist zwischen den Zeilen zu lesen.
V. E. Frankl
Vorwort zur 4. Auflage
Gegenüber den vorangegangenen Auflagen wurde die Neuauflage teils gekürzt, teils erweitert. Erweitert wurde sie nun hauptsächlich um eine verhältnismäßig ausführliche Einleitung, die das vorgelegte Material auf den gegenwärtigen Stand logotherapeutischer Forschung und Praxis anheben sollte. Diese Einleitung ist aus einem Seminar „Theory and Therapy of Neuroses“ hervorgegangen, das ich im Rahmen meiner Professur für Logotherapie an der United States International University in San Diego (Kalifornien) während der Winterquartale der letzten Jahre gehalten hatte.
Ein Wort noch zur Bibliographie, die ja ebenfalls auf den heutigen Stand des logotherapeutischen Schrifttums angehoben wurde. Im Zuge der Revision traten neuere Publikationen an die Stelle älterer Veröffentlichungen. Komplett ist die Bibliographie nur hinsichtlich der Sparten I (Bücher) und III (Dissertationen). In beide Sparten wurden nämlich auch Arbeiten aufgenommen, die entweder in eine Fremdsprache übersetzt oder in einer anderen als der deutschen Sprache publiziert worden waren. Letzteres gilt unter meinen Büchern von den drei Werken „Psychotherapy and Existentialism“, „The Unheard Cry for Meaning“ und „The Will to Meaning“, die englisch geschrieben und nicht ins Deutsche (sondern nur in andere Sprachen) übersetzt wurden – „Der Wille zum Sinn“ ist keine deutsche Fassung von „The Will to Meaning“. Und unter den Dissertationen wurde die Majorität ja ebenfalls englisch geschrieben.
So bleibt mir denn nur noch, meinen seinerzeitigen Assistenten und Studenten zu danken, von denen ich so viel kasuistisches Material benutzen durfte, das die Logotherapie in der Praxis demonstriert.
Wien/San Diego, California im Winter 1974/1975
Viktor E. Frankl
Vorwort zur 5. Auflage
Gegenüber der 4. Auflage wurde der Text nur an wenigen Stellen verändert. [...] Die Bibliographie wurde von Grund auf umgearbeitet beziehungsweise auf den neuesten Stand gebracht. Die Literatur mag dem Leser aber auch einen Eindruck vermitteln von dem weltweiten Echo, das die Logotherapie gefunden hat.
Wien, im März 1982
Viktor E. Frankl
Einleitung
Was ist Logotherapie?
Bevor wir darangehen, zu sagen, was Logotherapie nun eigentlich ist, empfiehlt es sich, zunächst einmal zu sagen, was sie nicht ist: sie ist keine Panazee! Die Bestimmung der „Methode der Wahl“ in einem gegebenen Falle läuft auf eine Gleichung mit zwei Unbekannten hinaus:
Ψ = x + y
– wobei x für die Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Patientenpersönlichkeit steht, und y für die nicht weniger einmalige und einzigartige Persönlichkeit des Therapeuten. Mit anderen Worten, weder läßt sich jede Methode in jedem Falle mit den gleichen Erfolgsaussichten anwenden, noch kann jeder Therapeut jede Methode mit der gleichen Wirksamkeit handhaben. Und was für die Psychotherapie im allgemeinen gilt, gilt im besonderen eben auch für die Logotherapie. Mit einem Wort, unsere Gleichung ließe sich ergänzen, indem wir nunmehr formulieren:
ψ = x + y = λ.
Und doch konnte es Paul E. Johnson einmal wagen, zu behaupten: „Logotherapy is not a rival therapy against others, but it may well be a challenge to them in its plus factor.“ Was diesen Plusfaktor aber ausmachen mag, verrät uns N. Petrilowitsch, wenn er meint, die Logotherapie verbleibe im Gegensatz zu allen anderen Psychotherapien nicht in der Ebene der Neurose, sondern gehe über sie hinaus und stoße in die Dimension der spezifisch humanen Phänomene vor („Über die Stellung der Logotherapie in der klinischen Psychotherapie“, Die medizinische Welt 2790, 1964). Tatsächlich sieht zum Beispiel die Psychoanalyse in der Neurose das Resultat psychodynamischer Prozesse1 und versucht demgemäß, die Neurose dadurch zu behandeln, daß sie neue psychodynamische Prozesse ins Spiel bringt, etwa die Übertragung; die lerntheoretisch engagierte Verhaltenstherapie sieht in der Neurose wieder das Produkt von Lernprozessen oder conditioning processes und bemüht sich dementsprechend, die Neurose dadurch zu beeinflussen, daß sie eine Art Umlernen beziehungsweise reconditioning processes in die Wege leitet. Demgegenüber steigt die Logotherapie in die menschliche Dimension ein und wird solcherart instand gesetzt, die spezifisch humanen Phänomene, auf die sie dort stößt, in ihr Instrumentarium aufzunehmen. Und zwar handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als die zwei fundamental-anthropologischen Charakteristika menschlicher Existenz, die da sind: ihre „Selbst-Transzendenz“ (Viktor E. Frankl, in: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie, Urban und Schwarzenberg, München 1959), erstens, und, zweitens, die – menschliches Dasein als solches, als menschliches, nicht weniger auszeichnende – Fähigkeit zur „Selbst-Distanzierung“ (Viktor E. Frankl, Der unbedingte Mensch, Franz Deuticke, Wien 1949, Seite 88).
Die Selbst-Transzendenz markiert das fundamental-anthropologische Faktum, daß menschliches Dasein immer auf etwas verweist, das nicht wieder es selbst ist, – auf etwas oder auf jemanden, nämlich entweder auf einen Sinn, den zu erfüllen es gilt, oder aber auf mitmenschliches Dasein, dem es begegnet.