Republik der Werktätigen. AnonymЧитать онлайн книгу.
die DDR am 28. Juli 1969 eine Medaille für »Aktivisten der sozialistischen Arbeit«, die unabhängig von den aktuellen Plänen galt, denn der Siebenjahrplan war gerade in die Hose gegangen. Bei mehrmaligem Verleih gab es den »Verdienten Aktivisten« obendrauf. Die Aktivistenauszeichnung wurde relativ häufig verliehen; allein im Jahr 1988 bekamen sie von 8 979 700 Werktätigen 284 166 Frauen und Männer verliehen, 4441 Werktätige ehrte man als »Verdiente Aktivisten«.
Nach dem Ende der DDR wurde die hohe Zahl der Auszeichnungen gern spöttisch kommentiert. Wer damals dabei war, sieht es anders. Als Aktivist zu gelten machte stolz, ein paar hundert Mark Prämie waren willkommen. Und auch, wenn viele damit rechneten, einmal »dran« zu sein, entflammten um die zuvor in der Gewerkschaftsgruppe einzubringenden Vorschläge rege Diskussionen.
In einem feierlichen Staatsakt zeichnet Präsident Wilhelm Pieck die Weberin Frida Hockauf 1954 als Held der Arbeit aus. (BArch Bild 183-26921-0024 / Walter Heilig)
Die beste Chance auf eine Auszeichnung bestand seit 1959 im Kollektiv. Am 6. August des Jahres wurde der Titel »Brigade der sozialistischen Arbeit« gestiftet und anlässlich des 10. Geburtstags der Republik am 7. Oktober 1959 erstmals verliehen. Die »Brigade« wurde 1962 vom »Kollektiv« der sozialistischen Arbeit abgelöst. Am Ende der DDR arbeitete mit 4,6 Millionen Werktätigen mehr als die Hälfte aller Berufstätigen in solch einem ausgezeichneten Kollektiv. Natürlich hing an dem viereckigen Strahlenstern auch eine Prämie, die in aller Regel bei der Verleihung mit Bier, Wodka der Marke »Blauer Würger« und Grillsteaks gefeiert wurde.
Das hatten die Geehrten letztlich Nikolai Jakowlewitsch Mamai zu verdanken. Der sowjetische Bergmann initiierte 1958 eine Wettbewerbsbewegung zur täglichen Übererfüllung der Schichtnorm. Das griff – laut offizieller Propaganda auf eigene Initiative – die Jugendkomplexbrigade »Nikolai Mamai« des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld am 3. Januar 1959 auf und trat in den Wettbewerb um den Ehrentitel Brigade der sozialistischen Arbeit. Dazu war neben der Planerfüllung ein Kultur- und Bildungsplan nötig, gemäß der damals ausgerufenen Parole »Sozialistisch arbeiten, lernen und leben«.
Um den Ehrentitel zu erlangen, musste ein Anforderungskatalog erfüllt werden. Neben der Arbeit spielten kulturelle und politische Ansprüche eine Rolle, natürlich ging es um »sozialistische Moral und Ethik«, und dies alles hatte in »abrechenbarer Form« zu geschehen. Letzteres dokumentierte das Brigadetagebuch. Als »Mittel der Erziehung und Selbsterziehung« erzählte es von der Entwicklung der Brigademitglieder und war ihr Kummerkasten. Die Tagebücher sollten regelmäßig in den Gewerkschaftsgruppen der Betriebe »ausgewertet« werden.
In der Praxis ging es meist nicht so bierernst zu. Hatte sich erst einmal jemand gefunden, der die Schönschrift beherrschte, gern mal ein Bildchen ausschnitt oder ein Foto einklebte, womöglich noch eine Vignette malen und Schüttelreime verfassen konnte, waren der kreativen Buchführung keine Grenzen gesetzt. Kegelabende und gemeinsame Ausflüge wuchsen zu »kulturellen Höhepunkten« an, das Anpacken beim Hausbau des Arbeitskollegen zur »sozialistischen Hilfe«, und wenn mal ein Stammhalter zu begießen war, hieß es einfach »gemütliches Beisammensein«. Ein gemeinsamer Kino- oder Theaterbesuch lieferte wichtige Punkte, und den geforderten politischen Aktivitäten war Genüge getan, wenn jemand regelmäßig einen aktuellen Zeitungsartikel an die Wandzeitung pinnte oder zwei, drei Kollegen – oft zum wiederholten Mal – in die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft eintraten.
Medaillen »Aktivist des Siebenjahrplans« und »Aktivist des Fünfjahrplans« (picture alliance / ZB / Peter Zimmermann)
Das entscheidende Kriterium blieb jedoch, dass der Plan erfüllt oder gar übererfüllt wurde. Wie man das zumindest auf dem Papier hinbekam, wussten alle. So hatten in aller Regel weder Betriebsleitung noch Betriebsgewerkschaftsleitung – bei Jugendkollektiven auch noch die FDJ-Leitung – etwas dagegen einzuwenden, den Wettbewerb um den Titel entsprechend zu honorieren. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten auch sie in schlechtem Licht dagestanden. Und das wollte niemand.
