Europarecht. Bernhard KempenЧитать онлайн книгу.
ist, nämlich der EU). Aufgabe der EAG ist es ausweislich von Art. 1 EAGV, „durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen“.
1. Grundprobleme der Nutzung der Kernenergie in Europa
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Der EAG-Vertrag schreibt den Mitgliedstaaten nicht eine bestimmte Kernenergiepolitik vor, insbesondere nicht, Kernkraftwerke zu betreiben oder zu fördern, sondern regelt die Bedingungen der Kernenergienutzung, wo sie politisch gewünscht wird. Daher können auch Staaten Mitglied sein, in denen die Nutzung der Kernenergie innerstaatlich verboten ist, wie herkömmlich etwa Österreich oder perspektivisch wohl auch Deutschland. Wegen der unterschiedlichen politischen Haltung der Mitgliedstaaten kommt es allerdings immer wieder zu Streitigkeiten über die Sicherheit grenznah betriebener Atomkraftwerke, so v.a. zwischen Österreich und seinen Nachbarländern Tschechien, der Slowakei und Slowenien, aber auch zwischen Deutschland und Belgien um das umstrittene Kernkraftwerk Tihange (bei Aachen). Dass zahlreiche französische Kernkraftwerke auffällig grenznah und v.a. im „Westwindgürtel“ positioniert sind, wodurch bei einem Störfall nuklearer Fallout einigermaßen vorhersehbar nach Deutschland verweht würde, war hingegen, soweit erkennbar, nie Gegenstand regierungsamtlicher Vorhaltungen von deutscher Seite.
2. Regelungsgegenstände des EAG-Vertrags
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Der EAG-Vertrag regelt die Förderung und Koordination der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiet der Kerntechnik, die Verbreitung und Mitteilung nukleartechnischer Kenntnisse, den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, die Koordination von Investitionen auf dem Gebiet der Nuklearforschung, deren „abgestimmte Entwicklung“ erleichtert werden soll, die Errichtung gemeinsamer Unternehmen, die für die Entwicklung der Kernindustrie in der Gemeinschaft von ausschlaggebender Bedeutung sind, die Versorgung mit kerntechnischen Grundstoffen („Erzen, Ausgangsstoffen und besonderen spaltbaren Stoffen“), wofür die gemeinsame, unter Aufsicht der Kommission stehende Euratom-Versorgungsagentur (l’Agence d’approvisionnement d’Euratom; Euratom Supply Agency, ESA [nicht zu verwechseln mit der weitaus bekannteren European Space Agency, ebenfalls ESA]) mit Sitz in Luxemburg gegründet wird. Weiterhin geregelt sind die Überwachung der Sicherheit, das Eigentum an Kernbrennstoffen (s.u. Rn. 830), der Gemeinsame Markt auf dem Gebiet der Nukleartechnik und die Außenbeziehungen der EAG einschließlich der Genehmigungsbedürftigkeit kerntechnischer Verträge der Mitgliedstaaten mit einem dritten Staat, einer Internationalen Organisation oder einem Angehörigen eines dritten Staates durch die Kommission.
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Speziell die Kompetenz der EAG zum Erlass von sog. Grundnormen zum Gesundheitsschutz (s. o. Rn. 824) auch im Verordnungswege wurde ursprünglich seitens des → Europäischen Parlaments (mit Verweis auf den Wortlaut des Art. 33 EAGV) in Abrede gestellt, wird aber mittlerweile schon aus pragmatischen Gründen (Notwendigkeit des unverzüglichen und unmittelbaren Einschreitens gegen neu erkannte Gefahren im Strahlenschutz) allseits akzeptiert. Die Mitgliedstaaten sind ihrerseits berechtigt, den Strahlenschutz jeweils noch zu erhöhen.
3. Besonderheiten des Kernenergierechts nach dem EAG-Vertrag
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Der EAG-Vertrag sieht im Vergleich zum EU-Vertrag oder auch AEU-Vertrag eine viel geringere Bedeutung des Europäischen Parlaments bei der Normsetzung vor. Ein echtes Mitentscheidungsverfahren gibt es hier nicht, sondern nur eine Anhörung des Europäischen Parlaments (Art. 31 EAGV). Dies wird teils kritisiert, teils aber auch damit begründet, dass der Bereich der Kerntechnik aufgrund seiner hohen sicherheitspolitischen wie militärischen Bedeutung ein besonderes Maß an Vertraulichkeit erfordert, was einer ständigen parlamentarischen Behandlung kerntechnischer Einzelfragen entgegenstehe.
