Jenseits von Materie. Prof. Dr. Oliver LazarЧитать онлайн книгу.
Wer sich die Maischberger Diskussionsrunde angeschaut hat, wird feststellen, dass eine konstruktive und produktive Diskussion mit emotional aufgeladenen materialistischen Naturwissenschaftlern in der Regel leider nicht möglich ist. Der Fairness halber muss man aber ebenso konstatieren, dass es auch religiöse Fanatiker gibt, die den dogmatischen Wissenschaftlern in ihrer verschlossenen und rigorosen Art in nichts nachstehen. Das gegenseitige Zuhören und der Respekt sowie eine Offenheit für sachliche Argumente haben leider vielfach keine Chance.
Wie konnte es so weit kommen, dass die Spiritualität und die Wissenschaft getrennte Wege gingen und sich geradewegs zu Gegensätzen entwickelten? Den ersten Stein brachte wohl der englische Politiker und Rechtsanwalt Francis Bacon (1561–1626) ins Rollen. In weiser Voraussicht sah er in der technischen Beherrschung der Natur ein großes Entwicklungspotenzial für die Menschheit. Wer Wissen über die Natur besaß, konnte das Weltgeschehen beeinflussen. Bacon erhoffte sich eine Wissenschaftsförderung durch Regierungsmittel und Investorengelder. Sein Ansinnen, die Natur zu beherrschen, sah er auch durch die Bibel begründet. Er verwies auf Passagen in der Genesis, die seine Vision von einer allumfänglichen Naturwissenschaft als eine Rückbesinnung auf die ihm von Gott verliehene Macht rechtfertigte.5 Er prägte den auch heute noch gern zitierten Satz: »Wissen ist Macht.«6 Seit dem Beginn der mechanistischen Naturwissenschaft im 17. Jahrhundert wurden schließlich geistige Aspekte sukzessive immer mehr aus dem Verständnis des Lebens und der Welt verbannt. Wissenschaftler wie Johannes Kepler, Galileo Galilei und Isaac Newton legten den Grundstein für ein immer dominanter werdendes materialistisches Weltbild. Während sie selbst noch alle an einen kreativen intelligenten Gott als Urschöpfer ihrer entdeckten Phänomene glaubten, hielt der Kreationismus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einer zunehmend atheistischer werdenden, aufgeklärten Bevölkerung nicht mehr stand, und das in der Gesellschaft akzeptierte Glaubenssystem schlug mit der breiten Akzeptanz des Materialismus von einem Extrem ins andere. Nach Jahrhunderten der Inquisition, der Hexenverfolgung und der Ablassbriefe war es an der Zeit, die in ihrer Macht und Glaubhaftigkeit wankende Kirche in ihre Schranken zu weisen. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Geologie, Paläontologie, Biologie, Chemie und Physik sprachen eindeutig gegen eine 6000 Jahre alte, von Adam und Eva bewohnte Welt. Doch den meiner Ansicht nach größten Anteil zur Abkehr von einem spirituellen Weltbild hat wohl der britische Naturforscher Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie beigetragen. Auch heute wird seine mittlerweile weiterentwickelte Theorie zur Entstehung der Arten als Status quo an Schulen und Universitäten gelehrt. Ich halte genau diese Evolutionstheorie für einen zentralen Punkt bei der Diskussion von Wissenschaft gegen Spiritualität. Ich glaube sogar, die Evolutionstheorie ist der Hauptgrund für eine überwiegend säkulare Gesellschaft. Warum sollten Schüler und Studenten auch jemals einen Zweifel an den Lehrinhalten hegen, denn das Leben, seine Entstehung und Weiterentwicklung werden doch ganz natürlich in einer trügerischen Selbstverständlichkeit erklärt, sodass jeder glaubt, alle Fragen dazu seien beantwortet und alle Erkenntnisse seien bewiesen. Zweifel gibt es keine, und wer doch welche hat, muss zwangsläufig ein Spinner oder religiöser Fanatiker sein. Evolution wird als bewiesene Tatsache gelehrt und akzeptiert. Ich frage mich, wie unsere Kinder und Studenten wohl ihr Weltbild formen würden, wenn Darwins Evolutionstheorie nicht als absolute unanfechtbare Wahrheit, sondern mit allen Schwächen und Stärken, mit allen Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten für bestimmte Szenarien und mit Raum für sachliche argumentative Kritik gelehrt würde. Was wäre verwerflich daran, auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu lehren, die Darwins Theorie widersprechen? Welche Erkenntnisse das genau sind, werde ich in Kapitel 4.1.: Materialistische/naturalistische Entstehung (➛Seite 107) noch detailliert darlegen. Doch darf ich schon vorwegnehmen, dass man für die Evolutionstheorie am Ende wesentlich mehr Glauben aufwenden muss als für ihre Alternativen. Ich wünsche mir eine faire und ehrliche Darstellung von Erkenntnissen, doch es geht wieder einmal um die Verteidigung des materialistischen Weltbildes, was man den Menschen als sachliche und rationale Wissenschaft verkauft. Was selbst viele Wissenschaftler unserer Zeit nicht wissen oder bewusst verdrängen, ist, dass die materialistisch geprägte Wissenschaft wie jedes andere Weltbild auch nur auf Glauben, auf gewissen Glaubensgrundsätzen basiert, die nicht hinterfragt werden. So werden Objektivität, Kausalität (Ursache-Wirkungszusammenhänge), Zeit und Raum wie selbstverständlich vorausgesetzt. Die Quantenmechanik (Kapitel 6: Quantenmechanik und Spiritualität ➛Seite 290) hat sehr eindrucksvoll bewiesen, dass jede einzelne dieser genannten Annahmen infrage gestellt werden muss.7 Im Grunde genommen hat sich die klassische Wissenschaft durch die Erkenntnisse der Quantenmechanik ihrer eigenen Glaubensgrundsätze entledigt, doch die richtigen Konsequenzen daraus möchte anscheinend kaum jemand ziehen.
