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Genderlinguistik. Helga KotthoffЧитать онлайн книгу.

Genderlinguistik - Helga Kotthoff


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Arbeitsgruppen (1992) wurde auf die von den Studenten eingebrachten Themen stärker reagiert als auf die von den Studentinnen eingebrachten. Solche Subtilitäten sind kaum salient. In Schlyters Aufzeichnungen von Gleichstellungsverhandlungen für schwedische FormularentwicklerInnen zeigte sich, dass die Frauen ihre Kompetenzen weniger herausgestrichen und betont hatten als die Männer. Sie bezogen weniger Lohn, weil ihre Arbeit bei den Vorgesetzten nicht als genauso anspruchsvoll galt wie die der Männer. Schlyter verfolgte Gerichtsverhandlungen und zeigt, dass die Frauen andere verbale Selbstdarstellungstechniken verwendeten als die Männer (1992). In dem Prozess war Gender somit von großer Bedeutung. Trotzdem war die bescheidene berufliche Selbstdarstellung der Entwicklerinnen von Behördenformularen zunächst auch hier nicht salient. Sie setzten Gender durchaus thematisch relevant, weil sie ja für gleichen Lohn für gleiche Arbeit klagten. Dass sie außerdem noch Gender „taten/aufführten“, indem sie ihren Erfolg durch ihr eigenes konversationelles Auftretenkonversationeller Stil behinderten, erschloss sich erst durch Schlyters vergleichende Analysen.

      2.2.7 UnterbrechungUnterbrechung als doing gender?

      Zimmerman/West (1983, 1989) haben gesprächsstilistische Unterschiede, z.B. den hohen Einsatz von Unterbrechungen, unter „doing gender“ gefasst, obwohl auch hier im Gespräch selbst nicht darauf verwiesen wurde, somit also keine offene Orientierung an Gender deutlich wurde. Darauf werden wir im Kap. 13 zu Gender im Gespräch ausführlich eingehen. Der Fokus liegt sowohl bei Schegloffs als auch bei Zimmermans und Wests Ausführungen auf der Rekonstruktion von Verfahren des Anzeigens und Bermerkbar-Machens der sozialen Kategorie Geschlecht. Die Kriterien dafür sind beim Erstgenannten aber wesentlich rigider, weil er in der sozialwissenschaftlichen Rekonstruktion von doing gender einer offenen Ausrichtung an der Relevanz von Gender durch die Interagierenden habhaft werden möchte. Diese Ausrichtung auf Genderdifferenzen hin bleibt für die Interagierenden selbst aber oft versteckt hinter speziellen Stilphänomenen, Handlungsrollen oder Themen.

      Wests und Zimmermans breite Konzeption von doing gender ist einerseits brauchbarer, aber andrerseits auch problematisch, weil sie weiterhin meinen, doing gender an Einzelphänomenen festmachen zu können, die im Kern zunächst eher doing dominance bewirken (Kotthoff 1996a). Wer andere viel unterbricht, gibt sich dominant. Ist Dominanz immer an Männlichkeit gekoppelt?

      Sie zitieren Cahill (1986), dessen Kindergartenstudien eigentlich zu einer etwas anderen Sicht einladen. Er hatte herausgearbeitet, über welche Aktivitäten und Zuschreibungen Kinder Gender gestalthaft für sich selbst annehmen. So lernen kleine Jungen von etwa drei Jahren es als jungenhaft zu betrachten, dass sie die Umwelt offen manipulieren können und dass ihr Äußeres nicht so wichtig ist. Mädchen lernen z.B., dass die Ornamentierung des Körpers mädchenhaft ist. Der Umgang mit dem eigenen Äußeren und die Art des Einwirkens auf andere sind erste Genderperformanzen der Kinder (Kotthoff 1994b, 1996a). In Cahills Studie ist bemerkbar, dass das Sprachverhalten der Kinder im Einklang mit anderen semiotischen Codes (wie Kleidung) eine gestalthafte Genderisierung ergibt. Eine StilisierungStilisierung (Selbst- und Fremd-S.) von Feinheit und die Bedeutsamkeit der Gestaltung des Äußeren gehören in unserem Kulturkreis zu einer sichtbaren Kommunikation von Weiblichkeit. Kinder sind ja auf ihre Beobachtungen der Welt angewiesen. Dies deutet darauf hin, dass Gender gestalthaft kommuniziert wird, als ein Bündel verschiedener Ausformungen. Wir kommen in Kap. 11 darauf zurück.

      In den achtziger Jahren gingen Zimmerman und West als gradlinig angenommenen Rangordnungen im Gespräch nach, wie sie etwa mittels des Turn-Taking-Mechanismus herstellbar wären. Sacks et al. (1974) haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über das Rederechtsmanagement lokale Hierarchien hergestellt werden können. In ihrer Studie von 1983 fanden Zimmermann und West bei zufällig aufgenommenen, gemischtgeschlechtlichen Paaren 48 UnterbrechungenUnterbrechung ihrer Definition (Sprecheinsatz vor Redezug-Ende des vorherigen Sprechers). Davon wurden 46 von Männern ausgeführt. In ihrer zweiten Studie (1989) bei fünf Paaren von Unbekannten in einem Laborsetting fanden sie 75 % der insgesamt 28 Unterbrechungen von Männern realisiert. West und Zimmerman glaubten, damit ein alltägliches, direktes Verfahren des doing gender gefunden zu haben. So ein gradliniges doing gender als Verfahren maskuliner Dominanzherstellung müsste an auffälligen Frequenzen von beispielsweise Unterbrechungen oder Themensetzungen von männlicher Seite festmachbar sein, und das ist selten der Fall, wie wir in Kap. 12 sehen.

