Zufrieden alt werden. Volker FintelmannЧитать онлайн книгу.
Beim 2. Mondknoten, um das 37. Lebensjahr herum, kann oder sollte das Rückschauen, das auch immer ein Bilanzieren enthält, stärker erlebt und vollzogen werden. Die eigene Seelenentwicklung geht auf ihr Ende zu und es steht der Lebensabschnitt an, den wir mit dem Ergreifen des Altruismus angesprochen haben.
•Wie weit bin ich mit der Entwicklung gekommen, mich als ein Selbst zu erleben? Als jemand, der aus eigener Urteilsfähigkeit sein Leben führt, der die eigene Entwicklung so weit gebracht hat, dass er seine Eigenverantwortlichkeit nun auf eine Verantwortung für andere, für anderes ausweiten kann?
•Stehe ich stark zu mir, im Sinne der Christusworte »Liebe deinen Nächsten so wie dich selbst«, habe ich also gelernt, mich ganz zu bejahen, dass ich dies auch jedem anderen Menschen gegenüber tun kann? Oder verweile ich im Egoismus, der nur sich selbst sieht und erlebt und die anderen nur insoweit wahrnimmt, wie sie dem eigenen Ego nützlich sind?
Dass das heute eine Komponente des sozialen Lebens darstellt, wird auch daran erlebbar, dass immer mehr Menschen ein sogenanntes Single-Dasein führen. Doch auch der Kapitalismus hat hier seine Wurzeln.
geistiges »Stirb und werde«
Beim 3. Mondknoten, der zeitlich um das 56. Lebensjahr liegt, erleben wir eine große Nähe zu dem später ausführlich dargestellten Beginn des 9. Jahrsiebts (siehe Seite 67 ff.). Hier wird uns ein geistiges »Stirb und werde« gespiegelt. Hier hat im Lebenslauf ein akuter Herzinfarkt sein Maximum, die größte Häufigkeit. Und auch dieses medizinisch definierte Geschehen meint genau dieses »Stirb und werde«.
Das bedeutet nicht, im leiblichen Sinne zu sterben, sondern alles Bisherige des Lebens so infrage zu stellen, dass daraus auch ein Schritt in etwas völlig Neues entstehen kann. Wieder ist es die radikale Bilanz des Lebens anhand der ehrlichen Rückschau, die jetzt ansteht und deren Ergebnis die weitere Lebenszukunft prägen wird. Die Intensität des Rückschauens steigert sich von Mal zu Mal, der erforderliche Mut, zu ihren Ergebnissen zu stehen und Konsequenzen zu ziehen, wird immer größer.
Freiheit und Dankbarkeit
Der 4. Mondknoten um das 75. Lebensjahr fällt bereits in den Lebensabschnitt, den ich zum Hohen Alter rechne, in welchem eine Zeit von immer größerer Freiheit angebrochen ist, wo der eigentliche Lebenslauf sich gerundet hat. Und doch kann auch hier wieder neu auf das Leben zurückgeschaut werden. Und uns begegnet eine Seelenkraft, die uns auch schon vorher zu eigen war, die nun aber mit voller Intensität hervorbrechen kann: die Dankbarkeit. Ähnlich wie für die Gnade gesagt, wird auch die Dankbarkeit in ihrer Besonderheit, ihrer seelischen Wurzel aufgesucht und beschrieben werden (siehe Seite 87 ff.). Sie ist ein Anteil der Seele und im ganzen Leben anwesend, doch ihre größte Intensität erleben wir im Alter.
Wissen um die Rhythmen
So können wir den ganzen Lebenslauf von Rhythmen durchzogen sehen, die ihn gestalten und deren Aufgabe wir kennen sollten, um ihnen Gestaltungsmöglichkeiten zu geben, die uns zugute kommen. Sie sind uns einverwoben, gestalten auch, ohne dass wir uns ihrer bewusst sind. Doch gehört es zum modernen Menschsein, mehr und mehr von ihnen zu wissen und sich aus Freiheit mit ihnen zu verbinden. Das gilt im Besonderen für alle Berufe, die sich der Hilfe für die Menschwerdung verpflichtet haben, ob Pädagogen, medizinische Berufe, Seelsorger oder auch Eltern, Großeltern und Paten. Denn in der Nichtachtung der Rhythmen oder ihrer Störung liegen viele Wurzeln für Erschwernisse oder Krisen des Lebenslaufs bis hin zu Krankheiten. Es wirken Kräfte mit, die uns bei der Entwicklung helfen wollen, doch auch solche, die sie behindern oder verfälschen wollen. Darauf sei im Folgenden kurz geschaut.
