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Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman. Ehrhard BahrЧитать онлайн книгу.

Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman - Ehrhard Bahr


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teil an deinem vergangenen Leben nehmen! Erzähle mir alles, ich will dir alles erzählen. Wir wollen uns wo möglich täuschen und jene für die Liebe verlornen Zeiten wiederzugewinnen suchen.«

      »Wenn Sie so eifrig darauf bestehen, können wir Sie wohl befriedigen«, sagte die Alte. »Erzählen Sie uns nur erst, wie Ihre Liebhaberei zum Schauspiele nach und nach gewachsen sei, wie Sie sich geübt, wie Sie so glücklich zugenommen haben, dass Sie nunmehr für einen guten Schauspieler gelten können? Es hat Ihnen dabei gewiss nicht an lustigen Begebenheiten gemangelt. Es ist nicht der Mühe wert, dass wir uns zur Ruhe legen, ich habe noch eine Flasche in Reserve; und wer weiß, ob wir bald wieder so ruhig und zufrieden zusammensitzen?«

      Mariane schaute mit einem traurigen Blick nach ihr auf, den Wilhelm nicht bemerkte und in seiner Erzählung fortfuhr.

      [29]Siebentes Kapitel

      »Die Zerstreuungen der Jugend, da meine Gespannschaft sich zu vermehren anfing, taten dem einsamen, stillen Vergnügen Eintrag. Ich war wechselsweise bald Jäger, bald Soldat, bald Reiter, wie es unsre Spiele mit sich brachten; doch hatte ich immer darin einen kleinen Vorzug vor den andern, dass ich imstande war, ihnen die nötigen Gerätschaften schicklich auszubilden. So waren die Schwerter meistens aus meiner Fabrik; ich verzierte und vergoldete die Schlitten, und ein geheimer Instinkt ließ mich nicht ruhen, bis ich unsre Miliz ins Antike umgeschaffen hatte. Helme wurden verfertiget, mit papiernen Büschen geschmückt, Schilde, sogar Harnische wurden gemacht, Arbeiten, bei denen die Bedienten im Hause, die etwa Schneider waren, und die Nähterinnen manche Nadel zerbrachen.

      Einen Teil meiner jungen Gesellen sah ich nun wohlgerüstet; die übrigen wurden auch nach und nach, doch geringer, ausstaffiert, und es kam ein stattliches Korps zusammen. Wir marschierten in Höfen und Gärten, schlugen uns brav auf die Schilde und auf die Köpfe; es gab manche Misshelligkeit, die aber bald beigelegt war.

      Dieses Spiel, das die andern sehr unterhielt, war kaum etliche Mal getrieben worden, als es mich schon nicht mehr befriedigte. Der Anblick so vieler gerüsteten Gestalten musste in mir notwendig die Ritterideen aufreizen, die seit einiger Zeit, da ich in das Lesen alter Romane gefallen war, meinen Kopf anfüllten.

      ›Das befreite Jerusalem‹, davon mir Koppens Übersetzung in die Hände fiel, gab meinen herumschweifenden Gedanken endlich eine bestimmte Richtung. Ganz konnte [30]ich zwar das Gedicht nicht lesen; es waren aber Stellen, die ich auswendig wusste, deren Bilder mich umschwebten. Besonders fesselte mich Chlorinde mit ihrem ganzen Tun und Lassen. Die Mannweiblichkeit, die ruhige Fülle ihres Daseins taten mehr Wirkung auf den Geist, der sich zu entwickeln anfing, als die gemachten Reize Armidens, ob ich gleich ihren Garten nicht verachtete.

      Aber hundert- und hundertmal, wenn ich abends auf dem Altan, der zwischen den Giebeln des Hauses angebracht ist, spazierte, über die Gegend hinsah und von der hinabgewichenen Sonne ein zitternder Schein am Horizont heraufdämmerte, die Sterne hervortraten, aus allen Winkeln und Tiefen die Nacht hervordrang und der klingende Ton der Grillen durch die feierliche Stille schrillte, sagte ich mir die Geschichte des traurigen Zweikampfs zwischen Tankred und Chlorinden vor.

      Sosehr ich, wie billig, von der Partei der Christen war, stand ich doch der heidnischen Heldin mit ganzem Herzen bei, als sie unternahm, den großen Turm der Belagerer anzuzünden. Und wie nun Tankred dem vermeinten Krieger in der Nacht begegnet, unter der düstern Hülle der Streit beginnt und sie gewaltig kämpfen! – Ich konnte nie die Worte aussprechen:

      Allein das Lebensmaß Chlorindens ist nun voll,

      Und ihre Stunde kommt, in der sie sterben soll!

      dass mir nicht die Tränen in die Augen kamen, die reichlich flossen, wie der unglückliche Liebhaber ihr das Schwert in die Brust stößt, der Sinkenden den Helm löst, sie erkennt und zur Taufe bebend das Wasser holt.

      [31]Aber wie ging mir das Herz über, wenn in dem bezauberten Walde Tankredens Schwert den Baum trifft, Blut nach dem Hiebe fließt und eine Stimme ihm in die Ohren tönt, dass er auch hier Chlorinden verwunde, dass er vom Schicksal bestimmt sei, das, was er liebt, überall unwissend zu verletzen!

