Deutsche Gebärdensprache. Claudia BeckerЧитать онлайн книгу.
auf DGS unterhalten, wird festgestellt haben, dass – je nach Thema der Unterhaltung und Temperament der Beteiligten – ausladende Armbewegungen und lebendige Mimik gebärdensprachliche Unterhaltungen bestimmen. Auf den ersten Blick sieht es dabei manchmal so aus, als könne man selbst als völlig „unvorbelasteter“ Beobachter das eine oder andere verstehen oder doch zumindest einen Eindruck davon bekommen, worum es gerade geht. Die Räumlichkeit der Sprache und der Körpereinsatz auf der ganzen Linie legen darum zuweilen, wenn auch irrtümlicherweise, die Vermutung nahe, Gebärdensprache sei so ähnlich wie Pantomime. Abgesehen davon, dass beide auf ihre Art physische Formen der Kommunikation darstellen, unterscheiden sie sich doch grundlegend. Pantomime bildet komplexe Zusammenhänge bildlich ab. Dabei wird in der Regel der gesamte Körper eingesetzt. Gebärdensprachen sind jedoch natürliche Sprachen, die in ihrer medialen Realisierung zwar räumlich-visuell und somit sichtbar artikuliert werden, von ihrem Aufbau her jedoch wie Lautsprachen nicht ganzheitlich, sondern auf verschiedenen Ebenen systematisch aufgebaut sind. Wie Wörter zum Beispiel aus einer begrenzten Anzahl von Lauten zusammengesetzt sind, besteht ein Gebärdenzeichen aus einer limitierten Anzahl von Handformen. Es ist also in erster Linie nicht so sehr das Bild an sich, sondern sprachliche Gesetzmäßigkeiten, an denen sich der Aufbau einer gebärdeten Äußerung orientiert. Abgesehen davon lassen sich in DGS ganz abstrakte Inhalte vermitteln, für die es keine direkten bildlichen Vorlagen gibt, die man für die Gebärde benutzen könnte. So gibt es zum Beispiel Gebärden für abstrakte Ausdrücke wie ‚Glück‘, ‚Linguistik‘ und ‚philosophieren‘.
Nicht zuletzt ist bei Pantomime der gesamte Körper im Einsatz und auch der Raum, den der Darsteller einnimmt, ist dabei grundsätzlich nicht begrenzt. Bei gebärdensprachlicher Kommunikation hingegen werden sprachliche Äußerungen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur im Raum vor dem Oberkörper der gebärdenden Person artikuliert. Einfach ausgedrückt: Der Pantomime-Künstler läuft aufgeregt durch den Raum, der DGS-Nutzer produziert dagegen konventionalisierte sprachliche Zeichen und zeigt mit seinen Händen, wie eine Person aufgeregt durch den (Gebärden-)Raum läuft.
DGS ist nicht gebärdetes Deutsch
Manchmal werden wir gefragt, ob man in Gebärdensprache auch wirklich all das ausdrücken kann, was man auf Deutsch kommunizieren kann. Dahinter verbirgt sich im Grunde genommen die Annahme, dass die Deutsche Gebärdensprache so etwas wie „Deutsch auf Gebärdensprache“ oder „gebärdetes Deutsch“ ist. Wichtig ist zunächst einmal festzuhalten, dass es so etwas tatsächlich gibt: gebärdetes Deutsch bzw. Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG).
Bei Lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) handelt es sich um eine Kommunikationsform, bei der Deutsch gesprochen wird. Gleichzeitig werden zu allen oder oft auch nur zu einigen Wörtern Gebärden produziert. Manchmal werden Flexionsendungen der deutschen Wörter zusätzlich durch das Fingeralphabet visualisiert. Es handelt sich bei LBG nicht um eine eigenständige Sprache, sondern um eine (zusätzliche) Visualisierung von gesprochenem Deutsch. LBG werden deshalb vor allem benutzt, um das Verstehen von gesprochenem Deutsch zusätzlich zu unterstützen. Um einen LBG-Satz zu verstehen, muss man nicht nur die Gebärdenzeichen kennen, sondern auch mit der grammatischen Struktur der deutschen Sprache vertraut sein. Oft werden nur einige Schlüsselwörter in einem Satz mit Gebärden begleitet. Dies wird auch als Lautsprachunterstützende Gebärden (LUG) bezeichnet.
ICH | GEHEN | NACH | HAUSE |
ICH | NACH-HAUSE |
Abb. 2: Deutscher Satz mit LBG: ICH GEHEN NACH HAUSE (oben), DGS-Satz: ICH NACH-HAUSE („Ich gehe nach Hause“) (unten)
Für die LBG werden lediglich einzelne Gebärden aus der DGS entliehen. LBG folgen aber nicht der Grammatik der DGS (s. Abb. 2). DGS hat eine eigene Grammatik, die insbesondere die Möglichkeiten des visuellen Raums ausnutzt. Wie das genau aussieht, erklären wir in Kap. 2.2.
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