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Haus der Nonna. Joli Schubiger-CedraschiЧитать онлайн книгу.

Haus der Nonna - Joli Schubiger-Cedraschi


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sehr laut miteinander. Ich hatte ein Glas gasusa vor mir, eine billige Zitronen­limonade aus einer grünen Flasche mit Bügelverschluss.

      Die beiden Männer stritten sich, jeder wollte bezahlen: mein Vater, weil der andere ihm einen Dienst erwies, und Giotta, weil mein Vater und ich hier gewissermassen zu Gast waren. Dann fuhren wir auf der rosaroten, staubigen Strasse gegen Rancate. Beim Friedhof San Giuseppe schliesslich, der schon zu Ligor­netto gehört, sahen wir einen gelbgestrichenen Leiterwagen. «Zia Lisa», sagte Papà. Er rief ihren Namen; Giotta hielt an. Mitten im Reblaub tauchte ein Kopf auf. Zia Lisa schrie einen Gruss und Fragen zu uns her­über. Sie wollte, vermute ich, wissen, wie die Reise gewesen sei und wann wir sie besuchen würden. Über ihren Schultern, rechts und links, bewegten sich die Zipfel des Kopftuchs. Rings um ihr Gesicht quollen weisse Locken hervor. Papà schrie etwas zurück, und wir fuhren weiter, geradewegs auf den Kirchturm von Ligornetto zu. Der Turm steht, wenn man vom Friedhof kommt, mitten im Weg, dort, wo die Ränder der Strasse zusammenlaufen.

      Auf der Gasse waren nur alte Leute und Kinder; die anderen Bewohner des Dorfes arbeiteten zu dieser Zeit auf dem Feld. Die Nonna war unseretwegen zu Hause geblieben. Sie hatte Giottas Fuhrwerk gehört, das jetzt vor dem Tor hielt, und sie kam uns mit weit ausgebreiteten Armen entgegen. «Sieh mal, wer da kommt», muss sie dann gesagt haben, «varda chi la Jaale – schau hier, die Joli». Sie nahm Papà, der sich ein wenig dagegen wehrte, den Koffer aus der Hand und trug ihn über den Hof in die Küche.

      Das Haus und die Küche der Nonna. Pá Cesar und seine Grossfamilie. Versuche, etwas gegen die Armut zu tun.

      Die Grosseltern lebten zusammen mit drei weiteren Familien in einem grossen Haus. Es gehörte dem Bäcker Civatti und seiner Frau, die hier neben der Wohnung eine Backstube, Lagerräume und einen Laden hatten. Viele Einzelheiten lassen noch heute erkennen, dass es einmal das Haus reicher Leute gewesen ist. Civattis Ofen zum Beispiel, der jetzt nicht mehr ge­braucht wird, steht in einem ehemaligen Salon, einem weiten Raum mit einer Decke in Kassettenform. Im gepflasterten Innenhof wachsen zwei hohe Palmen. Sie sind von runden, mit Steinen begrenzten staubigen Gärtchen umgeben, in denen die Katzen ihren Kot verscharren. Von hier aus gelangt man durch einen Gewölbegang nach hinten in den Hühnerhof und die Weingärten und nach vorn durchs Portal auf die Dorfstrasse. Das Eingangsgewölbe ist reich bemalt. Doch das alte Hellblau, das Rosa und Gold sind längst dunkel und schmutzig geworden. Man kann die Formen der Girlanden, der Engel und Wolken nicht mehr in allen Teilen erkennen.

      Im Hof gibt es einen Brunnen, dessen Wasserhahn in einem steinernen Löwenmaul steckt. Hier hol­te die Nonna wie die meisten Frauen des Hauses ihr Wasser. Sie hatte dafür einen emaillierten Blecheimer, den sie nur ein paar Schritte in die gegenüberliegende Küche zu tragen brauchte.

      «Nun müsst ihr aber Hunger haben», sagte die Nonna, als wir eintraten. So oder ähnlich hat das Gespräch jedenfalls bei späteren Besuchen begonnen.­Papà erklärte dann, dass wir in der Bahn schon etwas gegessen hätten. Ohne auf ihn zu hören, schürte die Nonna die Glut im Kamin, legte frisches Holz dar­über, stellte einen Dreifuss hinein und schlug Eier in ein Pfännchen.

      Mein Grossvater, Nonno Pepp, war nicht da. Zu dieser Zeit arbeitete er draussen im steilen Runchett oder in der flachen Vignascia. Das waren die Rebgärten, in denen auch das Gras für die Kaninchen und die Ziege wuchs.

      Die Nonna holte Wein und Gläser aus der hin­teren Küche, die vor allem als Vorratsraum diente. Da sie selber nie über Lugano hinaus nordwärts gereist war, lag Zürich für sie schon ausserhalb der Welt. Sie sprach das Wort Zürich sehr misstrauisch aus. Es klang, als zweifelte sie daran, dass die Stadt überhaupt existierte. Im Hantieren erkundigte sie sich nach meiner Mutter. La Pina, wie sie sie nannte, war jemand, der Schonung brauchte. «Pina sollte uns einmal besuchen», sagte die Nonna manchmal, «am besten im Herbst, wenn es nicht mehr so heiss ist.» – «La pòra Pina – Die arme Josefine», hörte ich sie später auch ­sagen und: «L’è ròba da nerv – Es ist eine Sache der Nerven.» Die Nonna fragte nach meinen kleineren Schwestern und nach der Arbeit meines Vaters. Ich sass auf einem Schemel beim Feuer und ass biscott, die sie für mich besorgt hatte. Ich hörte die kurzen Antworten meines Vaters. «Es geht recht gut», und «ich verdiene etwas mehr als voriges Jahr», das war es wohl, was er ungefähr sagte. Seine Stimme klang so be­­schwichtigend, dass die Nonna immer neue Fragen stellte. Im Gespräch blickte sie hin und wieder zu mir. «Eh, la Jaale», sagte sie beinahe ungläubig. Sie freute sich, dass ich da war.

