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Kreuz Teufels Luder. Evelyna KottmannЧитать онлайн книгу.

Kreuz Teufels Luder - Evelyna Kottmann


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jetzige Logis ist für die Kinder absolut ungeeignet.

      Zudem duldet Vater Jakob es nur als rein vor­übergehend, kurzfristige Lösung.

      Menschlich-psychologische Situation:

      Sie ist im Prinzip die genau gleiche wie vor einem Jahr, 4 Kinder, 2 bis vier Männer und eine Frau.

      Die Kinder sind oft alleine, sogar tagelang.

      Folgende Lösung:

      Die vier Kinder sind vorläufig wegzunehmen.

      Für die Durchführung ist polizeiliche Hilfe unerlässlich. Auf Grund einer telefonischen ­Besprechung mit dem Bezirksammann, mit dem wir den überaus heiklen Fall näher diskutierten, sowie einer Besprechung zwischen Herrn Gemeinderat und der Kantonspolizei wird vorgeschlagen, dass die Kinder durch je einen Gemeinde- und einen Kantonspolizisten abgeholt werden. Die Aufgabe der ­Fürsorgerin wird darin bestehen, das Möglichste zu tun, dass die weitere Betreuung der Kinder ­soweit nur immer denkbar auch die spärlichen Ansätze einer positiven Zusammenarbeit mit der ­Mutter nicht zum vornherein zerschlagen werden. Sie wird die Kleinen ins Heim begleiten, nicht aber dabei sein bei der Abholung im Hause der Mutter.

      Die Frage: wohin platzieren wir die Kinder, ist bis zur Stunde trotz intensiver Bemühung noch nicht gelöst.

      Die Geschwister sollten wenn immer möglich ­beieinander bleiben.

      Hochachtungsvoll

      [Vorsteher der Vormundschaftsbehörde]

      Die Kantonspolizei, der Bezirksschreiber und eine Frau standen vor der Haustür. Mutter Lilith war mit uns Kindern alleine zu Hause. Es war schon dunkel. Als die Türglocke verstummt war, klopfte es an der Tür. Meine Mutter schaute aus dem Fenster. Ein Schrei, dann sammelte sie uns hastig zusammen, ich spürte, wie ihr Körper zitterte, als wollten tausend kleine Flämmchen zu einem grossen Feuer werden. Auch ihre Stimme zitterte, und wir bekamen es mit der Angst zu tun. So kannte ich meine Mutter nicht. Wenn wir alleine waren oder wenn ein Freier für sie vor der Tür stand, war sie anders. Sie nahm den einjährigen Alioscha auf den Arm und drückte ihn fest an sich. Mascha, noch keine zwei Jahre alt, krallte sich vor Angst an Mutter Liliths Bein. Und Arabat hielt Mascha mit einer Hand, die zur Faust wurde, am Röckchen fest. Ich stand losge­löst von den anderen da, und mein Herz klopfte so schnell, als wollte es aus mir hinausspringen und wegrennen.

      Ich meinte, den Tod riechen zu können. Meine Mutter stürzte mit Alioscha auf dem Arm, Mascha an ihrem Bein und Arabat an Maschas Röckchen in die Küche und holte sich ein Messer. Mascha fiel hin, meine Mutter fast mit ihr, Mascha schrie und Alioscha begann zu weinen. Arabat weinte mit. Und ich stand immer noch einfach da. Ich kam mir verlassen vor, wollte an diesem wilden Durcheinander nicht teilnehmen, wünschte mir aber eine menschliche Berührung.

      «Aufmachen, hier ist die Kantonspolizei!», tönte es durch die Tür. Mit Alioscha im Arm, Mascha am Bein, Arabat im Schlepptau und dem Messer in der Hand öffnete Mutter Lilith die Tür und schrie den uniformierten Männern ins Gesicht. Sie fuchtelte wild mit dem Messer herum und im Handge­menge hielt sie es plötzlich auf Alioscha gerichtet. In diesem Augenblick stand allen der Atem still. Ich war die Einzige, die schrie. Ich tat es aus voller Kehle, als hätte ich gerade den Todesstoss bekommen. Meine Mutter liess das Messer fallen, als hätte ihr mein Schrei bewusst gemacht, was sie in ihrer Verzweiflung vorgehabt hatte. Dann ging alles ganz schnell: Alioscha wurde ihr aus dem Arm gerissen, Mascha von ihrem Bein gezerrt und Arabat, der sich noch immer an Maschas Röckchen klammerte, gleich mit. Und ich, Luisa, stand immer noch da, ganz allein. Ich glaubte schon, sie hätten mich vergessen. Da trat die Frau zu Mutter Lilith und sagte: «Reissen Sie sich doch zusammen, Sie bekommen sie ja wieder!» Mit diesem Satz nahm sie meine Hand und führte mich ganz ruhig zur Tür hinaus. Ich wusste, sie hatte meine Mutter angelogen.

