SELBST-geführte Psychotherapie. Uta SonnebornЧитать онлайн книгу.
der Klänge oder der Gefühle aufgeht. Es besteht jedoch die Möglichkeit, den Hauptkanal bei sich und beim Klienten zu erkennen und bewusst die Wort- und Beispielfindung auf die bevorzugten Sinneskanäle des Patienten abzustimmen und somit Brücken zu bauen. Auch steht die Möglichkeit offen, die Sinneskanäle des Klienten zu vernetzen und sie ihm besser zugänglich zu machen, damit er den vollen Zugang zu all seinen Kanälen erfahren kann. Was fühlen Sie, während Sie sehen? Was hören Sie, während Sie sehen? Was sehen Sie, während Sie fühlen etc.
Selbstreflexion im Gespräch
Ein paar wichtige Fragen könnte sich die Behandlerin immer wieder stellen: Hat das, was ich da erlebe, etwas mit mir zu tun? Erlebe ich es oft, dass ich eben diese Gefühle und Handlungsimpulse an mir wahrnehme? Welchen Teil in mir spricht das an? Lösen Klient*innen oft dieselben Gefühle in mir aus (dann hat das vermutlich seinen Ursprung in meiner eigenen Geschichte) oder kann ich mich relativ frei auf die Klient*innen einschwingen und auch wieder zu mir zurückoszillieren?
Die Selbstbeobachtung verhilft zu einer differenzierteren Wahrnehmung unserer selbst, unserer Gefühle, unseres Körpers, unserer Probleme, unserer Grenzen, unserer Stärken und unserer Schwächen. Sie hilft, unsere blinden Flecken zu erkennen, eine eingeengte Wahrnehmung zu korrigieren und ist der erste Schritt, mit uns selbst und dem anderen besser in Kontakt und Beziehung zu treten. Sie ist nicht immer einfach, aber eröffnet uns den Weg zu dem eigenen inneren menschlichen Reichtum.
Falls bis zu diesem Punkte noch Zweifel an der Notwendigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge für Therapeut*innen und Ärzt*innen bestehen sollten, hier noch ein Gedicht von Erich Fried:
Der Warner
Wenn Leute dir sagen: »Kümmere dich nicht so viel um dich selbst«, dann sieh dir die Leute an, die dir das sagen. An ihnen kannst du erkennen, wie das ist, wenn einer sich nicht genug um sich selbst gekümmert hat.
Übertragung und Gegenübertragung
Diese Begriffe wurden erstmals in der Psychoanalyse beschrieben.
Den Mechanismen von Übertragung und Gegenübertragung begegnen wir jedoch überall und sie sind nicht nur in therapeutischen Beziehungen von Bedeutung. Besonders häufig beschäftigen sie uns allerdings im psychotherapeutischen und ärztlichen Alltag.
Der Begriff der Übertragung wird verwendet, wenn der Klient etwas auf den Behandler überträgt. Dabei richtet der Klient oder Patient seine Gefühle, Wünsche (auch an die Beziehung), Bedürfnisse, Erfahrungen aus früheren lebensgeschichtlich wichtigen Kontexten auf die heutigen Behandler*innen. Auch die Wünsche, die eigentlich andere Menschen hätten erfüllen sollen. Er lebt in der unbewussten Überzeugung, dass die Bedürfnisse, die ihm damals versagt wurden, nun diese Behandler erfüllen müssten, beziehungsweise er lebt die ganze schwierige Palette der Gefühle der schon in der Kindheit frustrierten Bedürfnisse nun noch einmal mit seinem Behandler durch. In der Psychotherapie sind Übertragungen ein wichtiges, zu bearbeitendes Feld. Wenn der Klient introspektiv ist und Interesse an seinen Übertragungen zeigt, liefern sie wichtige Informationen zu den früheren Szenarien, in denen der Klient gelebt hat. Das gelingt umso leichter, je weniger die Therapie mit regressiven therapeutischen Instrumenten arbeitet und umso mehr die Therapie in erwachsener Selbstverantwortung Anwendung findet.
Für Gegenübertragung gibt es zwei Definitionen.
1 Die erste meint die Übertragung von Gefühlen, Bedürfnissen, Erfahrungen und auch Wünschen an die Beziehung zum Klienten vonseiten des Behandlers, die aus dessen eigener Lebensgeschichte und seinen unerfüllten Bedürfnissen stammen. Hier verbergen sich nicht selten Wünsche nach Wertschätzung und Anerkennung für seine außergewöhnlichen, aufopfernden Leistungen. Die Klienten sind jedoch nicht dazu da, dem Behandler etwas geben zu sollen, was er in seiner Vergangenheit hat entbehren müssen. Nicht selten leider werden jedoch Klienten in der Therapie emotional oder gar auch sexuell missbraucht. Hier sind Selbsterfahrung und Selbstreflexion unabdingbar notwendig und hilfreich, um nicht unbewusst in diesen Gegenübertragungsmodus zu verfallen und um für klare Grenzen in der Therapeuten-Klienten-Beziehung zu sorgen. Auch die unbewussten Reaktionsmuster und Resonanzen des Behandlers auf den Klienten zählen in die Kategorie der Gegenübertragung. Gegenübertragungsgefühle sollte der Behandler jedoch niemals am Klienten ausagieren, sondern sie sorgfältig wahrnehmen und an ihnen arbeiten. Es ist unerlässlich, dass er sich selbst für so wichtig nimmt, dass er ihn belastende Gefühle überhaupt als solche wahrnimmt, sie nicht einfach aushält, sondern nachverfolgt, auf welchem Hintergrund sie entstanden sind. Sind es eher ihn persönlich betreffende Gefühle oder doch Gefühle des Klienten, mit denen er sie verwechselt? Um das zu klären, ist die Supervision ein guter Ort, der dann aufzusuchen ist. Das gehört auch zur Professionellen Selbstfürsorge. Siehe auch Teil 4.
