Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Perspektivenwechsel von der Lerner- zur Lehrersicht vorzunehmen. Da diese Anbahnung des Perspektivenwechsels in vielen Fällen in der Fachdidaktik im Modus einer Einführungsvorlesung geschieht, in der ausgewählte, fachdidaktische Kernkonzepte vorgestellt werden, müsste die Vorlesung, wenn man die o.g. Prinzipien ernst nimmt, so gestaltet werden, dass die Aneignung der Konzepte parallel zu einer systematischen Bearbeitung der mitgebrachten Erfragungen und Konzepte erfolgen kann. Fehlt eine solche Bearbeitung, dann ist mit gutem Grund zu vermuten, dass die vermittelten Konzepte und die mit ihnen anvisierten Lehrhandlungen zwar theoretisch einleuchtend sind, letzten Endes aber „träges Wissen“ (Gräsel/Mandl 1999) bleiben und nicht als Erklärungsoptionen und Handlungsmöglicheiten in das berufliche Selbstverständnis integriert werden (Knorr in diesem Band, Schocker-v. Ditfurth 2001). Die Vorlesung müsste deshalb so konzipiert werden, dass sie sowohl auf der Microebene, d.h. in der Vorlesung selbst, als auch in ihrer Peripherie durch Arbeitsgruppen und Tutorien dialogische Arrangements bereithält, in denen die zukünftigen Lehrkräfte, etwa durch entsprechende Aufgaben, angeleitet werden, sich des mitgebrachten Erfahrungswissens bewusst zu werden und dessen Facetten zusammen mit anderen im Lichte (neuer) fachdidaktischer Konzepte zu erkunden. Den Erkenntnisgewinn aus einem solchen Austausch könnten die Studierenden in doppelter Weise nachweisen: durch einen Wissenstest, der den Erwerb der Konzepte dokumentiert und durch ein Portfolio, in dem sie ihren Lernprozess in Hinblick auf ausgewählte Konzepte und Ereignisse erörtern.
Über eine solche Einführungsvorlesung hinaus steht die Lehrerbildung generell vor der Aufgabe, Vorstellungen, Erwartungen und Visionen, die eigene Tätigkeit betreffend, zum Gegenstand gemeinsamer und individueller Arbeit zu machen. Einen Ansatzpunkt dazu bieten videographierte Ausschnitte aus dem Unterricht, denen wir uns nun zuwenden.
3.2 Der dokumentierte Unterricht
Die technologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre mit der Digitalisierung der Videographie und den Möglichkeiten der Anlage von Videodatenbanken, etwa in Verbindung mit Open Source Lern-, Informations- und Arbeitskooperationsystemen wie Ilias oder Moodle, haben neue und leicht nutzbare Möglichkeiten der systematischen Integration von dokumentiertem Fremdsprachenunterricht in die Lehrerbildung eröffnet. Kurze Videosequenzen, ggf. in Verbindung mit entsprechenden Kontextdaten zur Lerngruppe, zum Curriculum und zu unterrichtsbezogenen Produkten (unterschiedliche Lerner- und Lehrertexte) erlauben Einblicke in die komplexen Prozesse des Lehrens und Lernens. Der Dialog über solche Dokumente hilft zum einen die „professionelle Unterrichtswahrnehmung“ von zukünftigen Lehrkräften auszubilden, wie Gießler mit seinem Beitrag zu dem vorliegen Band nachweist. Zum anderen können über Prozesse der Rekonstruktion und Kontextualisierung einzelner Sequenzen nicht nur Brücken zwischen unterrichtlicher Praxis und theoretischen Konzepten geschlagen, sondern auch begründete Alternativen gemeinsam entwickelt werden. Lehrerbildung hat so die Chance, den sozialen Ort Klassenzimmer mit seinem dynamischen Geschehen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Die intensive Auseinandersetzung mit dokumentiertem Unterricht kann es zukünftigen Lehrkräften erleichtern, die widersprüchlichen Anforderungen von Praxis zu erkennen und auch zu handhaben (etwa das Nichtplanbare zu planen). Unter welchen Bedingungen das gelingt, gehört allerdings zu jenen Fragen, die der empirischen Erforschung harren.
Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine systematische Arbeit mit dokumentiertem Fremdsprachenunterricht in diskursiv-dialogischen Formen und im Lichte von Theorien und Konzepten erfolgen muss, damit Studierende eine multiperspektivisch informierte Sichtweise auf das Fremdsprachenklassenzimmer entwickeln. Die Arbeitsformen müssen zugleich integraler Bestandteil der Lehr- und Lernarchitektur sein und den jeweiligen Ausbildungsphasen entsprechen; so wird der Dialog über Unterricht im Kontext einer Einführungsvorlesung ein anderer sein, als der nach dem Fachpraktikum. Zweifellos sind in der Ausbildungspraxis an vielen Standorten Spielarten dialogischen Lernens entwickelt, erprobt und gelegentlich auch dokumentiert worden. Die forschungsbasierte Diskussion steckt jedoch noch in den Anfängen, weshalb den Beiträgen von Knorr und Abendroth-Timmer/Schneider in diesem Band unter diesem Gesichtspunkt ein besonderes Gewicht zukommt. Für den Bereich der Fortbildung sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Studie von Wipperfürth (2016) verwiesen, die den Austausch in Lerngemeinschaften bereits praktizierender Lehrender untersucht, sowie auf den Beitrag von Mohr/Schart.
