DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis. Daniel JödemannЧитать онлайн книгу.
an den Vordersteven, die Hände um den langen Stiel seiner Axt gelegt. Der Tighrirschädel, den Ullbjern ihm geschenkt hatte, hing fest verschnürt unter dem Drachenkopf, die leeren Augenhöhlen in dem bleichen, ehrfurchtgebietenden Stück Knochen nach vorne gerichtet.
Die Imperja sollten wissen, wer auf dieser Otta fuhr, mit wem sie es zu tun bekamen, wenn sich die Wegafreki näherte – keine verängstigten Bauern, nicht irgendein dahergelaufener junger Hersir, sondern ein Krieger, der sich von nichts schrecken ließ.
Sie hielten zügig auf die Blockade zu. Nun bemerkten auch die Imperja, dass die Hjaldinger kein Interesse daran zeigten, ihre freundlicherweise offen gehaltene Mitte anzusteuern, und stattdessen auf die nördlicher liegenden Galeeren zuhielten, die vor der Südspitze Hjaldingards lagen. Die ersten Schiffe setzten sich in Bewegung, manche angetrieben von Schaufelrädern, andere von zwei, drei oder gar fünf Riemenreihen, die sich im Gleichtakt hoben und senkten.
»Hrangas Kiefer!« Gautaz lachte kehlig auf und reckte seine Axt empor. »Merkt ihr endlich, dass wir nicht so leicht zu übertölpeln sind? Treibt bloß eure Sklaven an, oder ihr verpasst den Spaß!«
Godrun, die einzige Runenmagierin, die den Aasa geblieben war, trat an die Bordwand. Sie starrte hinaus aufs Meer. Mit ihrer schlanken, hochgewachsenen Gestalt wirkte sie unter den breitschultrigen Frauen und Männern der Fahrtgemeinschaft bereits fehl am Platz. Statt einer richtigen Waffe trug sie zudem lediglich einen langen Eibenstab.
Gautaz runzelte die Stirn. »Was siehst du, Runakwena?«
Sie warf ihm einen stummen Blick zu. Er hielt Godruns starrem dritten Auge auf ihrem Stirnband stand. »Nebel.«
Er beugte sich über die Bordwand. Die See war hell hier, aber immer noch tiefblau genug, dass sie sich nicht sorgen mussten, das Wasser unter dem Kiel zu verlieren. Gleich über der Oberfläche kräuselten sich graugrüne Nebelfäden, die mit jeder zurückgelegten Schiffslänge dichter wurden und sich nur widerwillig vor dem Bug der Wegafreki teilten.
»Und?« Er winkte ab. »Morgennebel. Ist nicht ungewöhnlich.«
Sie fasste ihren Stab fester. »Das ist kein normaler Nebel.« Sie wies hinaus auf die See. »Er kommt von Osten, zieht dem Wind entgegen, der uns aufs Meer trägt.«
Er blickte auf. Die Runakwena hatte recht, und das war nicht alles: Kein Vogel kreiste mehr am Himmel, die Gletschermöwen waren geflohen. Eine bedrückende Stille hielt die Odalwik fest im Griff. »Verflucht«, knurrte Gautaz. Alarmiert wandte er sich zur Blajazehwa, dem schlanken, runengeschmückten Drachenschiff, das die Isleif-Sippe törichterweise an die Hagni abgetreten hatte, anstatt ihre Frachtschiffe mit zwei Kriegsschiffen zu schützen. Eine Gestalt mit blondem Haar stand am Bug und sah unbeirrt Richtung Horizont. Die dünnen Nebelfäden, die sich geduckt über das Meer hinweg angeschlichen hatten, umgaben nun den gesamten Schiffsverband.
»Sieht sie es denn nicht?«, knurrte Gautaz. »Verflucht seid ihr, hättet ihr doch mich gewählt.«
So als ob er ihn gehört hätte, gab der Nebel sein Versteckspiel auf. Anstatt knapp über dem Wasser dahinzukriechen, erhob er sich nun triumphierend und wallte empor. Die feindlichen Galeeren und die Küste ließen sich im Dunst immer schwerer ausmachen. Ein Vorhang zog sich vor ihnen zusammen, der kränklichgraue Nebel verdichtete sich rasch.
»Hrok, das Horn!«, befahl Gautaz. »Wir müssen Signal geben …«
Ein langgezogenes Hornsignal schallte von der Blajazehwa herüber.
»›Vorwärts‹?«, übersetzte der Hersir grimmig. »Was erlaubt sie sich?« Er wandte sich an die Männer und Frauen hinter ihm. »Bereitet euch vor! Ich will nicht erleben, dass auch nur ein Watdraugar oder irgendeine Ausgeburt Hrangas einen Fuß auf diese Planken setzt! Sie dürfen den Schiffen unserer Sippe oder denen der Gunna nicht zu nahe kommen!« Missmutig starrte er die verschlungene, mit Blut gezeichnete Aescruna an – die Waffenrune, mit der Godrun seine Axt versehen hatte. Doch er war nicht töricht – Geistern und anderem Gezücht Hrangas konnte er mit bloßer Kraft und simplem Stahl nichts anhaben.
