Stil und Text. Michael HoffmannЧитать онлайн книгу.
Michael Hoffmann
Stil und Text
Eine Einführung
A. Francke Verlag Tübingen
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© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0017-5
Vorwort
Texte können ganz unterschiedlich verfasst sein: dienstlich oder privat, wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich, witzig, ironisch, satirisch oder von neutralem Ernst getragen, religiös oder politisch, dogmatisch oder liberal, poetisch oder nichtpoetisch usw. Es handelt sich um Gestaltungsalternativen oder – bildlich formuliert – um verschiedene Farben, in die Texte getaucht werden können. Besser gesagt: Farben, in denen Texte erscheinen können. Denn es gibt streng genommen kein Nebeneinander von Text und Stil im Sinne einer Gegenüberstellung. Es gibt vielmehr nur ein Ineinander: Stil ist ein integraler Bestandteil von Texten – ein Textualitätsmerkmal. Wer Texte produziert, stellt immer zugleich auch Stil her. Stil wird Texten nicht hinzugefügt.
Stil ist ein Chamäleon, lautet ein vielzitierter Satz in der stilistischen Fachliteratur. Doch stimmt dieses sprachliche Bild uneingeschränkt? Es stimmt immer dann, wenn man den universellen Charakter von Stil herausstellen will – seine Fähigkeit, sich anzupassen an die verschiedensten kommunikativen Bedürfnisse, Aufgaben und Situationen, an die Verfasser und Rezipienten von Texten, an den Zeitgeist, an mediale Gegebenheiten, an vieles mehr. Diese Anpassungsfähigkeit hat zur Folge, dass es verschiedene Stile gibt und somit auch Gestaltungsalternativen. Sie hat letztlich zur Folge, dass es Stil überhaupt gibt.
Der Vergleich mit einem Chamäleon stimmt allerdings nicht, wenn man die kommunikative Leistungsfähigkeit des Stils eines einzelnen Textes in einem konkreten kommunikativen Umfeld unter die Lupe nehmen will. Dann nämlich kommt es gerade auf eine ganz bestimmte Farbe an – auf eine Farbe, die zum kommunikativen Umfeld dieses Textes passt. Wissenschaftlicher Stil z.B. muss als solcher identifizierbar und von populärwissenschaftlichem Stil sowie allen anderen Stilen unterscheidbar sein. Stil wird in diesem Falle zum Zeichen für den Kommunikationsbereich der Wissenschaft. Ein einzelner Text kann also niemals alle Farben zugleich annehmen. Ebenso wenig ist es möglich, unbedenklich von einer Farbe in die andere zu wechseln. Farbwechsel (Stilwechsel), auch Farbmischungen (Stilmischungen) innerhalb eines Textes sind aber, wenn die kommunikativen Umstände es zulassen, durchaus möglich. Wechsel und Mischung von Stilen können zum Zeichen für gestalterische Kreativität werden.
Anliegen des vorliegenden Buches ist es, ein Spektrum an stilistischen Farben zu beschreiben, indem den spezifischen Farbtönen von Einzeltexten, Textsorten (Genres) und Textgattungen nachgespürt wird. Geschrieben wurde das Buch für alle, die mit Stil und Text im Studium oder im Beruf zu tun haben, in erster Linie jedoch für Studierende und Dozierende der Germanistik. Das Buch wartet mit zahlreichen Beispielen und Beispielanalysen auf. Zum einen, um graues stiltheoretisches Gedankengut mit der farbigen kommunikativen Praxis zu verbinden. Zum anderen, um Anregungen für eigenständiges Produzieren und Analysieren von Texten zu vermitteln. Verzichtet wurde weitgehend auf die Darstellung von Forschungsgeschichtlichem wie auch auf die Diskussion verschiedener Stilauffassungen und Stiltheorien. Dazu gibt es genügend einschlägige Literatur.
Ein Buch zum Verhältnis von Stil und Text kommt nicht ohne Beispieltexte aus. Bei einer ganzen Reihe von Texten bzw. Textauszügen waren Abdruckrechte einzuholen, was sich häufig als langwierig und nicht immer als erfreulich herausstellte. Mein Dank gilt in Sonderheit all den Verlagen und Redaktionen, die den Abdruck von Texten kostenfrei genehmigten. Ich danke den Verlagen Hinstorff (Rostock), Rowohlt (Reinbek bei Hamburg) und Zsolnay/Deuticke (Wien), den Redaktionen der Tageszeitungen „Der Tagesspiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“, den Redaktionen der Magazine „Eulenspiegel“, „Das Magazin“ und „Reader’s Digest“, dem Kampagnenbüro „Runter vom Gas“, dem Plakatarchiv der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Lebensberatungsplattform Viversum.