3.3 Der beobachtete und praktizierte Unterricht
Fachpraktika werden seit Jahrzenten als Kernelemente des Professionalisierungsprozesses verstanden, ihre praktische Realisierung jedoch in den wenigen vorliegenden Studien massiv kritisiert; eine gelungenere Verknüpfung von Theorie und Praxis wird ebenso bezweifelt wie die Annahme, Praktika hätten positive Effekte auf die Entwicklung der Reflexionskompetenz der Studierenden (Gabel 1997; Elsner 2010; Hascher 2012). Fachpraktika, die an vielen Standorten mittlerweile zu Praxissemestern erweitert wurden, könnten jedoch als organisierende Mitte des Studiums fungieren (Schocker-v. Ditfurth 2001), wenn mindestens zwei Bedingungen erfüllt sind: (1) wenn die verschiedenen Phasen des Praktikums (Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung) nicht nur aufeinander bezogen sind, sondern „durch fokussierte Impulse, Aufgaben und Materialien Lerngelegenheiten zur Entwicklung reflexiver Handlungskompetenz“ anbieten (Schädlich 2015: 260) und dabei Formen des forschenden Lernens nutzen; (2) wenn sie sowohl in die Lehrpraxis der bildungswissenschaftlichen Anteile des Studiums als auch in die Lehre der Fächer integriert sind. Die verschiedenen Erscheinungsformen von Unterricht, als geplanter, beobachteter und selbst gehaltener bilden den zentralen Gegenstand der gemeinsamen Arbeit, der sich allerdings nur in dialogisch-diskursiven Lernformen entfaltet. Solche gilt es zu systematisieren und ihre Bedeutung für die Kompetenzentwicklung zu untersuchen (vgl. Schädlich 2015).
Ergänzend zum Praktikum, in dem die Studierenden zunächst einmal die Routinen des Regelunterrichts erkunden und sich verständlicher Weise bei ihren ersten Schritten als Lehrende in die vorgefundenen Bedingungen einpassen müssen, sollen hier Formen dialogischer Praxis erwähnt werden, in denen Studierende in der Masterphase mit Lehrkräften kooperierender Schulen gemeinsam Unterrichtsprojekte planen und teilweise realisieren und dabei Handlungsspielräume ausloten können; der geplante und praktizierte Unterricht wird Gegenstand forschenden Lernens (Schocker-v. Ditfurth/Legutke 2002; Legutke 2003). Lernplattformen wie Moddle und Ilias erleichtern solche Formen der Kooperation; ein vielversprechendes Forschungsfeld für zukünftige Untersuchungen zur Entwicklung von Professionalität (Benitt/Schmidt 2016).
3.4 Der antizipierte Unterricht
Auch in den einzelnen Phasen der schulpraktischen Studien spielt natürlich der antizipierte Unterricht (als Plan, Entwurf, als Ensemble von Themen, Texten und Aufgaben) eine Rolle und ist damit auch Gegenstand der gemeinsamen Arbeit. Wir wollen hier jedoch auf jenen antizipierten Unterricht fokussieren, der im Zusammenhang von Mastermodulen und ihren Arbeitsarrangements, den zentralen Gegenstand fachdidaktischen Bemühens ausmacht. Gemeint sind die Ideen und Pläne, die die Studierenden beispielsweise im Zusammenhang mit literarischen Texten, mit landeskundlichen Themen, mit der Erörterung von Lernaufgaben oder der Schulung bestimmter Teilkompetenzen entwickeln, präsentieren und unter Rückgriff auf fachwissenschaftliche und fachdidaktische Wissensbestände begründen. Wir weisen der dialogischen Befassung mit antizipiertem Unterricht aufgrund unserer Lehrerfahrung eine Schlüsselfunktion für die Ausbildung von Professionskompetenz zu, wohl wissend, dass die konkreten Formen des Dialogs bestenfalls anekdotisch oder als Erfahrungsberichte zugänglich sind und bislang einen weißen Fleck in der akademischen Lehre darstellen. Und das gilt im Übrigen für die Hochschullehre insgesamt (vgl. Legutke 2013).
3.5 Der Unterricht an der Hochschule
Die Räume an der Hochschule, in denen angehende Fremdsprachenlehrkräfte lernen, dürfen nicht mit den schulischen Klassenzimmern gleichgesetzt werden, in denen Fremdsprachenunterricht stattfindet. Gleichwohl weisen beide Lernorte in ihren jeweiligen Settings, ihren Lernanlässen, Aufgaben, Unterstützungssystemen und Interaktionsformen viele Parallelen zueinander auf. Hochschulen sind als Lernorte zur Professionalisierung dazu prädestiniert, ihr Verhältnis zu den künftigen beruflichen Aufgaben der Studierenden immer wieder aufs Neue zu bestimmen. In jeder Lehrveranstaltung sollten die Zusammenhänge von Inhalten und Prozessen transparent gemacht werden, indem die