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Nach Art. 86 EAGV (der insofern dem Vorbild einer älteren, in den USA bestehenden Regelung folgt) stehen alle „besonderen spaltbaren Stoffe“ i. S. v. Art. 197 Nr. 1 EAGV, d.h. Plutonium 239, Uran 233 oder sonstige mit Uran 233 oder 235 angereicherte Uranisotope, im Eigentum der EAG; dies bedeutet in praktischer Hinsicht, dass diese Stoffe ohne Zustimmung der EAG nicht privatisierungsfähig, nicht pfändbar (str.) und nicht vollstreckungsfähig sein sollen. Dabei ist freilich im Auge zu behalten, dass dieses „Eigentum“ als ein „im Gemeinschaftsrecht einmaliger Typus des öffentlichen Sachenrechts“ (Jürgen Grunwald) quasi als ein „lediglich rechtliches Eigentum“ (Wolf-Georg Schärf) zur Erleichterung der allgemeinen und umfassenden Atomaufsicht zu denken ist, wohingegen das wirtschaftliche Eigentum sehr wohl bei den Verwendern und Betreibern der kerntechnischen Anlagen verbleibt (sog. Bucheigentum). Ansonsten bleibt die Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten unberührt (Art. 91 EAGV).
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Da der EAG-Vertrag jedoch nur die friedliche Nutzung der Atomenergie zum Gegenstand hat (früher teils bestr.), erstreckt sich diese Regelung nicht auf die durch das Vereinigte Königreich wie auch Frankreich militärisch genutzten spaltbaren Stoffe, sei es als spaltbares Material in atomaren Gefechtsköpfen wie auch als Kernbrennstoff für Kriegsschiffe, d.h. vor allem U-Boote. Kernbrennstoffe werden derzeit, soweit bekannt, nur von drei Wirtschaftsunternehmen geliefert, nämlich Areva (Frankreich), TVEL (Russland) und Westinghouse (USA, von Toshiba/Japan übernommen). Innerhalb der EAG wird der Handel mit Kernbrennstoffen gem. Art. 65 Abs. 1, Art. 60 EAGV über die Euratom-Versorgungsagentur (s. o. Rn. 827) abgewickelt. Diese Abwicklung ist jedoch formalrechtlicher Natur und dient Kontrollzwecken; in der Sache beschaffen sich die Kernenergiebetreiber die Kernbrennstoffe selbst bei ihren Anbietern, d.h. die Versorgungsagentur übt ihr (Allein-)Bezugsrecht (das immer schon Ausnahmen kannte) nicht mehr aus. Hintergrund dessen ist letztlich, dass entgegen den Erwartungen bei Schaffung der EAG heute kein Mangel oder Unterangebot an Kernbrennstoffen besteht.
E › Europäische Atomgemeinschaft (EAG) (Ulrich Vosgerau) › IV. Ausblick
IV. Ausblick
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In der EU gab es 2016 insgesamt 131 Kernkraftwerke in 14 Mitgliedstaaten. Mittlerweile stehen v.a. Deutschland, aber auch Österreich, Italien, Irland und Luxemburg der Atomkraft grundsätzlich ablehnend gegenüber. Diese Haltung ist aber jedenfalls im Weltmaßstab eher untypisch. So sollen nach Angaben der World Nuclear Association (die die Interessen der Kernkraftbetreiber vertritt) derzeit 58 Reaktoren im Bau sein, davon allein 22 in China, sieben in Russland, fünf in Indien, vier in den USA wie auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten (von Südkorea gebaut) sowie drei in Südkorea selbst sowie zwei in Japan (wo sie möglicherweise durch die Klagen lokaler Bürgerinitiativen noch gestoppt werden). In der EU bauen derzeit Finnland und Frankreich jeweils ein Atomkraftwerk, die Slowakei zwei; Spanien strebt Laufzeitverlängerungen für bestehende Atomkraftwerke an, in Schweden sollen die dort in Betrieb befindlichen, meist schon älteren neun Reaktoren nunmehr nach und nach durch bis zu zehn neue ersetzt werden (der dort geraume Zeit geplante Ausstieg aus der Kernenergie wurde jedenfalls vorerst wieder aufgegeben). Konkret geplant werden nach derzeitigem Stand sechs neue Kernkraftwerke in Polen, jeweils zwei in Tschechien, Ungarn und Rumänien, jeweils eins in Finnland und Bulgarien und vier in Großbritannien.
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Die bisherige Abhängigkeit vieler EU-Mitgliedstaaten