      Gleiches gilt für hohe Frequenzen von Fragen oder Vagheitsmarkierungen, die in der Forschung zunächst als Ausweise der Kommunikation von Weiblichkeit gesehen wurden (dazu auch Kotthoff 2006c). Unsicherheit kommuniziert aber nicht gradlinig Weiblichkeit. Noch nicht einmal die Herstellung von Dominanz lässt sich über ein konversationelles Verfahren allein bewerkstelligen, geschweige denn Geschlecht. Dass doing dominance mit doing masculinity einfach identifiziert wurde, macht einen weiteren Kritikpunkt an diesem frühen Konzept von doing gender aus.

      2.2.8 Gender als semiotische Gestalt

      Genderunterschiede in der Gestaltung des Äußeren (Frisur, Gesichtsgestaltung mit Bart und/oder Make-up, Kleidung) sind außerdem wesentlich offensichtlicher als Sprachverhaltensphänomene (dazu mehr in Kap. 12). Aber nicht einmal dieser Differenzbereich lässt sich einfach auf einer Machtskala abbilden, schließlich ist in den Kulturwissenschaften gut belegt, dass zumindest in vergangenen Jahrhunderten Höherstehende sich einer Semiotik von Feinheit bedienten (Veblen 1899/1997). Seit vielen Jahrzehnten schon sind Spitzen, Seiden und zarte Stoffe weiblich assoziiert. In Cahills Kindergartenstudie deutet sich schon an, dass Gender ein Gestaltphänomen ist, das unbedingt die Darbietung des Äußeren einschließt. Die Kommunikation von Männlichkeit und Grobheit überlappen sich sehr häufig, wie kürzlich Pujolar (2001) in einer Studie über zwei Jugendgruppen in Barcelona erneut gezeigt hat (mehr in Kap. 12). Kaum je „tut“ ein einziges Phänomen allein Gender.

      Wenn wir Gender als semiotische Gestalt konzeptualisieren, können wir auch erfassen, dass NeutralisierungsarbeitNeutralisierung auf einer semiotischen Ebene des Handels durch Differenzarbeit auf einer anderen Ebene prinzipiell ausgeglichen werden kann. Die Firmenleiterin setzt sich beispielsweise mit vormals männlich konnotierten Verhaltensweisen gut durch, gibt sich in ihrer Kleidung mit Stöckelschuhen und engen Röcken aber sehr weiblich. Wir können spezifische Transgender-IdentitätenTransgender beschreiben, die beispielsweise Bart und Augenmake-up kombinieren, wie Hall (2003) und Barrett (2017) ausführen. Außerdem wird Gender oft nur „mitvollzogen“ und wird nur mittelbar relevant, wenn etwas anderes zentral ist (ein anderes „doing“ bemerkbar im Vordergrund steht).

      Im Bezug auf Situationsbeeinflussung legen einige Studien nahe, dass doing being male oft mit hohen Direktheitsstufen beim Ausdruck von Dissens und Aufforderungen einhergeht (z.B. Goodwin 1990), sich insofern mit Dominanzgebaren überlappt. Klann-Delius (2005) fasst Untersuchungen zum Kommunikationsstil von Müttern und Vätern dahingehend zusammen, dass Väter gegenüber den Kindern häufiger direkte Befehle verwenden als Mütter. Trotzdem wird niemand eine sehr direkte Frau für einen Mann halten. Das heißt, die Beziehung ist weder exklusiv noch hinreichend. In Kap. 13 werden wir sehen, dass in der heutigen Arbeitswelt auch Männer Aufforderungen eher indirekt gestalten.

      Über Jahrhunderte hinweg diente die Etikette der Geschlechterbegegnung einer sehr hohen Relevantsetzung von Geschlecht und konstruierte den Unterschied vom sich um die Frau bemühenden Mann und der umworbenen Frau. Beide hatten komplexe Rituale einzuhalten und in allen Nuancen zu verstehen. Burmann (2000) hat ihrer Untersuchung dazu eine umfangreiche Materialbasis von etwa 170 Etikette- und Anstandsbüchern der letzten 250 Jahre zugrunde gelegt. Wenn der Herr der Dame Komplimente machte, dann tat er aus heutiger Sicht genauso Gender wie wenn er sie zum Tanz aufforderte und ein Angebot zur Begleitung machte. Das gesamte rituelle System symbolisierte die Frau als kostbar, moralisch hochstehend und verletzlich. Im Vergleich dazu wird bei Analysen heutiger Speed-dating-Veranstaltungen (Günthner/Franz 2012) deutlich, dass die Kommunikation von Genderdifferenz phasenweise weniger relevant ist.

      2.2.9 Undoing gender, Grade an SalienzSalienz und Verzicht auf Relevantsetzung

      Gegen die Omnirelevanzannahme


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