      Es wurde eine lange Fahrt in die Nacht hinein mit drei weinenden Kindern. Ich war still, schaute in die Dunkelheit, grelle Lichter rasten an mir vorbei. Alioscha kötzelte weinend vor sich hin, und es roch unangenehm. Die grellen Lichter wurden immer zahlreicher, und dann hielten wir plötzlich an und mussten aussteigen. Ich stand vor einem Tor. Es kam mir riesig vor und begann sich langsam zu bewegen. Zum Vorschein kam eine von Kopf bis Fuss schwarz gekleidete Gestalt. Sie hatte ein Gesicht mit zwei Augen, einer Nase und einem Mund, so wie wir, aber keine Ohren und auch keine Haare. Stattdessen hatte diese Gestalt etwas Weisses über der Stirn und trug ein schwarzes, langes Tuch. Sie machte mir Angst, und ich blieb stehen. Doch dann wurde ich sanft, aber bestimmt hineingeschubst. Ich hörte, wie das grosse Tor mühevoll ins Schloss fiel, es stöhnte wie meine Mutter, wenn sie mit einem Mann zugange war. Ich wurde über viele kleine Kieselsteinchen weitergeschubst bis zu einer grossen Tür, wo noch mehr schwarze Gestalten warte­ten.

      Wir gelangten in einen langen Gang aus roten Steinen, und manche der Steine bewegten sich unter meinen Füssen. Es gab keine Fenster, dafür riesige Wände und an der Decke hingen grosse Lampen, viel zu grosse. Zu Hause hatten wir nur kleine. Es roch nach nichts, und mich fröstelte. Am Ende des Ganges war wieder eine Tür, und ich musste auch dort hindurch. Wir kamen in einen riesigen Raum mit vielen Tischen und Stühlen, der zu Fangis und Versteckis einlud. Eine Wand bestand ganz aus Fenstern, und man konnte die Nacht draussen gut sehen. Ich konnte sie sogar fühlen. Wir mussten uns setzen und ein wenig warten, zusammen mit einer dieser Gestalten, die man hier Schwester nannte. Das schien mir doch etwas seltsam, denn meine Mutter hatte ja immer kleine Schwestern mit in die Familie gebracht, und die sahen gar nicht aus wie diese. Ich wollte zu dem grossen Fenster laufen und in die Nacht schauen, doch die Schwester hielt mich mit der Hand zurück und befahl mir, mich wieder hinzusetzen. Aber das Warten dauerte mir einfach zu lange, und ich rannte los, um die Tische herum und zum grossen Fenster. Mascha wollte mir nach, aber sie hatte noch zu kurze Beine. Ich kletterte auf das Fensterbrett, presste mein Gesicht an die kalte Scheibe und sah in die tiefe, dunkle Nacht hinaus. Ich konnte nichts erkennen. Mein Herz wurde schwer, und ich weinte.

      Die anderen Schwestern kamen zurück und stellten uns in eine Reihe. Nur Alioscha durfte sich auf den Tisch setzen. Eine der Schwestern musste mich vom Fenstersims holen, denn ich wollte von dort nicht mehr weg. Als sie mich zu packen versuchte, rannte ich los und schwupps, ging das Fangisspiel los. Da ich viel kleiner war als die Schwester, konnte ich unter den Tischen durchschlüpfen und ihr entkommen. Es war herrlich, so herumzutoben, schneller und flinker zu sein als die Frau in ihren schwarzen, langen Tüchern. Ich vergass meine Angst. Noch zwei Schwestern liessen sich von meiner Freude am Fangis anstecken, und das freute mich sehr. So hatte ich noch nie mit Grossen spielen dürfen. Die Krönung wäre gewesen, wenn auch die schwarzen Frauen sich getraut hätten, unter den Tischen durchzukriechen. Sie beugten sich aber nur unter die Tische, sodass ihre Köpfe ganz rot wurden, und riefen mir etwas zu. Aber ich verstand es nicht.

      Ein Mann spielte schliesslich den Köder: Er verführte mich mit Schokolade. Er schob mir kleine Stücke unter den Tisch. Süss schmeckten diese braunen Schokoladentäfelchen, und ich wollte noch mehr davon haben. Also kroch ich unter dem Tisch hervor. Es gab dann aber nur noch ein letztes, kleines Stück, bevor er mich packte, lachte und mich zurück in die Reihe zu meinen Geschwistern stellte. Die anderen bekamen jetzt auch Schokolade als Belohnung für ihr strammes Warten. Aber dann fing dieser Mann an, Alioscha anzufassen. Und so tanzte ich wieder aus der Reihe, um besser sehen zu können, was mit Alioscha geschah. Die schwarzen Frauen hielten Stifte in der Hand. Sobald der Mann etwas sagte, hatten sie allerhand zu schreiben. Auch das gefiel mir nicht. Ich fürchtete, sie könnten Alioscha damit zum Verschwinden bringen, dass man ihn am Ende nur noch auf dem Papier sehen könnte. Der Mann fuhr mit einem Kamm über Alioschas Köpfchen, starrte dann auf den Kamm, schüttelte den Kopf und lächelte Alioscha an. So wie er ihn anlächelte, war das ein gutes Zeichen für mich.

      Alioscha sollte auch den Mund aufmachen, was ihm nicht gefiel, und er weinte bitterlich vor sich hin, als der Mann ihm den Mund öffnete. Doch Alioscha, gar nicht dumm, biss ihm dafür mit seinen wenigen spitzen Zähnen den Finger wund. Ich war stolz auf ihn, weil er sich so gut wehren konnte. Es wurde noch allerhand an diesem kleinen, weinenden Kind herumgefingert und dann aufgeschrieben. Als sie damit fertig waren, nahm eine Schwester Alioscha auf den Arm und verschwand mit ihm. Es ging so schnell, dass ich nicht wusste, wohin. Ich spürte, wie mein Körper sich verkrampfte und mein Herz schreien wollte, aber nicht konnte.


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