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Kreuz Teufels Luder. Evelyna KottmannЧитать онлайн книгу.

Kreuz Teufels Luder - Evelyna Kottmann


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      Ich, Luisa, liebte meinen Bruder Arabat, der sehr ängstlich war, blond gelocktes Haar hatte und wie ein blasser Engel aussah. Wir lebten seit Kurzem in einem Häuschen am Dorfrand, auf einem Fabrikareal, wo es immer nach Eisen roch. Wir waren weggezogen aus einem Haus, das meine Mutter Lilith nicht behalten durfte. Denn es gab dort keinen Strom und kein Wasser, und es war nicht schön dort für uns Kinder.

      Ich war blondrot, klein, frech und grenzenlos lebendig. Arabat und ich stritten uns nicht, wir spielten miteinander, und ich gab den Ton an. Meine Mutter Lilith durften wir nicht stören, wenn sie Besuch von Männern hatte. Wir durften dann nur in unserem Zimmer sein. Arabat hielt sich an ihre Anweisungen, ich, Luisa, aber nicht. Mir war im Zimmer langweilig. Manchmal hatte ich Hunger, eigentlich immer, denn Mutter Lilith kochte selten für uns. Also musste ich mir selbst helfen und in der Küche nach etwas Essbarem stöbern. Tisch und Stühle halfen mir, in die höheren Gegenden zu gelangen. Am Abend vor dem Schlafengehen bekam Arabat immer noch Muttermilch. Arabat genoss diese Zweisamkeit am liebsten ungestört, weil die Mutter am Tag kaum Zeit für uns hatte. Ich gewährte ihm seine Zeit. Dieses Muttermilchritual gefiel mir nicht. Ich ertrug diese Nähe nicht.

      Mutter Lilith zwang mich manchmal trotzdem an ihren widerlichen Busen, an dem so mancher nuckelte und der so voller verschiedener Gerüche war. Da half nur kräftiges Beissen, um dieser Nähe zu entkommen. Sie suchte sie immer wieder, doch ihre Zuckerstimme nützte nichts und auch nicht ihr süsses Geschwätz: «Meine Prinzessin, mein Schätzeli und Zuckerpüppchen!»

      Arabat schlief oft an ihrem Busen ein. Mich brachte Lilith wortlos zu Bett, was wohl als Strafe gedacht war, weil ich ihren Busen ablehnte. Wir standen oft wieder auf, um hungrig in der Küche etwas Essbares zu suchen. Egal ob es ein Glas Gomfi war oder einfach ein wenig Brot, wir assen alles, was unsere Augen sehen und unsere Hände greifen konnten.

      Lilith war nachts auf der Jagd nach Männern, und wir waren allein. Wenn gerade ein Zuhälter bei uns wohnte, waren wir bei dem. Die Zuhälter hatten nicht viel übrig für uns Kinder. Sie sassen am liebsten vor einem Harass Bier und Frauen, die wir nicht kannten. Wir mussten nur leise genug sein, dann konnten wir machen, was wir wollten. Wenn kein Zuhälter da war und wir ganz allein waren, ging es laut zu und her. Die Küche wurde zum Bergsteigerparadies. Arabat und ich rückten den Küchentisch vor den grossen Schrank, wo Mutter Lilith meistens ein Kilo Zucker, Schokolade, Brot und verschiedene Gomfis aufbewahrte. Dazu eine Unmenge Raucherwaren und Flaschen mit stark riechendem Wasser, manchmal war es sogar farbig. Wenn wir es probierten, brannte uns der Mund, und wir mussten heftig husten. Und wenn wir zu viel von diesem Zeug getrunken hatten, mussten wir kötzeln. Um an die Flaschen heranzukommen, stellten Arabat und ich einen Stuhl auf den Tisch und auf diesen Stuhl nochmals einen Stuhl. Diese Sache mit dem Tisch und den Stühlen war unser Abenteuer. Wir waren auf Bergtour. Weil Arabat Angst hatte, den Berg zu besteigen, stürmte ich den Gipfel und fiel manchmal auch her­unter, wenn er zu beben anfing. Mit der Zeit aber wusste ich genau, wie ich mich hinaufbewegen musste.

      Die Nächte, in denen unsere Mutter auf der Jagd war, dauerten lange. Wir hatten viele Ideen, seilten die Flaschen an Schnüren herunter und wieder hoch auf den Gipfel – das war die Kunst des Gleichgewichts. So manche Flasche ging in die Brüche. Solange wir aber alles auf- und wegräumten, würde uns nichts geschehen. Das wussten wir. Oft war ich ganz klebrig von der Gomfi und dem Zucker, sogar meine Haare klebten. Mit der Zeit breitete sich auf meinem Kopf so etwas wie ein Filzteppich aus, denn Waschen war für uns nicht alltäglich, das machte man nur ab und zu. Da wir uns selbst überlassen waren, kam es auch gar nicht darauf an, was für Kleider wir trugen. Alles roch süss und manchmal auch leicht nach Urin. Durfte ich einmal in warmem Wasser baden, fand ich das schön, aber ich vermisste danach den Geruch nach Süssem und Urin. Diese Gerüche verliehen mir ein Wohlgefühl, und ich fühlte mich sicher in meiner Welt.