Ich danke dem Gunter Narr Verlag für die Aufnahme des Titels in die Reihe „narr studienbücher“ und seinem Lektorat, insbesondere Frau Dr. Valeska Lembke und Herrn Daniel Tobias Seger, für die zuvorkommende Begleitung des Projekts vom Exposé bis zur Drucklegung.
Potsdam, im April 2017 Michael Hoffmann
1 Stilistische Aspekte der Textkommunikation
1.1 Zur Einheit von Text- und StilkompetenzStilkompetenz
Es hat eine gewisse Tradition, Stil als eine Eigenschaft von Texten zu bestimmen. Doch damit ist kaum etwas Genaues gesagt. Es bleibt offen, wie diese Texteigenschaft beschaffen ist, wie sie in den Text hineinkommt, was sie von anderen Texteigenschaften unterscheidet, warum es Stil überhaupt gibt. Es sind Fragen, auf die das Buch eine Antwort geben will. Wichtig erscheint, davon auszugehen, dass der Stil eines Textes eingebunden ist in Prozesse der Textkommunikation. Stil wird textproduzentenseitig hergestellt und textrezipientenseitig wahrgenommen und auch interpretiert. Doch auf welcher Grundlage geschieht dies? Grundlage sind kommunikative Kenntnisse und Fähigkeiten. Oder präziser gesagt: Textproduzenten und -rezipienten sind auf TextkompetenzTextkompetenz angewiesen. Darunter sind vielfältige Kenntnisse im Hinblick auf den Umgang mit Texten verschiedener Art zu verstehen sowie die Fähigkeit, Texte ertragsorientiert zu produzieren und zu rezipieren.
Ertragsorientierte Textproduktion und -rezeption bedeutet Ausrichtung auf einen kommunikativen Gewinn, einen kommunikativen Nutzen. Textkommunikative Erträge können anvisiert und bei geglückter Kommunikation auch erzielt werden. Wir nehmen hierbei Bezug auf das textlinguistische Ertragsmodell, das Kirsten Adamzik (2004: 116f.) an die Stelle eines abstrakten Textfunktionsmodells gesetzt hat. Das Ertragsmodell ist auf die Lebenswelt der Kommunikationsteilnehmer, auf deren Kommunikationsbedarf zugeschnitten. Es zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, textkommunikative Erträge zu erzielen. Es zeigt allerdings nicht auf, welche Merkmale Texte aufweisen müssen, damit sich der anvisierte Ertrag auch einstellt bzw. einstellen kann. Gerade das Wissen darüber hat sehr viel mit TextkompetenzTextkompetenz zu tun. Wir sind der Auffassung, dass der Erfolg beim Erzielen textkommunikativer Erträge wesentlich vom Stil eines Textes (von stilistischen Textmerkmalen) abhängen kann, und skizzieren im Folgenden, wie sich Zusammenhänge zwischen Ertragsarten und Arten stilistischer Textmerkmale herstellen lassen.
Intellektuelle ErträgeErträge: Sie können sich einstellen, wenn man Wissen erfolgreich vermittelt oder erworben hat. Die entsprechenden Texte (z.B. Lehrbücher) müssen – soll Kommunikation glücken – adressatengerecht verfasst sein und weiteren stilistischen Erfordernissen (KlarheitKlarheit, GegliedertheitGegliedertheit, Fasslichkeit) Rechnung tragen. Es handelt sich dabei letztlich um erkenntniserleichternde Textmerkmale als Voraussetzung für kommunikativen Erfolg.
Praktische ErtragpraktischerErträge: Der Gewinn, den Texte für Produzenten wie Rezipienten einbringen, ist möglicherweise ein lebenspraktischer. Man will sich schnell über Abfahrts- und Ankunftszeiten eines öffentlichen Verkehrsmittels informieren, ein Möbelstück montieren, einen Gebrauchsgegenstand reparieren oder verkaufen. Bei den entsprechenden Texten (Fahrplänen, Montage- und Reparaturanleitungen, Verkaufsanzeigen) kommt es u.a. auf rezeptionsbeschleunigende Merkmale an: auf Sprachökonomie und ÜbersichtlichkeitÜbersichtlichkeit, bei Anleitungstexten auch auf AnschaulichkeitAnschaulichkeit.
Emotional-psychische Ertragemotional-psychischerErträge: Texte können Gefühle zum Ausdruck