So gab es sozialistische Kollektive, die auf den Titel regelrecht abonniert schienen. Er musste Jahr für Jahr neu errungen werden, und konnte sogar wieder aberkannt werden. In den Jahren 1967 bis 1971 durften die Geehrten ihre mehrmaligen Auszeichnungen mittels einer Medaillenspange ausweisen, von 1971 bis 1975 gab es extra eine Ehrenspange für die »ununterbrochene Verteidigung des Titels« während des gesamten Fünfjahrplans.
Im Laufe der Zeit war der Wettbewerb zum Ritual erstarrt. Die in den frühen Jahren der DDR herrschende Aufbaustimmung, wie sie Adolf Hennecke einst symbolisierte, war erlahmt. Als seine Tochter Hannelore Graff-Hennecke im Frühjahr 2011 im Bergbaumuseum Oelsnitz die von ihr verfasste Biographie ihres Vaters vorstellte, meinte sie: »Er wusste nicht genau, worauf er sich einließ.« Das rief ein geteiltes Echo hervor – so wie es die Aktivisten und Helden der Arbeit der DDR bis heute tun.
Der Absturz – Einsatz im Studentensommer
Wolfgang Schüler
(picture alliance / imageBROKER / Michael Nitzschke)
Von 1973 bis 1977 habe ich an der Leipziger Karl-Marx-Universität Wirtschaftsrecht studiert. Ich erhielt – wie die meisten meiner Kommilitonen – 180 Mark Stipendium im Monat. Ein Internatsplatz kostete damals zehn Mark monatlich und eine Essenmarke in der Mensa etwa eine Mark. Alle Studenten waren krankenversichert, und sie konnten überdies zu stark verbilligtem Preis öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Grundversorgung war gesichert. Niemand musste Existenzangst haben.
Doch auch in der DDR gab es nichts umsonst. Von den Studenten wurde beispielsweise erwartet, dass sie in den Semesterferien drei Wochen lang am sogenannten FDJ-Studentensommer teilnahmen. Mit der Freiwilligkeit war das so eine Sache. In der Endkonsequenz konnten sich nur Kranke oder Fußlahme drücken.
Die Einsätze fanden zumeist in sozialistischen Großbetrieben statt und waren in der Regel sehr speziell. Die Studenten mussten beispielsweise in Brikettfabriken Kohlengruß schaufeln, für Nahverkehrsbetriebe Kabelgräben ausheben oder in Wäschereien die Lauge in den Bottichen umrühren. 1975 hatte es mich während des FDJ-Studentensommers in das Plattenwerk Neuwiederitzsch verschlagen, einen Zweigbetrieb des volkseigenen Wohnungs- und Gesellschaftsbaukombinats (WGK) Leipzig.
Bei der Einweisung wurde ich angenehm überrascht. Pro Doppelschicht sollte ich 100 Mark plus eine kostenlose Mahlzeit erhalten. Nach den drei Wochen mit ihren 15 Arbeitstagen würde ich demzufolge 1.500 Mark bar ausgezahlt bekommen und könnte völlig sorgenfrei mit meiner Freundin eine Reise nach Bulgarien antreten.
Doch wer mit dem Teufel frühstücken will, braucht einen langen Löffel. Das merkte ich, nachdem ich meine Arbeitsschutzbekleidung – Fußlappen, blaue Kombi, schwarze Gummistiefel, rote, bis an die Ellenbogen reichende Gummihandschuhe und einen gelben Schutzhelm – angelegt hatte und in meine Arbeit eingewiesen wurde.
Studenten erhalten Arbeitsaufgaben für den FDJ-Studentensommer. (picture alliance / ZB / Thomas Uhlemann)
In der Halle verharrte die Quecksilbersäule des Thermometers bei 35 Grad. In großen, zu Batterien zusammengefassten Formen wurden aus Beton Fertigteile für Neubaublocks gegossen. Dazu brauchte es viel Dampf, Öl und Hitze. Flüssiger Beton glitschte aus Steigleitungen in die Formen. Überschüssige Reste tropften in Abwasserkanäle.
Der Brigadier war Ende dreißig, groß, hager und hatte schlechte Zähne. »Ich heiße Leonhard, Klaus. Klaus ist mein Vorname. Studenten sind Parasiten an der Volksgesundheit, wie mein Vater immer zu sagen pflegte. Hier in meiner Halle hat es noch nie einer länger als eine Woche ausgehalten. Dir Milchreisbubi gebe ich zwei Tage.«
Er sollte sich irren, wie sich bald herausstellen würde.
Der Brigadier drückte mir einen Presslufthammer