Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Sebastian MiedeЧитать онлайн книгу.
Voraussetzung für das Lernen aufzuzeigen. Rampton et al. (2002) sind skeptischer und äußern sich kritisch. Sie bezweifeln beispielsweise, dass die rein linguistische Analyse die Prozesse, innerhalb derer sich Lernen vollzieht, sichtbar machen könne, da viel längere Intervalle betrachtet werden müssten als es konversationsanalytische Arbeiten tendenziell zu leisten im Stande seien (vgl. Rampton et al. 2002). Auch He (2004) sieht in der Gesprächsanalyse, aufgrund ihrer Ausrichtung und linguistischen Zielsetzung, kein geeignetes Instrument zur Annäherung an internal-kognitive Prozesse. Um für die Fremdsprachendidaktik wirklich fruchtbare Erkenntnisse liefern zu können, bedürfe es Methoden, die darauf abzielen, Lernprozesse nachzuvollziehen. Markee und Kasper (2004) stimmen zu, fügen aber hinzu, dass sich Sprachkompetenz auch in den Gesprächen spiegele und nicht ausschließlich in den kognitiven Speichern der Lerner. Aufgrunddessen dürfe der Gesprächskontext bei der Erforschung von Lernersprache nicht außer Acht gelassen werden.
Hall (2004) sieht in der Gesprächsanalyse eine ausgezeichnete Methode um zu beschreiben, was in der Unterrichtsinteraktion passiere und um Erkenntnisse über die Eigenschaften verschiedener Ausprägungen von Unterrichtsdiskurs zu erhalten, allerdings bezweifelt auch sie, dass die Methode sich dazu eigne, Lernprozesse zu beschreiben. Unter Rückbezug auf Vygotskis Sociocultural Theory (Vygotski 1978) sieht sie aber Anknüpfungspunkte, Lernen als soziale Aushandlung zu begreifen und über die Aushandlungsprozesse an Lernprozesse heranzukommen, konkretisiert dies jedoch nicht. Gardner fordert, dass Studien longitudinal angelegt sein müssen, wenn sie Lernprozesse abbilden und gesprächsanalytisch untersuchen wollen. Er äußert sich aber kritisch in Bezug darauf, inwiefern die dabei festgestellten Unterschiede auf gewisse Faktoren stabil und verlässlich zurückzuführen seien (vgl. Gardner 2013). Im deutschen Kontext betonen Kurtz (2014) wie auch Schramm und Schwab (2016) die Notwendigkeit auch mikroanalytische Ansätze in der fremdsprachendidaktischen Forschung weiter zu verfolgen und auszuweiten.
Mit Blick auf den Englischunterricht in Deutschland lässt sich konstatieren, dass es nur wenige Forschungsarbeiten gibt, die einen gesprächsanalytischen Ansatz verfolgen. Die Arbeiten von Schwab (2009), Appel (2010) und Lehnert (2016) haben wichtige Erkenntnisse über verschiedene Phänomene der Unterrichtssprache Englisch im deutschen Schulkontext geliefert, vermögen es aber nicht, high inference behavior wie Verstehensprozesse der Schüler zu untersuchen, da dies eine methodische Unschärfe zur Folge hätte. Eine Perspektiventriangulation ist in diesem Zusammenhang nicht möglich. Aufgrunddessen wurde ein gesprächsanalytisches Vorgehen für die vorliegende Studie verworfen.
3 Erkenntnisinteresse und Untersuchungsdesign
3.1 Empirische Forschung im Fremdsprachenunterricht
Empirische Forschung kennzeichnet ihre datengeleitete Ausrichtung. Eine oder mehrere Forschungsfragen werden mithilfe einer zu diesem Zweck erhobenen Datengrundlage untersucht und diskutiert (vgl. Schramm 2016: 49). Es lassen sich keine allgemein gültigen Aussagen darüber machen, wie umfangreich der Datenpool zur Untersuchung der Forschungsfrage sein muss, da sich empirische Forschung „auf einem Kontinuum von Erfahrungsberichten über explorative und deskriptive Studien bis hin zu explorativen Studien“ (ibid.) bewegt. Riemer (2014: 15) grenzt empirisches Wissen eindeutig von Allgemeinwissen und Erfahrungswissen ab, da es das Merkmal der „Systematizität“ erfüllt. Die Wahl des geeigneten Forschungszugangs ist zwingend abhängig von dem Erkenntnisinteresse sowie von der „Beschaffenheit der sozialen Wirklichkeit und den Möglichkeiten ihrer Erforschung“ (Caspari 2016: 7). Tröhler betont, dass Unterricht eine soziale Wirklichkeit darstellt, die sich als „Praxis“ (2012: 34) versteht und entsprechend ließen sich Praktiken beobachten, die wissenschaftlich erforscht werden können und sollen. Fremdsprachliche Unterrichtsforschung ist wiederum ein Spezifikum in diesem Forschungsfeld, da sie sich durch ihren Gegenstandsbereich „das Lehren und Lernen fremder Sprachen in allen institutionellen Kontexten und auf allen Altersstufen“ (Bausch/Christ/Krumm 2003: 1) von anderer Unterrichtsforschung abhebt. Caspari beschreibt die Fremdsprachendidaktik als anwendungsorientierte Wissenschaft, die das generelle Ziel verfolgt „durch das forschungsgeleitete Aufstellen, empirische Überprüfen und erkenntnisbasierte Ausschärfen von theoretischen Grundlagen, Begriffen, Konzepten und Modellen das Erkennen, Verstehen und Erklären von komplexen Lehr- und Lernsituationen voranzutreiben und das Handeln in diesen Situationen zu verbessern.“ (Caspari 2016: 12). Alleine diese Charakterisierung impliziert ein Plädoyer für empirische Methoden, negiert zugleich aber nicht die Wichtigkeit anderer Zugänge. Es ergibt sich folglich, dass empirische fremdsprachendidaktische Unterrichtsforschung ein hochkomplexes und von vielen verschiedenen Faktoren determiniertes Feld näher beschreiben will, und dies hat Konsequenzen für die Konzeption der Studien, die in diesem Rahmen entstehen. Diese sollten der Tatsache insofern Rechnung tragen, als dass sie das Erkenntnisinteresse als oberste Prämisse für die Wahl des Zugangs betrachten. Etablierte, prototypische Designs haben, Caspari zufolge, durchaus ihren Reiz, da sie detaillierte Vorgaben hinsichtlich des Vorgehens machen und die methodische Qualität der Arbeit sichern, dennoch sollte die eigentliche Forschungsfrage nicht an die Methode angepasst werden, sondern umgekehrt (vgl. Caspari 2016: 9). Folglich bedient sich die empirische fremdsprachendidaktische Forschung notwendigerweise auch Theorien und Methoden aus ihren Bezugsdisziplinen (z.B. der Linguistik, der Literaturwissenschaft, der Psychologie, der Pädagogik etc.).
