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Kreuz Teufels Luder. Evelyna KottmannЧитать онлайн книгу.

Kreuz Teufels Luder - Evelyna Kottmann


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Reih und Glied gestanden, sauber geputzt und in vollem Glanz, jedoch alle mit hohen, spitzen Absätzen. Diese Schuhe waren pink, rot, himmelblau und schwarz. Dem Rabbi hatten sie einen besonderen Eindruck gemacht. Auf dem Tisch war laut dem Rabbi das reinste Chaos von Flaschen, Tellern, Tassen und Gläsern, halb voll mit Flüssigkeiten, die sich nicht zuordnen liessen. Der Raum roch nach Rauch, die Aschenbecher waren randvoll. Neben dem Ofen lagen Zeitschriften und Zeitungen, die nicht aussahen, als hätte man sie gelesen. An dem Ort, den die Frauen ihre Küche nannten, lagen Lippenstifte und Schminke.

      In Jakobs Ohren erzählte der Rabbi aus einer Wundertüte. Dieser Ort, wo seine Herzensdame wohnte, schien ihm höchst reizvoll zu sein. Er musste ihn mit eigenen Augen sehen, denn er wusste, dass der Rabbi gerne Geschichten erzählte und so einiges auszuschmücken pflegte. Solch eine Unordnung, wie er sie geschildert hatte, konnte bei einer so schönen Frau mit solch bunten, spitzen Schuhen doch nicht herrschen. Jakob unterbrach den Rabbi mit der Frage, was es denn mit dem Wohnwagen beim Haus auf sich habe. Aber Jakobs Eltern wollten nicht, dass man auch noch über den Wohnwagen redete. Ihnen war das Häuschen wohl schon genug, um zu wissen, mit wem ihr Sohn es zu tun gehabt hatte.

      Der Rabbiner jedoch fand, Jakob sollte wissen, dass der Wohnwagen den beiden Frauen als Arbeitsort diene. Aber Jakob verstand das nicht so recht. Der Rabbi erklärte weiter, die ältere Frau sei für ihre Liebesdienste bekannt. Und da Jakob ein junger Mann war und auch als Tagträumer nicht ganz weltfremd, sagte er: «Eine Hure!» Die Familienrunde erschrak ob diesem Wort, wie konnte der junge Jakob es nur laut aussprechen. Man war betreten und schaute beschämt zu Boden. Jakob kam es vor, als atme keiner mehr am Tisch. Was er mit diesem Wort bewirkt hatte, gefiel ihm. Für einmal hatte nicht er sich verkrampft, sondern alle anderen.

      Plötzlich aber schoss es ihm durch den Kopf, dass laut der Geschichte des Rabbi auch Lilith eine Hure sein musste. Bei diesem Gedanken begann das Bild der schönen Blonden mit den roten Lippen und Nägeln zu bröckeln. Der Gedanke an Lilith durchbohrte sein Herz wie ein Schwert. Jakob begann zu weinen. Er glaubte, sterben zu müssen, sollte Lilith eine Hure sein. Der Rabbi und die Eltern meinten, nun hätte Jakob seine Lektion gelernt.

      Jakobs Vater sprach mit dem Rabbiner ein Gebet, und kurz darauf verliess dieser das Haus. Jakob verzog sich in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Als alles ganz dunkel und ruhig war, schlich er sich in die Nacht hinaus, um in der Stadt das Abenteuer zu suchen. Er lief dorthin, wo er Lilith getroffen und die Schlägerei stattgefunden hatte, und trank ein Glas nach dem anderen, bis er den Schmerz nicht mehr spürte. Von nun an begann Jakob, noch früher am Tag und noch mehr zu trinken.

      Liliths Mutter

      Die Mutter spaltete Holz für den kleinen Ofen im Häuschen. Ein Bauer hatte das Holz für sie aus seinem eigenen Wald geholt. Es war die Bezahlung für die Liebesdienste, die Lilith ihm geboten hatte. Mit Geld konnte er sie nicht bezahlen, denn seine Frau durfte von seinem lustvollen Treiben natürlich nichts wissen. Aber die beiden Frauen in dem kleinen Häuschen mussten schliesslich auch über die Runden kommen. Und da sie keinen Zuhälter hatten, war das Geschäft mit der Liebe für sie nicht ganz einfach.

      Genau genommen war die Mutter die Zuhälterin, denn ­Lilith musste ihr das Geld, das sie verdiente, abgeben. Die Mutter sah nicht mehr so frisch aus wie Lilith, die Tochter war für die Männerwelt noch reizvoll. Lilith machte sich hübsch zurecht für die Männer. Sie wusch sich mit einer süsslich riechenden Seife, deren Duft die Männer mehr liebten als Parfüm. Lilith wählte ihre Aufmachung je nach Freier.

      An diesem Tag war hoher Besuch angesagt, und dafür putzte Lilith sich richtig heraus. Sie benutzte sogar Puder und schminkte sich ganz dezent. Ihr langes, blondes Haar band sie zu einem Pferdeschwanz. Sie benutzte rosa Lippenstift, den sie besonders liebte, denn das Rosa passte zu ihrem Gesicht. Sie zog fleischfarbene Strümpfe an, einen hellblauen Mini und eine rosarote Bluse. Und zum Schluss schlüpfte sie in die hellblauen, spitzen Stöckelschuhe. Lilith gefiel sich sehr.