Wenn ich Menschen erlebe, die einen geliebten Angehörigen verloren haben, Eltern, die den Tod eines Kind hinnehmen mussten, dann bricht für diese Menschen eine Welt zusammen, und es macht zunächst überhaupt keinen Unterschied, ob diese Personen spirituell oder atheistisch sind. Sie alle durchleben dasselbe unvorstellbar große Leid. Doch sobald es um das Thema Trost und Heilung geht, ändert sich das. Der Materialist hat schon in der Schule gelernt, dass alles Leben das Resultat von rein chemischen, biologischen und physikalischen Prozessen ist und dass materialistische Abläufe und Gehirnaktivität unser Sein erklären. Für so jemanden bedeutet der Tod eines geliebten Menschen das Ende. Die Naturwissenschaft sagt ihm im Grunde: »So, das wars. Ende, aus, für immer und ewig! Tot ist tot. Du wirst deinen Angehörigen mit absoluter Sicherheit niemals wiedertreffen.« Was für eine furchtbare Vorstellung das ist, zumal so vieles dafürspricht, dass sie nicht stimmt. Wie traurig muss es für die Hinterbliebenen sein, wenn sie in dieses schwarze leere Nichts blicken. Angesichts der Tatsache, dass die Evolutionstheorie auf dermaßen wackeligen Beinen steht, finde ich es unverantwortlich, anstandslos und unehrlich, diese Theorie als bewiesene Tatsache zu verkaufen. Wir Menschen sind weitaus mehr als unser physischer Körper, und das ist in über 100 Jahren der Forschung auf diesem Gebiet schon vielfach in evidenzbasierten Studien belegt worden. Eines der Hauptziele dieses Buches ist es, die Wissenschaft und die Spiritualität in Einklang zu bringen, denn aus meiner Sicht sind sie keine sich ausschließenden Disziplinen, sondern gleichwertige und sich ergänzende Aspekte der Realität.
2.1 Wahrnehmung und Wirklichkeit
»Das Nicht-Wahrnehmen von etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz.«
Dalai Lama
Dieses Zitat seiner Heiligkeit, des 14. Dalai Lama, politisches und geistiges Oberhaupt der Tibeter, zeigt einfach formuliert und logisch nachvollziehbar, dass unsere Welt mehr zu bieten hat, als das, was wir wahrnehmen können. Das Wundervolle an diesem Satz ist, dass man ihn mit trivialen Beispielen aus unserem Alltag auf einfache Weise nachvollziehen und schließlich auf sogenannte übersinnliche Phänomene übertragen kann. Wenn ich meinen Studierenden im Rahmen ihres Informatikstudiums die ersten Schritte in der Programmierung beibringen möchte, zeige ich gern kleine Einstiegsprojekte für den Arduino-Microcontroller*. Im Folgenden möchte ich die Aussage des Dalai Lama mit einem praktischen Beispiel untermauern, bevor wir einen Blick auf den tieferen Sinn dahinter werfen: Angenommen ein Wissenschaftler konstruiert sich eine kleine Wetterstation mit einem solchen Microcontroller, einem Temperatursensor und einer digitalen Anzeige. Das System wird so zusammengesteckt und programmiert, dass die gemessene Spannung am Temperatursensor in die passende Temperatur umgerechnet und auf dem Display angezeigt wird. In der für dieses Szenario konstruierten Welt eines klassischen Naturwissenschaftlers wäre in diesem Experiment nur Platz für das, was man wiederholbar auch objektiv messen kann. Demnach wäre in der Realität dieses Wissenschaftlers mit der kleinen Wetterstation lediglich die Temperatur ein real existierender Wert. Wenn jetzt jemand kritisch bemerken würde, es gäbe doch auch noch den Luftdruck, und die Wetterstation könne somit nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen, so müsste man dieser Kritik zweifelsfrei zustimmen. Wenn kein Luftdrucksensor verbaut ist, kann dieser auch nicht gemessen werden. Nichtsdestotrotz existiert der Luftdruck. Nun ist uns allen zwar die Existenz des Luftdrucks bekannt, aber dass es durchaus auch