Betrachtet man die empirischen Methoden mit denen Fremdsprachenunterricht in den vergangenen Jahrzehnten beforscht wurde, stellt man hauptsächlich drei Kategorien fest: qualitative Verfahren, quantitative Verfahren und Mischformen (vgl. Burwitz-Melzer 2003, Schramm 2016). Settinieri (2012: 250) spricht in diesem Zusammenhang von „Extrempolen eines Kontinuums“ zwischen denen zahlreiche Mischformen existieren (vgl. dazu auch Dörnyei 2007: 19). Es wird bereits seit vielen Jahren diskutiert, inwiefern eine scharfe Trennlinie qualitativer und quantitativer Ansätze sinnvoll erscheint1, allerdings hat sich indes der Faktor Gegenstandsangemessenheit als Gradmesser für die Wahl der für die eigene Studie geeignete Methode herauskristallisiert (vgl. Caspari 2016: 16, Schramm 2016: 54 und Flick 2011: 54). Hauptunterscheidungskriterium zur Differenzierung qualitativer und quantitativer Forschung ist die Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand. Quantitative Studien nähern sich dem Forschungsfeld aus einer distanzierten Außenperspektive (vgl. Caspari 2016: 17). Sie weisen als exklusives Merkmal Zahlen als generierte Datenform auf, stützen sich stärker auf Vorannahmen und untersuchen dezidiert einzelne Faktoren, wobei versucht wird Störvariablen weitgehend auszuklammern (vgl. Settinieri 2012: 250ff.). Entsprechend sind sie hypothesentestend und kennzeichnen sich durch eine „analytische Betrachtungsweise bei externer Perspektive und häufig großer Probandenzahl“ (ibid.). Im Gegensatz dazu heben qualitative Ansätze darauf ab, Phänomene so detailliert wie möglich aus der Innenperspektive zu betrachten (vgl. Caspari 2016: 17). Folglich resultiert eine offenere Herangehensweise mit explorativem und weniger kontrolliertem Untersuchungsdesign als dies bei qualitativen Studien der Fall ist – dies betrifft auch die Rolle der Forscher, die den beforschten Subjekten gegenüber weniger distanziert sind und den Forschungsgegenstand eher aus einer holistischen Perspektive betrachten (vgl. Settinieri 2012: 250ff.).
Die vorliegende Studie generiert empirische Daten aus der Unterrichtspraxis an hessischen und niedersächsischen Gymnasien und ist an einer möglichst detaillierten Beschreibung der Praxis interessiert. Insbesondere die Faktorenkomplexion, die den Untersuchungsgegenstand Unterricht determiniert (vgl. Königs 2010), lässt ein qualitatives Design in diesem Fall fruchtbarer erscheinen. Da die Untersuchung Aushandlungsprozesse in der Unterrichtssprache Englisch genauer beschreiben will, lässt sie sich gut mit dem Anspruch qualitativer Forschung Situationen „von innen heraus aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben, um zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beizutragen“ vereinbaren (Kimes-Link 2013: 89, vgl. Flick/von Kardoff/Steinke 2008: 14).
Die Wahl eines qualitativen Designs setzt eine Auseinandersetzung mit den Gütekriterien voraus, welchen die Forschung genügen sollte. Zudem müssen auch Schwächen des Ansatzes antizipiert und entsprechend thematisiert werden. Schmelter (2014: 41) formuliert als Hauptziel qualitativer Forschung das Handeln der beforschten Subjekte in dem untersuchten Handlungsfeld möglichst vollständig durch Beschreibung zu erfassen und nachzuvollziehen, um Zusammenhänge, Muster und Typen zu entdecken und in angemessenem Maße auch erklären zu können (vgl. auch Flick/von Kardoff/Steinke 2008: 22). Zur Erreichung dieses