Blackout, Bauchweh und kein' Bock. Timo NolleЧитать онлайн книгу.
Danksagung
Geleitwort
Wege zu Lernfreude, Wohlbefinden und Spitzenleistung
In einer sich schnell wandelnden Welt, die zunehmend durch Globalisierung, Digitalisierung, den wachsenden Gegensatz zwischen Arm und Reich sowie die Folgen des Klimawandels bestimmt wird, stehen wir vor der Herausforderung, die nachwachsende Generation so umfassend zu bilden, dass sie in der Lage ist, zukunftsorientiert mit der immer größer werdenden Komplexität umzugehen. Dies kann nur gelingen, wenn sie über die »21st Century Skills« verfügt, die Trilling und Fadel (2012) in ihrer wegweisenden Studie als »Learning for life in our times« beschreiben. Das Lernen für ein Überleben im 21. Jahrhundert basiert demnach auf der Befähigung zu kritischem Denken und Problemlösen, zu Kommunikation und Kollaboration sowie zu Kreativität und Innovation. Hier stellen sich zwei Fragen: Wie werden Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen diesem umfassenden Anspruch gerecht? Und was können wir tun, damit – wie ich es in Positive Pädagogik (Burow 2011) beschrieben habe – Lernfreude mit Wohlbefinden und Spitzenleistungen verbunden wird?
Was die erste Frage betrifft, kommen wir zu einer desillusionierenden Erkenntnis bezüglich der Zukunftsfähigkeit von Bildungseinrichtungen. Zu viele sind traditionellen Belehrungsformaten verhaftet, setzen nach wie vor auf frontale Vermittlung von Wissen, das nach Fachgebieten aufgeteilt ist und zudem häufig in unpersönlichen Multiple-Choice-Klausuren abgefragt wird. Zeitgemäße, persönlichkeitsbildende, Kreativität und Engagement fördernde Lehre sieht anders aus. Durch die einseitige Fixierung auf unpersönliche, überwiegend kognitive Wissensvermittlung werden Lehrende wie Lernende gleichermaßen überfordert: Während Erstere häufig Schwierigkeiten haben, ihre Adressaten zu erreichen, sehen sich Letztere zu selten in ihren Talenten erkannt, weswegen eine beträchtliche Anzahl Motivations- und Überforderungsprobleme entwickelt. Diese Diagnose gilt gleichermaßen für zu viele Unterrichtsangebote von Schulen wie auch zu viele Studiengänge der Universitäten im normierten Bachelor-Master-Format. Schulen, aber auch Hochschulen folgen – wie es der Theaterpädagoge Ken Robinson in seinem TED-Talk »Changing education paradigms« eindrücklich darstellt hat – nach wie vor Vermittlungsmustern, die sich am Industriezeitalter und an der Massenproduktion orientieren. Personenzentrierte, auf individuelle Neigungen und Talente zugeschnittene Angebote, wie sie die Humanistische Psychologie und die Positive Pädagogik entwickelt haben, bleiben die seltene Ausnahme.
Hinsichtlich der zweiten Frage hat der Chefarzt Michael Schulte-Markwort der kinderpsychiatrischen Universitätsklinik Hamburg unter dem erschütternden Titel Burnout Kids (2016) gezeigt, wie »das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert«. Dort beschreibt er, dass ca. 20 % der Grundschüler psychosomatische Symptome der Überforderung zeigen, die bisweilen bis zur »Erschöpfungsdepression« reichen. Ähnliche Erkenntnisse gibt es im Hochschulbereich, und die Tatsache, dass ca. 1/3 der Studierenden ihr Studium vorzeitig abbrechen, macht deutlich, dass wir zeitgemäße Lehr- und Lernformate, aber auch unterstützende Beratungsangebote benötigen. Die Schulen und Hochschulen tragen einerseits zu dem Leistungsdruck bei, andererseits zeigen sie keine Wege auf, wie die Lernenden damit umgehen können.