Hemmende Kräfte im Lebenslauf
Doppelgänger
Im Gegenüber zu der göttlichen Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist bildet der Mensch eine Dreiheit, die wiederum quasi eine Mitte darstellt, welche die Fähigkeit entwickeln sollte, ein Gleichgewicht der rechts und links, oben und unten oder vorne und hinten von ihm wirkenden kosmischen Kräfte in jedem Augenblick des Lebens neu herzustellen. Diese Kräfte leben von der Geburt bis zum Tod mit dem Menschen und bilden einen Teil von ihm, ohne den er nicht existieren könnte. Deshalb werden sie auch von alters her Doppelgänger genannt, denn sie sind durch uns Menschen spezialisiert worden, haben sich unserer Persönlichkeit angepasst, gehen in gewissem Maße unsere Individualisierung mit. Sie werden so ein ähnlich dem Engel uns begleitender Teil von uns. Es begleitet den Menschen also nicht nur sein Engel, sondern auch ein ahrimanischer und ein luziferischer Doppelgänger.
Ahriman und Luzifer
Ahriman und Luzifer sind geistesgeschichtlich alte Namen, die jeweils ein Weltenwesen unserer Schöpfung benennen, das in seiner Einheit vielfaches Wesen vereinigt, vergleichbar den göttlichen Hierarchien, die auch ein Teil der göttlichen Trinität oder auch Leib Gottes sind. Diese Vielheit der ahrimanischen und luziferischen Doppelgänger hat C.S. Lewis in seinem britisch-humorvollen und dennoch Realitäten schildernden Buch Dienstanweisung für einen Unterteufel köstlich zum Ausdruck gebracht.26 Das große imaginative Bild zeigt den Menschen zwischen Ahriman und Luzifer. Das haben Rudolf Steiner und die englische Bildhauerin Edith Maryon in einer großen Holzplastik zur äußeren Anschauung gebracht. Diese Plastik findet sich im Goetheanum in Dornach in der Schweiz nahe Basel. Goethe wiederum hat beide in Mephistopheles als Gestalt in eins gefasst. Er unterscheidet sie dann allerdings in zwei Charakterisierungen, die Mephistopheles von sich selber gibt: Er bezeichnet sich als Teil von einer Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, und er nennt sich zugleich einen Geist, der stets verneint (siehe Seite 17 f.).
kosmischer Verneiner Skepsis und Zweifel Verlangsamung der Entwicklung
Ahriman ist der große kosmische Verneiner. Er will nichts gelten lassen, was nicht von ihm stammt. Er wirkt in uns, wenn wir einem anderen Menschen, der uns etwas von sich erzählt, kaum richtig zuhören, weil sich in uns schon eine Gegenmeinung bildet und darauf drängt, »geäußert« zu werden. Und wenn der andere dann einen Augenblick schweigt, kommt unser »Ja, aber …« und eine Kette von Argumenten, warum es so nicht sei, letztlich, weil wir selber es nicht so sehen. Ahriman ist der Quell aller Skepsis und allen Zweifels, er hasst Fortschritt und liebt alles Berechenbare. Er spottet über unsere Vorstellung von Unsterblichkeit, fürchtet jedoch die Ungeborenheit, alles, was eben nicht berechenbar ist, was ein unberechenbares Potenzial hat. Er ist der Verlangsamer, will die Zeit zum Stillstand bringen. Die Zeiträuber in Michael Endes Roman Momo sind ahrimanische Wesen, »graue Männer«. Ahrimans Welt ist kalt, sein Intellekt überragend, sein Wille extrem stark, ja brutal. Doch hat er keinerlei Gemüt, das Wort Bedauern ist ihm fremd. Und doch verfügt er auch über Anteile, die das Menschsein fördern. Dazu gehören die Schwere und Dichte, die unser Leib braucht, um Festigkeit und auch Dauer in sich zu haben. Ohne Ahriman gäbe es nicht das Knochenskelett, wie es heute ist, von großartiger Bauweise und Statik. So kann nicht erstaunen, dass Künstler zu allen Zeiten ein Skelett darstellten, wenn sie den Tod verbildlichen wollten. Ahrimans Kräfte sind die Ursache aller Festigkeit der Gewebe, ins Pathologische gewendet der Sklerose, und der Tendenz zur Wiederholung immer des Gleichen, was auf der zellulären Ebene zur Geschwulstbildung führt. Seinem Wesen entströmt die Angst, aus der jedoch auch die Vorsicht entsteht. Er kann unsere Entwicklung, wie sie von der Schöpfung veranlagt ist, nicht gänzlich stoppen, doch kann er sie verlangsamen und so beeinflussen. Seine »Wohnung« im Menschen ist der Leib, und sein Bestreben ist es, uns Menschen auf den Leib zu reduzieren. Steiner nennt das leiblich determiniert, und ein Aspekt davon ist die Sucht bzw. alle Formen von Süchten.27
Luzifer als Versucher
Luzifer ist ihm in vielem polar, sie sind so gegensätzlich, dass sie sich ständig bekämpfen – und doch nicht voneinander lassen können. Luzifer ist im Bild der Schlange zuerst an den Menschen herangetreten,