      Während sie sich entzückt im Spiegel betrachtete, schweiften ihre Gedanken zu Jakob, der seit jener Nacht immer wieder in ihre Welt hineindrängte. Sie fragte sich, ob sie Jakob so wohl auch gefallen würde. Denn sie wusste über diesen Mann nur, dass er sich ihretwegen prügelte, was noch keiner für sie getan hatte. Dieser Gedanke weckte in ihr die Sehnsucht nach Jakob und den Wunsch, ihn wiederzusehen.

      Sie öffnete den Pferdeschwanz wieder, sodass die blonden Locken ihr Gesicht einrahmten und sie aussah wie in der Nacht, als sie Jakob getroffen hatte. Sie sehe aus wie ein Engel, hatte er zu ihr gesagt, und das gefiel ihr. Sie träumte davon, der Muttergottes auf dem Bild ähnlich zu sehen.

      Das laute Rufen ihrer Mutter riss sie aus ihren Träumen. Der hohe Besuch war da und verlangte nach ihr.

      Lilith vergass, ihr Haar wieder zusammenzubinden. Das gefiel der Mutter gar nicht, sie wetterte vor dem Besucher und jagte Lilith mit einem Holzscheit ins Haus zurück. Lilith machten die Ausbrüche der Mutter nichts aus, denn sie kannte von ihr nichts anderes. Jeder Kunde hatte seine Vorlieben, die man beachten musste, um ihn nicht zu verärgern. Und es war wichtig, dass jeder Kunde wiederkam. Dieser liebte es, wenn Lilith für ihn das kleine Mädchen spielte, und er bezahlte viel Geld für dieses Kinderspiel. Andere Kunden waren mit weniger zufrieden und nahmen Liliths Dienste auch nicht so ausgiebig in Anspruch wie dieser.

      Seit sie Jakob getroffen hatte, war Lilith oft in Gedanken versunken. Manchmal vergass sie, dass sie sich nicht für Jakob herausputzte, sondern für ihre Männerkundschaft.

      Lilith zog noch schnell die Lippen nach und trat wieder vor das Haus zu ihrem Besucher. Heute hatte der nicht allzu viel Zeit, und Lilith musste sich beeilen, um ihn zufriedenzustellen. Die Mutter ermahnte sie, ihn nicht zu verärgern, denn er zahle heute eine volle Stunde, obwohl er nur die halbe in Anspruch nehme.

      Lilith gefiel es gar nicht, wenn dieser Kunde mit wenig Zeit kam, denn dann war er besonders brutal. Sie mochte es viel lieber, wenn ihre Kunden Zeit hatten, dann waren sie meist liebevoll und redeten mit ihr. Dieser Kunde aber schlug dann so heftig zu, dass sie manchmal blutete am Ende. Sein Wunsch war, dass sie nicht schrie, obwohl ihr zum Schreien war. Sogar von draussen konnte man die Schläge hören, doch die Mutter verschwand dann immer im Häuschen und braute sich einen starken Kaffee mit einem grossen Schuss Kirsch.

      Lilith verschwand also mit dem Kunden im Wohnwagen, und die Mutter rief ihm noch nach, er solle nicht zu fest zuschlagen, da Lilith noch andere Arbeit vor sich habe. Nach einer halben Stunde ging der Mann wieder, doch Lilith kam erst nach einer Stunde aus dem Wohnwagen. Ihre Augen waren matt, der rosa Lippenstift verschmiert, ihr Haar durcheinander und ihr Körper gekrümmt. An ihrer rosaroten Bluse fehlten die Knöpfe, Laufmaschen liefen über ihre Strümpfe.

      Lilith wusste, dass sie sich nach getaner Arbeit nicht bei der Mutter ausheulen konnte, sie müsste gleich nochmals Schläge einstecken. Langsam ging sie ins Haus und wusch sich mit viel Seife. Manche Stellen an ihrem Körper taten so weh, dass sie zusammenzuckte und leise winselte. Die Mutter gab ihr einen stark gekochten Kaffee mit viel Kirsch und sagte: «Stell dich nicht so an, du bist keine Prinzessin. Eine Hure zu sein ist harte Arbeit und ehrlich verdientes Geld.»

      Der heisse Kaffee tat Liliths Lippen weh, doch der Kirsch nahm ihr bald die Schmerzen. Lilith dachte an Jakob, der nicht zugelassen hätte, dass man so schlecht mit ihr umging. Er hätte sich vor sie gestellt und sich mit dem Kunden geschlagen. Sie musste Jakob unbedingt wiederfinden.

      Der Mann, der sie so unmenschlich behandelte, war der Wirt und Veranstalter des Fasnachtsballs. Er hatte der Mutter von Lilith und Jakob erzählt, und sie freute sich gar nicht darüber. Lilith musste sich von der Mutter anhören, diesen Jakob könne sie gleich vergessen, da er ihr Geschäft ruinieren werde. Als Mutter bestimme sie, mit welchem Mann Lilith zusammen sein dürfe. Sie sei für ein Leben mit vielen Männern bestimmt, nicht für einen einzigen Mann, denn ihre Schönheit sei ihr nicht umsonst gegeben worden. Wäre das nicht Liliths Bestimmung, dann hätte sie bestimmt keine Tochter, sondern einen Sohn geboren.

      Lilith wusste selber nicht so recht, was sie mit Jakob und ihren Gedanken an ihn anfangen sollte. Sie kannte das schöne Gefühl, verliebt zu sein, nicht. In ihrer Welt sprach man nicht über solche Dinge, das passte nicht hinein.


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