Musikeinsatz im Französischunterricht. Andreas RauchЧитать онлайн книгу.
Kriegs, die meisten Lehrwerke für den Französischunterricht gedruckt.4 Wie die christlichen Schulreformer August Hermann Francke und Christian Salzmann setzt sich Johannes Sturm dafür ein, dass für alle Unterrichtsfächer und auch Vorlesungen Lehrbücher bereitgestellt wurden.5 Der Humanist Sturm ist wie Philipp Melanchthon untrennbar verbunden mit der frühprotestantischen Pädagogik des 16. Jahrhunderts. Der Reformator Martin Bucer holte Sturm 1537 in die freie Reichsstadt Straßburg. Hier gründete Sturm ein Jahr später das Straßburger Gymnasium,6 das bis heute als Gymnase Jean Sturm fortbesteht; 1621 geht aus der Sturmschen Gründung die Straßburger Universität hervor.7 Johannes Sturms Gymnasium ist ein akademisches Gymnasium oder Gymnasium illustre; es fanden hier auch öffentliche, propädeutische Vorlesungen statt.8 Sturm kann somit zu Recht als „Vater des […] althumanistischen Gymnasiums protestanischer Prägung“9 bezeichnet werden. Seine Verwurzelung im Protestantismus und seine humanistische Tradition spiegeln sich in seiner Schul- und Unterrichtskonzeption, insbesondere im Sprachunterricht wider.10 Sein Programm der Neuordnung des Schulwesens stellt Sturm detailliert in der im Jahre 1538, also zu Beginn seiner Tätigkeit als Rektor des Gymnasiums veröffentlichten Schrift De literarum ludis recte aperiendis11 vor. Es handelt sich um einen detaillierten Lehrplan und eine umfassende Unterrichtskonzeption für das Straßburger Gymnasium.
Das Bildungsziel Sturms, das Matthieu Arnold als Widmung seinem Ausstellungskatalog jean sturm. Quand l’humanisme fait école.12 voranstellt, fasst das Ziel der Ausbildung am Sturmschen Gymnasium und damit die wichtigsten Elemente seiner Konzeption zusammen: „Propositum a nobis est sapientem13 atque eloquentem pietatem fine esse studiorum.“14 Neben dem Grundsatz der Frömmigkeit werden Vernunft und Eloquenz in Form der reinen und kunstvollen Rede hervorgehoben. Hier zeigt sich Sturms Modernität. Schule und Unterricht wurden nach Sturm folgendermaßen organisiert:
1 Die Schüler wurden im Alter von sechs Jahren aufgenommen. Darauf folgte ein fünfjähriger Besuch öffentlicher Vorlesungen. Die unterste Stufe ist dabei die neunte Klasse.15
2 Klassenlehrer (classici praeceptores) sind für den gesamten Unterricht des betreffenden Schuljahres verantwortlich. Fachprofessoren (publici professores) sollten öffentliche Vorlesungen in ihrer Disziplin halten. So garantiert Sturm eine Binnendifferenzierung in Lehre und Forschung.16
3 Der Unterricht folgt einer klaren äußeren Ordnung: „In allen Klassen wurden von Montag bis Samstag täglich jeweils fünf Unterrichtsstunden abgehalten, und zwar vormittags im Sommer von 6 Uhr bis 7 Uhr und von 8 Uhr bis 9 Uhr und im Winter von 8 Uhr bis 10 Uhr sowie nachmittags das ganze Jahr hindurch von 12 Uhr bis 2 Uhr und von 3 Uhr bis 4 Uhr. Die Unterbrechungen sollten den Schülern vermutlich Gelegenheit geben, Übungsaufgaben zu lösen. Dazu kamen noch besondere Stunden am Samstag und Sonntag für Religion und Kirchenmusik […].“17
Für Sturm stellt der Einsatz des Gesangs und musischer Elemente eine wichtige methodische Komponente des Unterrichts am Gymnase de Strasbourg dar und ist Teil des methodisch geordneten Unterrichtskonzepts. Dabei nimmt die frühzeitig beginnende Fremdsprachenausbildung eine Schlüsselrolle ein. Priorität gilt dem Sprechen.18 Sprachliche Bildung (linguae informatio) wird zur Schlüsselqualifikation der Persönlichkeitsbildung und des Weltwissens:
(1) Quare videndum est, ut prima liberorum aetatula mature ad linguae informationem dedatur. Ad loquendum enim homines quam ad cogitandum iudicandumque promptioram naturam habent et quod unicuique aptum est, ab eo principium in erudiendo debemus ducere. Sed ut loqui ita etiam recte facere pueri facillime assuescunt.19
