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Didaktik und Neurowissenschaften. Michaela SambanisЧитать онлайн книгу.

Didaktik und Neurowissenschaften - Michaela Sambanis


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einen Text an die Tafel schreibe, den die Klasse abschreiben soll. Dann wird es, was ja manchmal vorkommt, wenn man sich als Lehrer auf die Tafel konzentriert, hinter mir laut, aber ich interveniere nicht verbal, sondern schreibe einfach mitten in den Satz hinein das StilleStille-WortStille-Wort, sagen wir Hängebauchschwein. Jede Wette, dass die Hälfte es schon abgeschrieben, hat, bevor sie merken, dass Hängebauschwein gar nicht in den Kontext passt, sondern eine subtile Botschaft ist und zugleich ein Beleg dafür, dass die Konzentration nicht ausreichend hoch ist. Ich denke, das kann man mit der richtigen Mischung aus Ernst und Humor dann dazu nutzen, dass die Klasse sich daran erinnert, dass bei Aufgaben, bei denen Sprache im ArbeitsgedächtnisArbeitsgedächtnis gehalten werden muss, also z.B. beim Abschreiben, weniger LärmLärm mehr bringt.

      2.5.2 Nutzung alternativer Hirnstrukturen und StrategienStrategien

      Dass bei Kindern bestimmte Gehirnstrukturen noch nicht so ausgebildet sind wie bei Erwachsenen, führt nicht nur zu Unterschieden innerhalb der einzelnen Bereiche im Sinne einer teilweise globaleren oder flexiblen bzw. störanfälligen Arbeitsweise. Einige Dinge können Kinder überhaupt nicht bewältigen – ja manchmal nicht einmal verstehen – da es noch keine RepräsentationRepräsentation dafür in ihren Gehirnen gibt. Bei anderen Aufgaben verwenden Kinder andere Hirnareale für die Bearbeitung als Erwachsene, mit der Konsequenz, dass sie zu einem anderen Ergebnis kommen.

      Ein sehr frühes Beispiel hierfür ist die Fähigkeit von Kindern, sich einen Ort zu merken. Bis zum Abschluss des ersten WachstumsschubesWachstumsschub des Gehirns, also etwa bis zum Alter von 3 ½ Jahren können sich Kinder die räumliche Lage eines Ortes, an dem z.B. eine Belohnung versteckt ist, nur schlecht merken. Wenn alle Orte gleich aussehen und sich nur in ihrer Position unterscheiden (z.B. Vertiefungen, die alle durch gleich aussehende Deckelchen abgedeckt sind), finden die Kinder die Belohnung kaum. Wenn der Ort gesondert markiert ist, etwa durch ein zusätzliches Objekt oder eine bestimmte Deckelfarbe, finden die Kinder die Belohnung verlässlich (vgl. Ribordy, Jabès et al. 2013). Letztlich ist das ein Hinweis darauf, dass Kinder die räumlichen Positionen entweder nicht erinnern oder die Erinnerung nicht nutzen können, um versteckte Gegenstände zu finden. Offensichtlich fällt es ihnen aber leicht, die visuellevisuell Objekterkennung zu nutzen, um den Ort wiederzufinden, an dem ein Gegenstand versteckt ist. Objekterkennung wird von Hirnregionen geleistet, die im TemporallappenTemporallappen liegen. Räumliche Positionen und räumliche Beziehungen werden dagegen im ParietallappenParietallappen verarbeitet. Letztere Informationen stehen für die Suche nach versteckten Objekten scheinbar noch nicht bzw. nur stark eingeschränkt zur Verfügung.1

      Aber nicht nur bei den ganz kleinen Kindern stehen bestimmte Areale für bestimmte Aufgaben noch nicht zur Verfügung.2 So können auch Kinder vor dem dritten WachstumsschubWachstumsschub des Gehirns, also vor dem Alter von 11 bis 12 Jahren auf bestimmte Funktionen nicht so zugreifen wie Erwachsene, weil die entsprechenden Areale oder Verbindungen zwischen Hirnbereichen noch nicht ausgereift sind.

      Beispielsweise nutzen Erwachsene bei der Entscheidung, ob ein Objekt unter natürlichen Bedingungen in einer bestimmten Farbe vorkommt, AssoziationsarealeAssoziationsareale im ParietallappenParietallappen und im präfrontalen Cortexpräfrontaler Cortex. Kinder im Alter von 8 bis 11 Jahren dagegen nutzen für dieselbe Aufgabe Hirnbereiche, die früheren Verarbeitungsstufen entsprechen: die sekundären visuellenvisuell Areale (vgl. Maril et al. 2011). Die Nutzung unterschiedlicher Hirngebiete bei der gleichen Aufgabe hat zwei Auswirkungen: Zum einen machen die Kinder insgesamt mehr Fehler. Zum anderen berichten Kinder häufiger als Erwachsene, dass sie sich in ihrer Entscheidung unsicher sind und zwar selbst dann, wenn sie eigentlich die richtige Antwort gegeben haben. Die Unsicherheit ist darauf zurückzuführen, dass die WahrnehmungsarealeWahrnehmungsareale, die die Kinder zum Lösen der Aufgabe verwenden, nur eingeschränkt dem Bewusstsein zugänglich sind. Natürlich werden wir uns vieler Dinge bewusst, die unsere Sinne aufnehmen. Das liegt aber daran, dass unsere Wahrnehmungsareale sie sozusagen aktiv an die Assoziationsareale „weiterreichen“, deren Inhalte unserem Bewusstsein zugänglich sind.3 Vieles von dem, was unsere Wahrnehmungsareale verarbeiten, wird uns aber überhaupt nicht bewusst. Dementsprechend ist es schwierig, auf die Informationen und Zusammenhänge zuzugreifen, die nur in den primären und sekundären Wahrnehmungsarealen abgelegt sind und keine Entsprechung in den Assoziationsarealen haben. Das bedeutet, dass es nur schlecht gelingt, sich diese Inhalte und Zusammenhänge bewusst zu machen oder sie willentlich zu erinnern. Das dort gespeicherte Wissen ist, wenn wir es denn abrufen können, eher „gefühltes“ Wissen und wird nicht als tatsächlich sicher „gewusst“ empfunden. Und genau das macht das Gefühl der Unsicherheit bei den Kindern in der oben beschriebenen Untersuchung aus. Als Erwachsener hat man ein solches Gefühl auch gelegentlich, z.B. wenn man in einer Stadt, die man nur flüchtig von einem lange zurückliegenden Besuch kennt, seinen Weg sucht. Bestimmte Ecken und Straßen scheinen vertrauter als andere: „Ich glaube, wir müssen da lang.“ – Aber so ganz sicher ist man sich nicht und die Wahrscheinlichkeit einen Fehler zu machen, also sich zu verlaufen, ist ziemlich hoch.

