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Völkerrecht - Bernhard  Kempen


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für sämtliche Eigentumsentziehungen. Je nach Abkommen wurden so zwischen 20% und 80% der jeweils geltend gemachten Gesamtsumme gezahlt. Mit diesem Kompromiss erkannte der enteignende Staat nicht die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung für eine konkrete Enteignung an; aber auch der Heimatstaat des Enteigneten gab nicht sein Recht auf Entschädigung auf. Die Verteilung der pauschal gezahlten Summe auf die einzelnen betroffenen Eigentümer und damit die Bestätigung des Vorliegens einer Enteignung, oblag dann der internen Verteilung durch den Heimatstaat. Beide Seiten konnten somit ihre jeweilige Rechtsansicht weiter vertreten, ohne sich vollständig durchgesetzt zu haben.

      Zweitens wurde der Konflikt auf politischer Ebene im Wesentlichen in der → Generalversammlung der → Vereinten Nationen ausgetragen. Ein letzter Kompromiss wurde 1962 in der UN-Resolution 1803 erzielt, die die permanente Souveränität über Bodenschätze zum Gegenstand hatte. Nach dieser Resolution war im Fall einer Enteignung bzw. Nationalisierung eine „appropriate compensation […] in accordance with international law“ zu zahlen. Den Höhepunkt des Konfliktes stellte die 1974 verabschiedete Resolution 3281 dar, die eine Charter of Economic Rights and Duties of States enthielt. In dieser Resolution setzte sich die aus sozialistischen Staaten und Ländern der Dritten Welt bestehende Mehrheit gegen die Stimmen der Industrienationen durch. Nach der verabschiedeten Formulierung sollte im Falle einer Enteignung zwar eine unter Berücksichtigung aller Umstände angemessene Entschädigung gezahlt werden. Ein Streit hierüber sollte aber ausschließlich aufgrund des nationalen Rechts und vor den Gerichten des enteignenden Staates zu klären sein, solange die Staaten sich nicht auf eine andere Form der Streitbeilegung einigen würden. Das Bestehen einer völkerrechtlichen Entschädigungspflicht und die Hull-Formel als Grundlage für deren Berechnung wurden damit faktisch negiert.

      Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftssysteme und der damit verbundenen Hinwendung zu einer weltweiten Liberalisierung, einschließlich der damit verbundenen Anerkennung der Bedeutung von privaten Eigentumsrechten, entspannte sich der Konflikt innerhalb der → Staatengemeinschaft jedoch deutlich. Gegenwärtig dürfte dementsprechend davon auszugehen sein, dass eine Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung im Falle einer Enteignung weitgehend anerkannt ist. Der Streit um die Höhe der nach dem Gewohnheitsrecht zu zahlenden Entschädigung hat seine praktische Bedeutung verloren, da diese Frage in den mehr als 2.500 bis heute abgeschlossenen Investitionsförderungsverträgen geregelt ist (→ Investitionsrecht, internationales). Die Rechtsfolge einer rechtswidrigen Enteignung hat der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) im Jahr 1928 im Chorzow-Urteil definiert. Sie wurde zudem im Jahr 2001 von der International Law Commission in den Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts bestätigt (→ Verantwortlichkeit, völkerrechtliche). Demnach muss ein Staat in erster Linie den Zustand wiederherstellen, der vor der Eigentumsentziehung bestand (restitutio in integrum). Ist dies nicht möglich, dann muss der zu leistende Schadensersatz alle mit der illegalen Handlung verbundenen Nachteile kompensieren. Es ist umstritten, ob sich die nach der Hull-Formel für eine rechtmäßige Enteignung zu zahlende Entschädigung und der für eine rechtswidrige Enteignung zu zahlende Schadensersatz wesentlich voneinander unterscheiden.

      Die Behandlung von Enteignungen ist einer der zentralen Punkte in Investitionsförderungsverträgen. Die diesbezüglich in den Verträgen enthaltenen Bestimmungen entsprechen im Wesentlichen den Regeln im Völkergewohnheitsrecht.