      Es bemächtigte sich die Geschichte meiner Einbildungskraft so, dass sich mir, was ich von dem Gedichte gelesen hatte, dunkel zu einem Ganzen in der Seele bildete, von dem ich dergestalt eingenommen war, dass ich es auf irgendeine Weise vorzustellen gedachte. Ich wollte Tankreden und Reinalden spielen und fand dazu zwei Rüstungen ganz bereit, die ich schon gefertiget hatte. Die eine von dunkelgrauem Papier mit Schuppen sollte den ernsten Tankred, die andere von Silber- und Goldpapier den glänzenden Reinald zieren. In der Lebhaftigkeit meiner Vorstellung erzählte ich alles meinen Gespannen, die davon ganz entzückt wurden und nur nicht wohl begreifen konnten, dass das alles aufgeführt, und zwar von ihnen aufgeführt werden sollte.

      Diesen Zweifeln half ich mit vieler Leichtigkeit ab. Ich disponierte gleich über ein paar Zimmer in eines benachbarten Gespielen Haus, ohne zu berechnen, dass die alte Tante sie nimmermehr hergeben würde; ebenso war es mit dem Theater, wovon ich auch keine bestimmte Idee hatte, außer dass man es auf Balken setzen, die Kulissen von geteilten spanischen Wänden hinstellen und zum Grund ein großes Tuch nehmen müsse. Woher aber die Materialien und Gerätschaften kommen sollten, hatte ich nicht bedacht.

      Für den Wald fanden wir eine gute Auskunft: wir gaben einem alten Bedienten aus einem der Häuser, der nun [32]Förster geworden war, gute Worte, dass er uns junge Birken und Fichten schaffen möchte, die auch wirklich geschwinder, als wir hoffen konnten, herbeigebracht wurden. Nun aber fand man sich in großer Verlegenheit, wie man das Stück, eh die Bäume verdorrten, zustande bringen könne. Da war guter Rat teuer! Es fehlte an Platz, am Theater, an Vorhängen. Die spanischen Wände waren das Einzige, was wir hatten.

      In dieser Verlegenheit gingen wir wieder den Lieutenant an, dem wir eine weitläufige Beschreibung von der Herrlichkeit machten, die es geben sollte. Sowenig er uns begriff, so behülflich war er, schob in eine kleine Stube, was sich von Tischen im Hause und der Nachbarschaft nur finden wollte, aneinander, stellte die Wände darauf, machte eine hintere Aussicht von grünen Vorhängen, die Bäume wurden auch gleich mit in die Reihe gestellt.

      Indessen war es Abend geworden, man hatte die Lichter angezündet, die Mägde und Kinder saßen auf ihren Plätzen, das Stück sollte angehn, die ganze Heldenschar war angezogen; nun spürte aber jeder zum ersten Mal, dass er nicht wisse, was er zu sagen habe. In der Hitze der Erfindung, da ich ganz von meinem Gegenstande durchdrungen war, hatte ich vergessen, dass doch jeder wissen müsse, was und wo er es zu sagen habe; und in der Lebhaftigkeit der Ausführung war es den Übrigen auch nicht beigefallen: sie glaubten, sie würden sich leicht als Helden darstellen, leicht so handeln und reden können wie die Personen, in deren Welt ich sie versetzt hatte. Sie standen alle erstaunt, fragten sich einander, was zuerst kommen sollte? und ich, der ich mich als Tankred vornean gedacht hatte, fing, allein auftretend, einige Verse aus dem Heldengedichte herzusagen an. Weil [33]aber die Stelle gar zu bald ins Erzählende überging und ich in meiner eignen Rede endlich als dritte Person vorkam, auch der Gottfried, von dem die Sprache war, nicht herauskommen wollte, so musste ich unter großem Gelächter meiner Zuschauer eben wieder abziehen; ein Unfall, der mich tief in der Seele kränkte. Verunglückt war die Expedition; die Zuschauer saßen da und wollten etwas sehen. Gekleidet waren wir; ich raffte mich zusammen und entschloss mich kurz und gut, David und Goliath zu spielen. Einige der Gesellschaft hatten ehemals das Puppenspiel mit mir aufgeführt, alle hatten es oft gesehn; man teilte die Rollen aus, es versprach jeder, sein Bestes zu tun, und ein kleiner, drolliger Junge malte sich einen schwarzen Bart, um, wenn ja eine Lücke einfallen sollte, sie als Hanswurst mit einer Posse auszufüllen, eine Anstalt, die ich, als dem Ernste des Stückes zuwider, sehr ungern geschehen ließ. Doch schwur ich mir, wenn ich nur einmal aus dieser Verlegenheit gerettet wäre, mich nie, als mit der größten Überlegung, an die Vorstellung eines Stücks zu wagen.«

      Achtes Kapitel

      Mariane, vom Schlaf überwältigt, lehnte sich an ihren Geliebten, der sie fest an sich drückte und in seiner Erzählung fortfuhr, indes die Alte den Überrest des Weins mit gutem Bedachte genoss.

      »Die Verlegenheit«, sagte er, »in der ich mich mit meinen Freunden


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