Hier setzt Timo Nolle mit seinem wegweisenden Konzept des Prüfungs- und Auftrittscoachings an, mit dem er die Lücke zwischen Nachhilfe und Psychotherapie zu schließen beabsichtigt. Wissenschaftlich fundiert seziert er die komplexen Zusammenhänge zwischen Lehr- und Lernkonzepten, Lern- und Arbeitstechniken, Prüfungsängsten sowie Blockaden und Motivation und bietet ein integratives Arbeitsmodell an, das nicht nur Therapeuten und Therapeutinnen, sondern auch Lehrer und Lehrerinnen hilfreich sein wird. Seine theoretischen Ausführungen münden in einen praxisnahen und vielfältigen Katalog von Methoden und Übungen zur Problembewältigung. Mit der Integration von körperbasierten Elementen in seine Lernmethoden setzt Timo Nolle um, was die Neurowissenschaft schon lange belegt hat – nämlich, dass rationales Denken und intuitive, emotionale und körperliche Prozesse eine Einheit bilden. Die leserfreundlich geschriebene, verständliche und umfassende Darstellung profitiert auch von den Erfahrungen Nolles, die er bei der Konzipierung und Begleitung eines Trainingsprogramms erworben hat, das der Förderung der psychosozialen Basiskompetenzen von Lehramtsstudierenden an der Universität Kassel sowie dem Coaching von Studierenden dient. Wissenschaftliche Hintergründe, Fallbeispiele und praktische Übungen ergeben so eine Mischung, die Therapeuten, Lehrenden und Lernenden gleichermaßen wirksame Hilfe und Anregungen gibt. Die Leser und Leserinnen erfahren, wie sich das Lehren passgenauer und das Lernen effektiver gestalten lässt. Außerdem erhalten sie Einblicke, wie Prüfungs- und Auftrittsängste bewältigt werden können und welche biografischen Hintergründe bei Lern- und Motivationsblockaden wichtig sein können.
Damit ist Timo Nolle zu einem Thema, mit dem vermutlich jeder Mensch im Verlauf seines Lebens zu tun hat, ein wegweisendes Standardwerk gelungen, dem eine weite Verbreitung bei Therapeuten, Lehrenden und Lernenden zu wünschen ist.
Kassel, im Januar 2021
Prof. Dr. Olaf-Axel Burow
Vorwort
Die Lücke zwischen Nachhilfe und Psychotherapie
Ein Schüler sitzt im Klassenraum auf seinem Stuhl. Vor ihm die Klassenarbeit, die maßgeblich über die Einteilung in die Leistungskurse entscheiden wird. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals. Er schwitzt. Das Lesen der Aufgabenstellung wird immer wieder unterbrochen von Fantasien des Scheiterns und Versagens. Hilflosigkeit und Verzweiflung breiten sich in ihm aus.
Eine junge Frau sitzt nachts um 4:30 Uhr vor ihrem Computer. Vier Stunden später soll sie ihre Projektidee vor den Kollegen und Vorgesetzten ihres Unternehmens präsentieren. Sie wünscht sich, dass alle Anwesenden begeistert sein werden, und weiß zugleich, dass dies nicht möglich ist – zu unterschiedlich sind die Vorstellungen von guten Projekten. Sie zweifelt selbst zunehmend an ihrer Projektidee und beschließt, sich für den nächsten Tag krankzumelden.
Eine Studentin lernt für eine Prüfung. Sie wiederholt die Inhalte aus den Lehrveranstaltungen, bis sie diese auswendig wiedergeben kann – genau so, wie sie sich auch in der Schule auf Klausuren vorbereitet hat. Damals war sie mit ihrem Vorgehen sehr erfolgreich, doch im Studium gelingt es ihr meist nur knapp zu bestehen. Sie schlussfolgert, dass sie noch mehr Zeit investieren muss.
Ein Student im 18. Semester verschiebt seit Jahren Prüfungen und Hausarbeiten. Das Studium ist für ihn längst zur Nebensache in seinem Leben geworden. Eine Hauptsache gibt es für ihn allerdings auch nicht, sodass er das Gefühl hat, jemand hätte in seinem Leben die Pausetaste gedrückt.
Prüfungen und Auftrittssituationen gibt es überall: in der Schule, in der Ausbildung, im Studium, in Unternehmen oder in Fort- und Weiterbildungen, im öffentlichen, privaten und institutionellen Raum, in der Fahrschule wie im Sportverein. Es gibt schriftliche Klausuren, Vorträge und Referate, mündliche Prüfungen, Assessments, Leistungstests, Probespiel in der Musik, Reden auf Geburtstagsfeiern, Produktpräsentationen in Unternehmen, Abschlussarbeiten im Studium und Handwerk.
Neben expliziten gibt es auch implizite Prüfungen und Auftrittssituationen. Sie fühlen sich nur für die Person selbst wie eine Prüfung oder ein Auftritt an: das erste Mal alleine Zug fahren, Gedichte vortragen unter dem Weihnachtsbaum, den Computer konfigurieren, die Steuererklärung, sich auf einer Party vorstellen, in der Öffentlichkeit seine Meinung sagen oder in einer Fremdsprache einkaufen. Im Verlauf der Schulzeit schreiben Schüler hunderte Prüfungen und halten Referate. Im Studium oder in der Ausbildung kommen weitere hinzu, die