      Exemplarisch hierfür ist Art. 4 Abs. 2 des Deutschen Mustervertrages, der bereits seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der von Deutschland abgeschlossenen Investitionsförderungsverträge ist (abgedruckt in: AVR 45 [2007], 276 ff.). Diese Bestimmung erfasst Enteignungen, Nationalisierungen und andere Maßnahmen, die in ihrer Auswirkung einer Enteignung oder Nationalisierung gleichkommen. Unbestimmt bleibt dabei insbesondere, wie die mit der dritten Alternative erfasste indirekte Enteignung inhaltlich zu definieren ist. Das Schiedsgericht in Metalclad v. Mexico charakterisierte den Tatbestand der indirekten Enteignung, auf der Basis von Art. 1110 NAFTA, wie folgt:

       „[E]xpropriation […] includes not only open, deliberate and acknowledged takings of property, such as outright seizure or formal or obligatory transfer of title in favour of the host State, but also covert or incidental interference with the use of property which has the effect of depriving the owner, in whole or in significant part, of the use or reasonably–to–be–expected economic benefit of property even if not necessarily to the obvious benefit of the host State.“

      Dementsprechend sind die Schwere des Eingriffs, seine Dauer und die Beeinträchtigung schützenswerten Vertrauens für die Bewertung einer Maßnahme als indirekte Enteignung entscheidend.

      Ungeachtet dieses Versuchs, dem Enteignungstatbestand Konturen zu geben, ist sein genauer Anwendungsbereich in Wissenschaft und Praxis umstritten. Im Mittelpunkt steht hier insbesondere die Frage, ob allgemein anwendbare, zur Förderung öffentlicher Interessen erlassene Regulierungen (z. B. Verweigerung einer Genehmigung zum Betrieb einer Mülldeponie aus Gründen des Naturschutzes) unter den Enteignungsbegriff fallen können oder nicht. Die Praxis der Schiedsgerichte ist hier nicht einheitlich. Während einige Schiedsgerichte, wie der zitierte Schiedsspruch in Metalclad, von einem uneingeschränkten Anwendungsbereich ausgehen, haben z. B. die Schiedsgerichte in Methanex v. USA (§ 7 – Part IV Chapter D – Page 4) und Saluka v. Czech Rebublic (§ 254) die Ansicht vertreten, dass Regulierungen jedenfalls dann keine Enteignungen darstellen, solange dem Investor bei der Vornahme der Investition nicht spezifische Zusagen gemacht wurden. Neuere Verträge, insbesondere der USA, versuchen diese Problematik durch eine ausführlichere Definition zu klären (vgl. z. B. Annex 10.B zu Art. 10.7 des Freihandelsabkommens USA – Peru). Die dort aufgestellten Kriterien sind der Rechtsprechung des US-Supreme Court entnommen und stellen auf den Charakter der Maßnahme, die Schwere des Eingriffs und die berechtigten Erwartungen des Investors ab. Aus der Abstraktheit dieser Kriterien wird deutlich, dass letztendlich den Umständen des Einzelfalls entscheidende Bedeutung zukommt.

      Wie im Gewohnheitsrecht sind Enteignungen nur zulässig, wenn sie bestimmte Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen erfüllen. Art. 4 Abs. 2 des Deutschen Mustervertrages bestimmt, dass Enteignungen nur zulässig sind, wenn sie dem allgemeinen Wohl dienen, nicht diskriminierend sind und eine Entschädigung entsprechend der Hull-Formel bezahlt wird. Art. 4 Abs. 3 regelt die Einzelheiten der Entschädigung und bestimmt insbesondere, dass diese dem Wert der Kapitalanlage vor dem Bekanntwerden der Enteignung entsprechen muss. Zudem muss die Höhe der Entschädigung in einem Verfahren vor den nationalen Gerichten überprüfbar sein.

      Damit entsprechen die Regeln in Investitionsförderungsverträgen weitgehend den Bestimmungen des fremdenrechtlichen Gewohnheitsrechts (s. oben, I.). Der wichtigste Unterschied besteht in der detaillierteren Regelung der Berechnung der Entschädigung, die den Streit um die Weitergeltung der Hull-Formel obsolet macht.

      Enteignungsregelungen, die an ein Menschenrecht am Eigentum anknüpfen, finden sich in den regionalen Menschenrechtskonventionen (→ Eigentumsschutz, völkerrechtlicher), nämlich in Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur → EMRK, Art. 21 der → AMRK und Art. 14 der → Afrikanische


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