Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Für den Verkauf des Lehrbuchs waren das starke Argumente bei einer Schülerklientel aus den deutschen Oberschichten.
Der Illustrator spielt augenscheinlich mit Elementen, die im Versailler bzw. höfischen Kontext angesiedelt sind: das Schloss als kulturelles und politisches Zentrum der französischen Monarchie, die modische (und teure) Kleidung des Sprachmeisters, der außer der französischen Sprache auch französisch-höfisches Benehmen weitergeben möchte. Hinzu kommen der Titel des Lehrbuchs und die autobiographischen Elemente einschließlich des muttersprachliche Kompetenz signalisierenden Namens Des Pepliers, der zudem in die Ikonographie des Frontispizes aufgenommen wurde.5 Und doch veranschaulicht die Szene eher deutsche Wunschvorstellungen als einen realen Kulturtransfer.
Denn die Szene verbirgt eine grundlegende Ambivalenz. Es bleibt ungewiss, ob der dargestellte Prinz auf den Weg zur politischen Herrschaft geführt werden sollte, nämlich französischer König zu werden; die auf dem Umhang des kleinen Prinzen aufgebrachten heraldischen Blumenelemente sehen nur aus der Ferne wie Bourbonenlilien aus, sind aber bei näherem Hinschauen unspezifische Dekorelemente. Das Lehrbuch, das der Lernende in der Hand hält, war schließlich nicht für einen französischen Prinzen gedacht, sondern für deutsche Schüler; sie sollten durch das Erlernen der Fremdsprache Französisch in die (imaginierte) Nähe des Sonnenkönigs gelangen. Sprachliche Hilfestellung versprach ihnen der Autor in seiner vollständigen Berufsbezeichnung auf dem Titelblatt: „Informator der Frantzösisch und Teutschen Sprache“. Er bot sich also auch als Sprachmeister für die deutsche Sprache an.
2 Die Ursituation: Telemachos, Athene und Mentor
Ab der sechsten Auflage1 von 1701 (Abb. 2) ist die Fassade des Schlosses im Hintergrund wegretuschiert; das Bild zeigt eine nicht mehr lokalisierbare Gartenlandschaft, in der ein Brunnen sprudelt. Auch die hochstaplerische Berufsangabe „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“ fällt weg. Bestehen bleibt die mythologisch-allegorische Lehrsituation vor barocker Kulisse. Athene, die antike Schutzgöttin der Lehrer, führt einen Knaben an der Hand in die Mittelachse der Abbildung, in der eine Lehrperson im langen Gewand ihm ein Buch entgegenstreckt. Auch dieser Knabe ist durch Hermelinumhang und Krone als Prinz und durch das Personal als Lernender gekennzeichnet. Der Prinz ergreift das Buch, in dessen Verlängerung, im Schnittpunkt der Diagonalen, sich der Brunnen (der Weisheit oder der Erkenntnis) befindet, zu dem der Mentor mit dem Lehrbuch den kleinen Prinzen führt. Der Prinz muss die wuchtige Toranlage durchschreiten, welche die Grammaire Royale bildet und auf der immer noch die Allegorien von Fleiß und Ausdauer stehen. Gegenüber dem modischen Höfling aus dem ‚Versailles‘ von 1693 ist Mentor nun deutlich bescheidener gekleidet, mit längerem, einfacherem Gewand und einer Körpersprache, die statt der zierlich-galanten Tanzschritte eine angemessene Demutshaltung dem höher gestellten jungen Mann gegenüber ausdrückt: Das ist der Beginn einer schrittweisen Demontage des Sprachmeisters, die schließlich mit seiner vollständigen Entfernung aus den Frontispizen endet.
Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Völcker, 7. Auflage 1702.
In der Hochphase des französischen Kultureinflusses in Deutschland bringt diese Illustration die Werbestrategie des französischen Sprachmeisters höchst anschaulich zum Ausdruck. Die Szene illustriert einen Französischunterricht, wie ihn sich der zeitgenössische Französischlehrer im ausgehenden 17. Jahrhundert erträumte und auf dessen Wirkung bei den adligen (und zunehmend den bürgerlichen) Lernern er zusammen mit dem Verlag Völcker in der preußischen Hauptstadt setzte. Sie zielt auf die zentralen Motivationen für das Fremdsprache-Lernen in der Prinzenerziehung: Sie ist die Inszenierung einer hochprivilegierten Distinktion und Bildung. In dieser Sphäre des Pompös-Mythologischen sieht sich der Sprachmeister als unentbehrlicher Mitspieler. Er ist es, der den fürstlichen Knaben zu Erkenntnis und Wissen führt. Und es ist ein modernes Wissen, das kaum mehr etwas mit der lateinischen Sprache zu tun hat, die als Wissenschaftssprache immer noch dominierte. Nur die alteuropäischen Lerntugenden der Constantia und Diligentia erinnern die Lernenden noch daran, dass es ohne hartnäckigen, immerwährenden Fleiß beim Fremdsprachenlernen nicht ging. In diesem Milieu der adligen und hochbürgerlichen Lerner ist man sich des Beistandes der Götter und des irdischen Herrschers gewiss. Über allem schwebt das Wappentier des Hauses Hohenzollern, der heraldische Adler, der von vorne mit gespreizten Flügeln zu sehen ist und Unsterblichkeit und irdische Macht symbolisiert. Zum ersten Mal dringt in dieser Veröffentlichung des Berliner Völcker-Verlags das symbolische Repertoire eindeutig preußischer, nicht französischer Machtrepräsentanz in die Illustration. Unsterblichkeit und Macht gelten zugleich dem Schutz gewährenden brandenburgisch-preußischen Herrscherhaus und dem Lehrbuch der französischen Sprache, eine ungewöhnliche Usurpation des Machtanspruchs und eine höchst selbstbewusste Werbung für ein Lehrbuch.