Es wurde rasch düsterer auf der Wegafreki. Die kränklichen, grüngrauen Schwaden verwehrten den Blick auf den Horizont und ließen selbst die Ottas, die sie begleiteten, nur noch als vage Schemen erscheinen. Der Nebel erstickte Glaiwas Schein, die Sonne ließ sich nur noch erahnen.
»Zur Tiefe!«, grollte Gautaz. »So fahren wir auf Grund oder direkt in eines ihrer Schiffe.«
Erneut wehte ein langgezogenes Hornsignal heran.
»Verflucht seist du, Jurga Tjalfsduhter!«, spie er hervor. »Wir müssen langsamer segeln und …«
Noch ein langgezogenes Signal unterbrach ihn, so als gelte es allein ihm.
»Was tun, Hersir?«, rief Stainar vom Ruder her, nur noch ein vager dunkler Umriss im Nebel. »Weiterfahren oder nicht?«
Gautaz runzelte die Stirn. Der Nebel war nun so dicht, dass die Wasseroberfläche nicht mehr zu erkennen war. Er kräuselte sich, wand sich an der Bordwand empor, griff mit Tentakeln aus Dunst nach dem Segel und dem Drachenhaupt, das ihnen vorauseilte. Die Schwaden trugen einen Übelkeit erregenden Gestank nach verrottendem Tang und fauligem Wasser mit sich, der in Mund und Nase drang sowie die Augen zum Tränen brachte. Klamme Feuchtigkeit kroch Gautaz unter die Kleidung wie ein nasskalter Lappen.
»Die Tochter der Schlange«, stieß Godrun hervor und hob alarmiert ihren Zauberstab. »Die, die aus dem Nebel kommt!« Pures Entsetzen lag in ihrer Stimme.
Der Wind wich aus dem Segel, die Wegafreki verlor rasch an Fahrt.
»Reiß dich zusammen, Zauberin!« Gautaz trat an den Mast zurück, die Axt fest mit beiden Händen gepackt. »Hrok! Gib unseren Schiffen das Signal zum Beidrehen. Wir müssen …«
»Hersir!« Godrun hob ihren Stab und wies hinaus aufs Wasser.
Schemenhafte Umrisse formten sich aus den Nebeln heraus und näherten sich rasch. Sie liefen über die Oberfläche auf sie zu.
»Geister! Verteidigt das Schiff!« Gautaz hob die Axt. »Aaaasaaaa!«, schrie er dem Feind entgegen, doch der Nebel verschluckte jeden Laut und sein Ruf trug nicht weit. Seine Fahrtgemeinschaft hob Äxte und Rundschilde.
Die Schemen fielen stumm über die Wegafreki her. Rundum hieben die Krieger verängstigt nach den Angreifern oder rissen hastig die Schilde empor.
Einer der Schatten, eine wirbelnde Masse aus Dunkelheit und Nebelschwaden, setzte lautlos auf den Planken auf und wandte sich Gautaz zu. Ein Helm und Schild, gezeichnet mit Runen, eine hochgewachsene Gestalt, ein eingefallenes Gesicht mit leeren Augenhöhlen …
»Eilif?«, presste er hervor und wich unwillkürlich zurück. Eine kalte Faust griff nach seinem Herzen. »Eilif, bist du es?«
Der Geist hob stumm die Axt. Ein großer dunkler Fleck prangte auf seiner Brust – dort, wo ihn der tödliche Speer getroffen hatte, kurz nachdem er ihn gerettet hatte.
Gautaz sprang hastig vor dem Hieb seines schattenhaften Bruders zurück und stieß mit dem Rücken an den Mast. Rundum wehrten sich die Angehörigen seiner Fahrtgemeinschaft keuchend gegen stumm kämpfende schemenhafte Umrisse. Weiter als bis zur Bordwand reichte die Sicht nun nicht mehr. Die Angreifer schwangen Äxte und einige trugen Schilde.
»Unsere Toten«, stieß Stainar entsetzt hervor und wich einem Angriff aus. »Die Toten, die wir in der letzten Schlacht verloren, sind zurück!«
Eilif wies anklagend mit der Axt auf seinen Bruder. Seine Augen waren zwei dunkle Höhlen aus Finsternis, hinter denen Verdammnis und Unendlichkeit warteten.
Gautaz hob die Axt. »Es war nicht meine Schuld!«, schleuderte er dem Geist entgegen. »Ich habe nicht verstanden, was du sagen wolltest!«
Jemand ging über Bord und landete klatschend im Wasser. Ein gellender Schrei durchbrach den Nebel und verstummte abrupt.
Eilif holte erneut aus. Gautaz wich aus und schlug dann selbst mit aller Kraft zu. Seine Axt fuhr durch seinen Bruder. Die Schwaden verwehten für einen Moment und formten sich rasch neu. »Du