      Wenn wir unsere Bäuche gefüllt hatten, gingen wir schlafen, und ich wickelte mich in das klebrige, süss riechende Leintuch. Arabat wimmerte oft vor sich hin und lullte mich damit langsam in den Schlaf. Arabat war traurig, aber mir gab er mit seinem Wimmern das Gefühl, nicht allein zu sein. Arabat war der einsamste Junge, den es auf der Welt gab. Arabat und ich standen am Morgen immer allein auf, denn Mutter Lilith schlief meist noch und war manchmal gar nicht zu Hause. Dann fing die Suche nach Essen wieder von vorne an. Am Abend gingen wir mit den Kleidern ins Bett und standen am anderen Tag fer­tig angezogen wieder auf. Wir wechselten die Kleider erst, wenn Mutter Lilith endlich Zeit und Lust dazu hatte, uns frisch einzukleiden. Aber diesen frischen Geruch mochte ich nicht.

      Wenn am Morgen niemand zu Hause war, machten Arabat und ich uns auf den Weg in die grosse weite Welt hinaus, obwohl Mutter Lilith und Vater Jakob uns dies verboten hatten. Die Menschen, denen wir draussen begegneten, verstanden wir nicht. Und diese Menschen verstanden auch uns nicht. Die grosse Welt war uns fremd. Aber für mich war sie voller Reize. Ich war sehr neugierig und kannte keine Grenzen. Alles, was ich sehen, riechen und anfassen konnte, war für mich wie ein grosses Abenteuer. Bei diesen Ausflügen in die Welt hinaus konnte ich mein kleines Herz klopfen hören. Das gefiel mir sehr, und ich fühlte mich lebendig. Ich hatte keine Angst. Ich war dort draussen ganz zu Hause.

      Oft kam es vor, dass ich aus Gärten Blumen holte. Die Menschen, die mich dabei erwischten, waren lieb und lächelten mich an, auch wenn ich mit ihnen redete und wir uns nicht verstanden. Da ich ein kleines Mädchen war und sehr anders war als andere kleine Mädchen, hatte man nur Mitleid mit mir. Ich wurde sogar mit Essen belohnt. Es war viel besser als das, was ich zu Hause bekam. Ich genoss das Mitleid sehr. Es gab mir das Gefühl, alles nehmen zu dürfen und überall eintreten zu können.

      Mutter Lilith freute sich über die Blumen, die ich ihr von den verbotenen Ausflügen mitbrachte, ermahnte mich aber, zu Hause zu bleiben. Meine zerzausten Blumen standen dann im Wohnzimmer, und ich dachte, wie schön der Raum doch war und wie gut es roch. Weil die Blumen, die ich pflückte, im blauen Dunst einen guten Duft verbreiteten, gewöhnte ich mir an, nur solche Blumen zu pflücken, die besonders intensiv dufteten. Mutter Lilith wurde von den Leuten im Dorf oft aufgefordert, mir zu sagen, ich solle das Stehlen, wie sie es nannten, doch unterlassen. Meiner Mutter war das aber einerlei, denn ich wusste mich ja selbständig zu bewegen. So hatte sie ihre Ruhe und musste mich und meinen Bruder nicht beschäf­tigen.

      Einmal aber ging ich viel zu weit. Das brachte Mutter Lilith wieder das Sozialamt ins Haus, wovor sie grosse Panik hatte. Auf Entdeckungsreise im Dorf kamen wir wie so oft an einem Haus vorbei, das einen grossen Reiz auf mich ausübte. Ich wollte dort unbedingt die Umgebung erforschen, und da die Besitzerin immer sehr lieb war, dachte ich nicht an etwas Unrechtes. Es gab dort eine Scheune, an der ein Strauch mit lauter stark duftenden Blüten emporwuchs, und viele fleissige, summende, fliegende Tierchen kamen und gingen, woher und wohin wusste niemand. Mit meinen klebrigen Händen fing ich an zu buddeln, und Arabat half kräftig mit. Die Finger taten mir bald weh und verkrampften sich. Es stellte sich als zu schwierig heraus, den Strauch auszugraben. Er hatte so viele Wurzeln, die sich nicht aus der Erde lösen wollten. Der Strauch konnte nicht loslassen, und das ärgerte mich so, dass ich böse wurde und anfing, seine Blüten abzurupfen. Wütend zerstörte ich seine Wurzeln. Ich stopfte so viele abgerupfte Blüten in meine Kleider, wie ich nur konnte, und auch in die meines Bruders – egal, ob sie wieder herausfielen. Wir stopften uns richtig aus damit. Bald sah der Strauch erbärmlich aus, und mir kam es vor, als würde er weinen, ja sogar schreien, und da überkam mich ein ungutes Gefühl. So schnell und zielgerade waren Arabat und ich noch nie nach Hause gerannt, mit der Angst im Nacken, es könnte uns jemand folgen. Zu Hause angekommen, war ich gar nicht mehr so ausgestopft, und auch Arabat nicht. Es waren nur noch wenige Blüten da, die aber noch immer ihren intensiven Duft verströmten, und wir rochen beide so herrlich!

      Mutter Lilith, im Morgenrock, war diesmal gar nicht begeistert. Sie murmelte vor sich hin und nahm einen Schluck aus einer Flasche. Sie schloss uns im Zimmer ein, und da sollten wir bleiben. Vater Jakob war wieder einmal zu Hause, und ihm gefiel das nicht. Die beiden stritten sich laut, als wäre ein Gewitter ausgebrochen. Ich hörte, wie Tisch und Stühle krachten, verzweifelte Schreie – nichts, was mich ängstigte. Wenn die beiden zusammen waren, war das ihr Umgang miteinander. Arabat aber kroch dann immer unter die Decke, wo er für eine Weile blieb, so lange, bis Vater Jakob ins Zimmer trat und uns einen Würfelzucker gab. Ich wusste nicht, warum


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