Das Frontispiz, welches das Lehrbuch in den Auflagen von 1701 und 1702 schmückt, hat einen subtilen Subtext. Wie die autobiographische Bezeichnung Des Pepliers‘ als Hofmeister des Duc de Bourgogne spielt das Frontispiz an auf den Abenteuer-, Reise- und Bildungsroman Les Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse des französischen Schriftstellers François Fénelon. Dieser wurde von Ludwig XIV. zum Erzieher seines Enkels und eventuellen Thronfolgers, des Duc de Bourgogne bestimmt. Das 1699 veröffentlichte Buch war dem Illustrator der Ausgabe von 1693 allerdings noch nicht bekannt; erst die Auflagen von 1701 und 1702 konnten darauf Bezug nehmen. Darin führt der Autor den jungen Odysseus-Sohn Telemachos und dessen Lehrer Mentor (in dem sich Minerva alias Athene verbirgt und der das Sprachrohr Fénelons ist) durch diverse antike Staaten, die ähnliche Probleme hatten wie das in Kriege verstrickte und verarmende Frankreich der 1690er Jahre. Das Buch wurde nicht nur von Fénelon zur Erziehung des Herzogs von Burgund benutzt, sondern war auch ein überragender Erfolg in ganz Europa, nach dem schnell überall Französisch gelernt wurde.
Mit Athene, Mentor und Télémaque erhält die Illustration eine sowohl antike, auf die Odyssee als auch eine zeitgenössisch französische, auf Versailles bezogene und mit dem Hohenzollern-Adler eine mit dem preußischen Herrscherhaus verbundene Dimension. Diesen dreifachen Kontext aktiviert das Lehrbuch für eine Klientel, die zunehmend die französische Sprache als Vehikel für die Annäherung an griechische Mythologie2 und an französische Elitenkultur sowie für die Identifikation mit der erstarkenden europäischen Mittelmacht Brandenburg-Preußen betrachtete, denn 1701 wird Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg zum König in Preußen gekrönt. Mit dem Kauf von Des Pepliers’ Lehrbuch tritt der Schüler in die Fußstapfen des lernenden Prinzen und erfährt eine Ansehenserhöhung, die ihm der Autor in der Identifikation mit Télémaque bzw. mit der Annäherung an den von Fénelon unterrichteten Duc de Bourgogne verspricht. Die suggestive Wirkung der Illustration wird durch die Rückenansicht der zentralen Figur erzeugt; sie ist seit Giotto ein bewährtes Gestaltungsprinzip der europäischen Kunstgeschichte und lädt den Betrachter ein zu einer Gleichsetzung mit dem lernenden Prinzen - eine geniale Marketingaktion, die man durchaus bei der Frage nach dem durchschlagenden und langanhaltenden Erfolg dieses Lehrbuches mit heranziehen kann.
Mentor, der Prinzenerzieher und Sprachmeister, versinnbildlicht mit der Übergabe des Lehrbuchs eine moderne Bildung, die sich von den lateinischen Inschriften der Allegorien abhebt. Gegenüber der Hauptinschrift „Grammaire Royale“ im Mittelpunkt der Abbildung ist die lateinische Sprache an den Rand gerückt. Das moderne Französisch steht im Zentrum und wird durch die Allianz von Distinktion und Bildung mit einer pomphaft-mythologischen Aura versehen. Erworben wird freilich das Lehrbuch von einer zahlungskräftigen Kundschaft. Die Diskrepanz zwischen dem angezielten Versprechen im mythologischen Gewand und der im Bild unterschlagenen banalen Realität der Kauferwartung gibt der Darstellung etwas Zwiespältiges, wenn nicht gar Verlogenes. Nichts war der ökonomischen Lage eines Sprachmeisters in Deutschland entfernter als der Luxus und die Verschwendung des Sonnenkönigs. Schon eine teure Allonge-Perücke hätte er sich kaum leisten können. Als meist ,ungelernte‘ Arbeitskräfte und ,Ausländer‘ hatten Sprachmeister eine in Deutschland häufig unsichere Position und vielfach keine Zunft- oder Bürgerrechte, dafür aber ein hohes Interesse daran, ihre soziale Position durch die Zuweisung prestigefähiger Berufsbezeichnungen und Tätigkeiten sowie ihren Lebensunterhalt durch die Auflagenhöhe ihrer Lehrbücher zu verbessern.
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