Sturm unterstreicht die Bedeutung des Einprägens und Wiederholens und damit den schrittweisen Aufbau komplexer Kenntnisse.20 Alle Unterrichtsverfahren dienen dem Memorisieren und Nachahmen. Beispiele dafür sind das Anfertigen von Vokabellisten (diaria bzw. ephemeridae) in speziell geführten Vokabelheften (commentariolus), das Vortragen von Schulreden (declamationes), angeleitete Gespräche unter Schülern (confabulationes), Disputationen (disputationes) und das Theaterspiel (comœdiae et tragœdiae).21 Wesentliche Unterrichtstechniken waren das Psalmensingen (psalmodia), das Vorlesen biblischer Schriften (recitationes), das (angeleitete) Spiel (ludus),22 der Schülerwettstreit (aemulatio) und die Befragungen der Lehrer durch die Schüler innerhalb des Unterrichts (interrogationes). Schröder23 zeigt Sturms Mittlerrolle zwischen Tradition (Nachahmung im Rahmen der auf Einprägen ausgerichteten Unterrichtsweise) und Innovation (systematische Entwicklung und Anwendung des geordneten, stetig wiederholbaren Lehr-Lern-Verfahrens).
Einige dieser didaktisch-methodischen Verfahren nutzte Sturm in seinen Classicae Epistolae und verband diese mit dem Schultheater, wobei verschiedene Unterrichtsformen angewendet wurden, wie das Rezitieren von Texten und Dialogen oder das Singen von Liedern. Angela Weißhaar beschreibt, wie Studentenlieder und Dramen mit einer Moral am Ende des Stückes an der „humanistischen Schulbühne des Johannes Sturm in Straßburg aufgeführt wurden. Sie bildeten einen gewissen Kontrast zu deren didaktischen Elementen.“24
Die Rolle von musischen Elementen im Schultheater steht im Einklang mit der humanistischen Pädagogik der Renaissance. Bereits Luther hatte auf die prägende und erzieherische Rolle des Gesangs in der Lehrerausbildung hingewiesen.25 Dabei steht Sturm in Luthers Tradition und unterstreicht die Bedeutung des Gesangs im Unterricht im Jahr 1565 in einem Brief an den Gesangslehrer des Straßburger Gymnasiums Mattias Stiffelreuter. Sturm will „dessen Methode in den Strassburger Schulen für immer eingepflanzt sehen“26 und besteht darauf, dass singen (canere) keineswegs schreien (clamare) bedeute.27 Stiffelreuter unterstreicht hier, dass der (Schul-) Chor sich vor „dem Ueberschreiten der Grenze zwischen Gesang und Geschrei“ hüten möge, „und dass der Sänger das ästhetische Empfinden nicht nur der Ohren, sondern auch der Augen des Publikums“ respektieren soll.28
Die Bedeutung und Wertigkeit von Musik als Chorgesang emanzipiert sich in Sturms gymnase demnach erstmals von den klassischen, naturwissenschaftlichen Fächern, wie Weber detailliert darstellt: „La musique figure à part entière aux côtés de l’astronomie, de la géométrie, des mathématiques. Les instructions à l’attention des cantors et des instituteurs sont nombreuses et révélatrices de l’importance réservée à la musique.“29
Musikalische Elemente werden also bewusst und ganz natürlich in den Theaterstücken verarbeitet und mit Tanzelementen verbunden. Weber führt das auf die Tradition der humanistischen Schulgestaltung zurück:
La musique est tout naturellement intégrée au drame scolaire, en raison de l’importance qui lui est attribuée dans la pédagogie de l’époque en cause. Elle est présente dans les chœurs à la fin des actes (chorus canens par opposition au chorus loquens, chœur parlé). Elle se manifeste par une simple réplique chantée à une voix par les élèves, ou exécutée à quatre voix par le chœur, en style „note contre note“ qui est aussi le moyen des Odes humanistes et du choral protestant en Allemagne, du Psaume en France.[…]. Les acteurs [also die Schüler, A. R.] peuvent également danser; dans certains drames, des interludes orchestraux rehaussent l’atmosphère et servent d’obtenir le silence de la part des spectateurs; ceux-ci sont parfois appelés à chanter des chorals ou des pièces grégoriennes connues, notamment