      An der Wand dem Kamin gegenüber hing, neben einem Porträt von Papst Pius xii., eine Fotografie meines Urgrossvaters. Ein Bauer im schwarzen Sonntagskleid mit schwarzem Hut. Das Bild stammt von einem Mailänder Fotografen, der es wie ein Kunstwerk signiert hat.

      Der Urgrossvater, Bürger von Uggiate, einem lombardischen Dorf gleich jenseits der Grenze, war um 1900 ins Mendrisiotto eingewandert, mit einem Ochsengespann, zwei Kühen und einer grossen Familie. In Stabio hatte er einen Hof gefunden, den er noch als traditioneller mezzadro in Pacht nehmen musste: Die Hälfte der Ernte war als Pachtzins abzuliefern. Wenige Jahre später wurde in Ligornetto ein Hof frei. Hier galten dann schon neue, bessere Bedingungen.

      Zur Zeit seiner Einwanderung lebten noch drei seiner Söhne mit ihm, Carlín, Girumín und Pepp, mit ihren Frauen und Kindern, und eine der Töchter, Gina, mit ihrem Mann. Die Kinder und Enkel nannten ihn alle Pá Cesar, Vater Cesar. Seine Frau, la Mam Savia, war schon nicht mehr am Leben. Sie soll noch in Italien an der Cholera gestorben sein. Es heisst, Pá Cesar habe sie, begleitet nur von einem seiner Brüder, auf dem Feld begraben. In ihrem Leintuch habe er sie bei Nacht in eine Grube gelegt. Ein Pfarrer sei nicht dabei gewesen.

      Beim Essen sass Pá Cesar oben an der Stirnseite des Tisches. Er soll im Hause als Einziger einen Hut getragen haben, den er nur vom Kopf nahm, wenn er betete. Er war Oberhaupt und Vorbeter der Familie. 1924, als Pá Cesar starb, war mein Vater elf Jahre alt. Er erzählt immer wieder von ihm. «Com un sant – Wie ein Heiliger» soll er gewesen sein.

      Pá Cesar war einer der wenigen im Dorf, die Zugochsen und Kühe besassen. Er soll ausserdem auch et­was bares Geld gehabt haben. Ziu Tugnín erzählte, Pá Cesar habe seine Barschaft stets in einer Schub­la­de im Schlafzimmer aufbewahrt. An seinem Schritt ha­be man gehört, ob er Geld holen ging, um etwas zu bezahlen, oder ob er Geld versorgte, das er eingenommen hatte. Im einen Fall schlurfte er über die Treppe, im anderen nahm er zwei Stufen zugleich.

      Pá Cesar soll sehr klug gewesen sein. Er konnte gut lesen, schreiben und rechnen und gab auch Bibelunterricht. Als er noch in Italien lebte, musste sein Dorf wie jedes andere eine bestimmte Anzahl junger Männer als Soldaten rekrutieren. Pá Cesar soll sich damals mit einer Kuh freigekauft haben. Die Kuh ging als Entschädigung an einen, der für ihn auszog und nicht zurückkehrte.

      Pá Cesar hat jedem Einzelnen der Familie die Arbeit zugewiesen, die ihm und ihr angemessen war. Zia Maria, eine seiner Schwiegertöchter, war Köchin. In der Küche hat sie nebenbei die kleinen Kinder ­betreut. Alle andern Frauen arbeiteten auf dem Feld. Sobald ein Kind gehen konnte, nahmen sie es mit. ­Ältere Kinder arbeiteten, wenn sie nicht gerade in der Schule waren, wie Erwachsene. Die Aufzucht der Seidenraupen beispielsweise war zum grossen Teil ihre Sache.

      Mein Vater hat mir davon erzählt. Man kaufte im April die Eier des Seidenfalters, aus denen dann die Räupchen ausschlüpften, und lieferte etwa vierzig Tage später i galétt, die Kokons, ab. Die Raupen wurden auf Gestellen mit flachen Tablaren gehalten. Ein ganzes Zimmer, in dem Tag und Nacht das Kaminfeuer brannte, war für sie reserviert. Man fütterte die Raupen mit den Blättern des Maulbeerbaumes. Den jungen Tieren musste man die Blätter in feine Streifen zerschneiden. Die Raupen wuchsen rasch; sie frassen gieriger von Stunde zu Stunde. Die Kinder kletterten mit Säcken, die ein Holzring oben offenhielt, in die Kronen der Bäume und pflückten die Blätter. Den Inhalt der Säcke schütteten sie auf die Tablare. In den letzten zehn Tagen vor der Verpuppung waren die Raupen so gefrässig, dass sie ohne Unterbruch ein Blatt nach dem andern verzehrten. Dabei erzeugten sie ein schnurrendes Geräusch. Man schnitt jetzt ganze Zweige von den Maulbeerbäumen und brachte sie auf dem Ochsenkarren nach Hause. Die Raupen hatten schon die Grösse eines Männerdaumens und brauchten ein geeignetes Gebilde, an dem sie sich verpuppen konnten. Äste mit vielen Verzweigungen wurden zwischen die Tablare geklemmt.


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