      Im Grunde spiegelt die unterschiedliche AktivierungAktivierung der Hirnregionen nur das wider, was Pädagoginnen und Pädagogen, Entwicklungspsychologinnen und Entwicklungspsychologen häufig beobachten: Das Wissen von Jugendlichen und Erwachsenen ist, als semantische Information gespeichert, ein mehr oder weniger abstraktes Wissen, abgelegt in Form von Symbolen (in den Assoziationsarealen), die es erlauben, vielfältige theoretische und abstrakte Gedankenspiele damit zu treiben, neue Verknüpfungen herzustellen, deduktivdeduktiv Schlüsse zu ziehen usw. Zudem kann man über dieses Wissen berichten, sich mit anderen austauschen und es reflektieren, sodass man weiß, wie gut man sich auf einem bestimmten Gebiet auskennt. Das Wissen von Kindern dagegen ist überwiegend der Wahrnehmung verhaftet. Es handelt sich um anschauliches Wissen und sehr konkrete, in der realen Welt erfahrbare Zusammenhänge. Sehr vieles wird von Kindern gewusst und kann auch angewendet werden, ohne dass die Kinder einen direkten, bewussten Zugang dazu hätten oder ohne weiteres in Worten darüber berichten könnten.4

      Während bei manchen Aufgaben Kinder und Erwachsene unterschiedliche Hirnstrukturen nutzen, werden bei anderen, ganz ähnlichen Aufgaben die gleichen Strukturen aktiv: Kernspinuntersuchungen (vgl. Golarai et al. 2007) zeigen, dass Kinder und Jugendliche für das Wiedererkennen von Objekten dieselben Hirnareale nutzen wie Erwachsene (z.B. den seitlichen OkzipitallappenOkzipitallappen, also Bereiche, die zum SehsystemSehsystem gehören) und ähnliche Leistungen erbringen. Beim Wiedererkennen von Gesichtern und Orten (Landschaften) dagegen schneiden Kinder (7 bis 11 Jahre) und Jugendliche (12 bis 16 Jahre) schlechter ab. Die schlechten Leistungen gehen damit einher, dass die Bereiche, die bei Erwachsenen derartige Informationen verarbeiten, bei den Kindern deutlich und bei den Jugendlichen etwas kleiner sind als bei Erwachsenen. Es handelt sich um die Gesichtserkennungsregion auf dem Gyrus fusiformis im TemporallappenTemporallappen, die auch fusiform face area genannt wird, und um die Ortsregion, die etwas weiter vorne im Temporallappen liegt und wegen ihrer Nähe zum HippocampusHippocampus als parahippocampal place area bezeichnet wird.5 Während der Entwicklung im Jugendalter ist eine Vergrößerung dieser Hirnareale zusammen mit einer Verbesserung der Leistungen zu beobachten.

      Nun sollte man ja denken, dass Kinder diese noch unreifen Regionen nicht so stark nutzen und auf andere Areale zurückgreifen. Das ist aber seltsamerweise nicht immer der Fall. Kinder (8 Jahre und 10 bis 11 Jahre) nutzten in einer Studie sowohl für das Wiedererkennen von Bildern (Zeichnungen verschiedener Tiere, Objekte und Körperteile, entweder in rot oder in grün dargestellt) als auch für den Abruf zusätzlicher Detailinformationen zu den Bildern (der Farbe der Zeichnung) dieselben, noch kleinen und unreifen Hirngebiete im TemporallappenTemporallappen (vgl. Ghetti, DeMaster et al. 2010). Vierzehnjährige und junge Erwachsene nutzten diese Areale nur für den Abruf der Detailinformation, das eigentliche Wiedererkennen dagegen hing mit Aktivierungen im präfrontalen Cortexpräfrontaler Cortex zusammen. In der Studie wurde sichergestellt, dass die Kinder und Erwachsenen die Farbe berücksichtigen, indem mit der Farbe eine Aufgabe verbunden war: Waren die Zeichnungen in der einen Farbe dargestellt, musste entschieden werden, ob das Dargestellte im Haus vorkommt oder nicht (Ja-Nein-Antwort), bei der anderen Farbe ob das Dargestellte belebt oder unbelebt ist (wieder Ja-Nein-Antwort). Möglicherweise hat diese semantische Aufgabe dazu geführt, dass bei Erwachsenen und auch bei den Jugendlichen eine zusätzliche KodierungKodierung


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