2 Die zweite Definition entspricht eher dem Gegenübertragungsbegriff bei Sándor Ferenci, der die Gegenübertragung zum Nutzen des Klienten instrumentalisiert sehen wollte, um so den Klienten über das im Therapeuten empfundene Gefühl besser verstehen zu können. Wir nehmen manchmal Gefühle wahr, die Gefühle unseres Gegenübers spiegeln und zu denen noch kein emotionaler und/oder bewusster Zugang besteht. Diese Gegenübertragungsgefühle therapeutisch nutzen zu können, setzt voraus, dass der Behandler auch Gefühle auf seinem Resonanzboden bewusst wahrnehmen kann, die nicht seine eigenen sind. Sie werden dadurch ausgelöst, dass der Klient gerade diese Gefühle bei sich unbewusst ausklammert oder abspaltet. Es ist eine hohe Herausforderung und braucht intensive Selbstkenntnis sowie eine gute Schulung der Gefühlswahrnehmung, um diese Unterscheidung treffen zu können. Was ist die Resonanz meines eigenen Inneren und was löst jemand anders in mir an Gefühlen, Empfindungen, Reaktionen etc. aus, das eigentlich nicht zu mir gehört?
Für therapeutische Begegnungen ist es ein riesengroßer Gewinn, den eigenen Resonanzboden und seine Gefühle gut zu kennen und die Gegenübertragungsgefühle von diesen unterscheiden zu können und sie nicht unbewusst auszuagieren. Dann können diese Gegenübertragungsgefühle als Diagnostikum und als Therapeutikum nutzvolle Anwendung finden. (Siehe auch Oszillieren, Metaebene, Resonanz.)
Ein mir sehr eindrückliches Beispiel möchte ich gerne hier schildern.
Ein etwa 55-jähriger Mann, klein und drahtig mit Halbglatze, überfreundlich und beflissen, mir all seine Beschwerden minutiös darlegend, kam aufgrund von Knieschmerzen zur Akupunktur in meine Sprechstunde als Ärztin. Bei der Schilderung seiner Beschwerden fügte er nach fast jedem Satz hinzu: »Wissen Sie, Frau Doktor?« Dies geschah in einem immer drängenderen Automatismus, dass er diesen Satz mindestens zwanzigmal und gefühlt jedes Mal lauter sagte. War ich zunächst freundlich zugewandt, merkte ich bald nach jedem Mal: »Wissen Sie, Frau Doktor?!,« dass ich diesen Satz so erlebte, als würde er mir im Stakkato um die Ohren gehauen und spürte ich in mir eine mir so nicht bekannte heftigste Aggression aufsteigen. Mich durchfuhr der Gedanke: »Wenn du jetzt diesen Satz jetzt noch einmal sagst, dann dreh ich dir den Hals um.« Wow, so was war mir noch nie passiert. Ich sagte zu dem Klienten: »Kleinen Moment, ich habe draußen etwas vergessen.« Ich musste einfach hinausgehen, um mich erst mal zu sortieren und herunterzuregulieren, atmete einmal tief durch und sagte zu meiner Mitarbeiterin, schon mit etwas Abstand: »Du, so was hab ich noch nie erlebt. Ich bring gleich jemanden um.« Sie entgegnete locker: »Das machst du doch aber sonst nicht«, und wir mussten beide lachen. Ich wusste, dass dieser heftige Impuls nicht meinem persönlichen Resonanzboden entsprang, ich mir dieses Gefühl aber gut merken musste, um den Patienten bei Gelegenheit beiläufig nach Gefühlen von heftiger Wut oder Ärger zu befragen.
Ich ging wieder in das Behandlungszimmer, war von meinen reaktiven Emotionen wieder heruntergekommen und fuhr mit der ganzheitlichen Anamnese fort, die den Patienten auch nach seinen Gefühlen befragt. Auf die Frage, wie er es denn so mit Gefühlen von Ärger und Wut habe, schrie er mir fast entgegen: »Ha, ich habe 21 Prozesse am Laufen.« Ich bekam einen kurzen Schreck, konterte dann aber cool, mit Herzklopfen, und fragte, was ich tun müsse, um der 22. zu sein. Darauf ging er beschwichtigend ein. Ich war wieder in meiner Mitte angelangt und konnte ihn ehrlich, mitfühlend und interessiert fragen, wie es denn gekommen sei, dass er so viel Kraft in diesen Prozessen